Kaum eine Fotografie wäre besser geeignet, die wichtigsten beruflichen Stationen im Leben von Lee Miller einzufangen, als dieses eine, die gleich am Anfang der Ausstellung zu sehen ist: Die blonde Schönheit in der Uniform einer US-Kriegsberichterstatterin, den Blick entschlossen in jene Richtung gewandt, in der, hinten an der Wand, eine amerikanische Flagge auf einem Cover der Modezeitschrift Vogue flattert. Mode und Krieg im Medium der Fotografie bestimmten wesentlich die Karriere von Lee Miller (1907-1977), das dokumentiert die Ausstellung im Amerikahaus München mit rund 100 Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Wobei die Schau, konzipiert zusammen mit den Lee Miller Archives (England), ein starkes Gewicht auch auf einen weiteren Faktor im Schaffen dieser außergewöhnlichen Fotografin legt, auf ihr Verständnis der Lichtbildnerei als einer künstlerischen Disziplin.
Alles beginnt, als der Vogue-Verleger Condé Nast die damals 19-jährige Elizabeth Miller – erst später legt sie sich den Vornamen Lee zu – in New York mit einem beherzten Griff davor bewahrt, auf der Straße überfahren zu werden. Durch die Begegnung wird Miller zum begehrten Fotomodell, spürt jedoch rasch, dass sie, wie sie später sagt, lieber selbst Bilder machen will als Bild für andere zu sein. Der deutsche Fotograf Edward Steichen, damals bei der Vogue, lenkt ihr Interesse auf die Fotografie und empfiehlt ihr, nach Paris zu gehen und dem Künstler Man Ray zu assistieren.
Für Man Ray steht Miller wiederholt Modell
Den Jahren zwischen 1929 und 1932 in Paris widmet die Ausstellung einige von Millers schönsten Aufnahmen. Sie zeigen, wie die junge Frau bestrebt ist, einen eigenen künstlerischen Stil zu entwickeln, inspiriert nicht zuletzt durch den Surrealismus, den auch ihr Mentor Man Ray vertritt. Traumartig-Skurriles verbindet sich dabei oft mit Humoresken, etwa in jener gewitzt arrangierten Aufnahme, in der ein Frauenkopf wie abgeschlagen auf einem Servierbrett zu liegen scheint. Ebenso wie Man Ray, für dessen Fotos sie wiederholt Modell steht, experimentiert die Fotografin mit dem Verfahren der Solarisation, einem durch überlange Belichtung erzeugten Kontureffekt, angewandt etwa beim Porträt der Schauspielerin Lilian Harvey.
Mitte der 30er Jahre heiratet Miller einen ägyptischen Geschäftsmann und zieht nach Kairo. Auch hier sucht die Fotografin das Außergewöhnliche. Da ist der lange Schatten einer der Pyramiden, der, von oben erfasst, als strenges schwarzes Dreieck auf eine Reihe winziger Behausungen fällt. Oder „Portrait of Space“, der Blick durch ein zerrissenes, eine Lücke freigebendes Mückennetz hinaus in die Wüstenlandschaft. Ausstellungsbesuchern sei empfohlen, das Smartphone stets griffbereit zu halten, denn außer einer knappen Einführungstafel verzichtet die Schau auf Wandtexte – gibt sich aber bei den für jedes Foto mitgegebenen QR-Codes, wenn aktiviert, recht auskunftsfreudig.
Was deutsche Bomber in London anrichten
Die erste Ehe hält nur kurz, Lee Miller lernt den Künstler Roland Penrose kennen und zieht mit ihm nach London. Hier erlebt die Fotografin den Angriff deutscher Bomber auf die Hauptstadt des Königreichs. Millers fotografische Sicht ist noch weitgehend von künstlerischen Parametern bestimmt, zahlreiche Fotos heben die Schönheit des Schreckens hervor. Die „Fire Masks“, die zwei Londoner zum Schutz des Gesichts tragen, spielen noch mehr mit dem Reiz des Surrealen, als dass sie das Bedrohliche hervorkehrten.

1944 wird die Fotografin als Kriegsberichterstatterin der Vogue beim US-Militär akkreditiert. Mit den alliierten Soldaten – und zusammen mit dem Kollegen David E. Scherman – folgt Miller dem Vormarsch von der Landung in der Normandie über die Befreiung von Paris bis über den Rhein hinweg ins Nazi-Reich und einmal quer durch zu Hitlers Obersalzberg-Refugium. Miller dokumentiert nun die Schrecken, die das Menschenantlitz entstellen – etwa in dem grotesk in Verbandsmaterial eingewickelten Kopf eines an Verbrennungen leidenden Hospitalinsassen. Sehr zurück hält sich die Ausstellung mit Millers Aufnahmen aus den befreiten Konzentrationslagern Buchenwald und Dachau. Eindringlich die Studie einer verloren wirkenden Displaced Person vor der Zellentür eines Gestapo-Kellers. Und überall, wo Lee Miller durchzieht, Zerstörung im Land der Täter, in Köln, Frankfurt, München.
Adolf Hitler muss auf Lee Miller schauen
Hier entsteht ihr berühmtestes Foto, entstanden am 30. April 1945, dem Tag, an dem sie im Dachauer KZ fotografierte. Im zerbombten München betritt sie zusammen mit Scherman die Privatwohnung Hitlers am Prinzregentenplatz. Am selben Tag, als der „Führer“ in Berlin Suizid begeht, legt Lee Miller Stiefel und Uniform ab und steigt in Hitlers Badewanne. Scherman betätigt den Auslöser von Millers Kamera. Auf einer Ecke der Wanne ist ein Hitler-Porträt platziert – der Diktator muss der nackten Frau in seinen Privaträumen zusehen, wie sie sich den Rücken schrubbt: Ein sprechendes Bild dafür, dass die Macht des Größenwahnsinnigen zu Ende ist.
Nach dem Krieg wird Roland Penrose der zweite Ehemann von Miller, die beiden beziehen ein Landhaus in East Sussex. Aufnahmen von befreundeten Künstlern entstehen, Miró, Picasso, Max Ernst, doch Miller tut sich schwer, an die Vorkriegszeit anzuknüpfen. Mitte der 50er Jahre legt sie die Kamera endgültig aus der Hand. Depressionen plagen sie, vermutlich unverarbeitete Erlebnisse aus der Zeit des Krieges, wie auch der im vergangenen Jahr herausgekommene Spielfilm „Die Fotografin“ mit Kate Winslet in der Rolle der Lee Miller nahelegt. Dass die Kriegsereignisse sie gezeichnet haben, ist auch auf einem Foto zu erkennen, dass eine andere zeigt als die mutig entschlossene Kriegsberichterstatterin vom Beginn der Ausstellung. Lee Miller beim Erreichen der Festung von St. Malo während der Kämpfe in der Normandie: erschöpft, schmutzig, das Gesicht zu einer Grimasse verzogen.
Lee Miller Photography. Bis 31. Juli im Amerikahaus München, Karolinenplatz 3, geöffnet Mo. bis Do. von 10 bis 17, Fr. 14 bis 18, Sa. 10 bis 18 Uhr. Eintritt frei.
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