Keineswegs von Anfang an war klar, dass das neue Werk nach einer seiner Hauptfiguren „Der Rosenkavalier“ heißen sollte. Für die Autoren standen auch andere Varianten zur Disposition, solche vor allem, die sich um den Baron Ochs auf Lerchenau drehten, die buffoneske Zentralpartie von Richard Strauss‘ und Hugo von Hofmannsthals „Komödie für Musik“. Mit erheblichem Recht hätte die Oper aber auch nach einer dritten Figur benannt werden können, nämlich nach der Feldmarschallin Fürstin Werdenberg. Sie ist zwar nicht ganz so präsent im Spiel wie der Rosenkavalier Octavian oder sein Gegenspieler, der Ochs; der zweite Akt kommt sogar ganz ohne sie aus. Dennoch lässt sich für die Marschallin Gewichtiges in die Waagschale legen.
Sie nämlich ist es, in der sich ein inneres Drama vollzieht, wie es im Stück keiner anderen Figur widerfährt. Die Marschallin – zu denken als Frau im besten Alter, allenfalls Mitte 30, wie Strauss und Hofmannsthal notierten – sieht man gleich zu Beginn der Oper am Morgen nach einer Liebesnacht, in welcher sie ihren halb so alten Liebhaber Octavian heftig (so erzählt es die Ouvertüre!) hat entflammen lassen. Nun jedoch, beim Blick in den Spiegel, überkommt sie die Ahnung, dass die Zeit nicht an ihr vorübergeht, „sie in den Gesichtern rieselt“, dass „alles zerläuft zwischen den Fingern“. Die Fürstin Werdenberg ahnt, dass sie ihren hitzigen Liebhaber „heut oder morgen oder den übernächsten Tag“ an eine Jüngere verlieren wird und dass sie sich damit wird abfinden müssen. So kommt es denn auch prompt, wenn Octavian, fatalerweise selbst eingefädelt durch die Marschallin, zum Brautwerber bestimmt wird für den Ochs und damit zum Rosenkavalier bei der jungen Sophie.
Die Marschallin - eine der ganz großen Herausforderungen
Der Vergänglichkeits-Monolog der Marschallin und das sich anschließende Zwiegespräch mit dem akut noch immer für die reife Frau schwärmenden Octavian ist ein Höhepunkt des „Rosenkavaliers“, eine Szene, für die Hofmannstahl seinen ganzen Dichterfeinsinn aufgeboten hat und Strauss all seine kompositorische Finesse. Mehr noch, diese Szene der Marschallin am Ende des ersten Akts ist eine der ganz großen Herausforderungen für eine Sängerdarstellerin, gerade weil hier kein großes Dramenfeuerwerk virtuos zu veranstalten ist, sondern das schiere Gegenteil, eine Seelenschau der allersubtilsten Art.
Jetzt hat Diana Damrau ihr Rollendebüt als Marschallin gegeben, in Berlin an der Staatsoper Unter den Linden in einer bereits bestehenden, fünf Jahre alten Inszenierung des österreichischen Multi-Künstlers André Heller (Bühne: Xenia Hausner; Kostüme: Arthur Arbesser). Folgt man der stimmlichen Entwicklung der Sopranistin und ihrer Rollenwahl, so war der Zugriff auf die Partie der Marschallin zu erwarten. Damrau, die in früheren „Rosenkavalier“-Inszenierungen als Sophie zu erleben war, hat sich der Marschallin Worte „Jedes Ding hat seine Zeit“ zu Herzen genommen und die Zeit kommen lassen für diese Rolle. Für die reiferen, satt blühenden Stimmfarben, wie sie gerade in Strauss-Opern zu finden sind und wie sie der Damrau inzwischen so gelegen sind, wenn man etwa an ihre Münchner „Capriccio“-Gräfin vor ein paar Jahren denkt.
Damraus noble Amüsiertheit für den Heißsporn
Erlebt man Diana Damrau in Berlin jetzt als Marschallin, ist nicht zu überhören und nicht zu übersehen, dass sie um das Gewicht dieser Rolle weiß, so minutiös wie sie sich die Partie erarbeitet hat. Das zeigt schon die erste Szene der Oper rund um das Liebesbett, als Damrau den Worten der Marschallin zu ihrem Heißsporn Octavian den Klang nobler Amüsiertheit verleiht. Später, als der derbe Vetter Ochs von den „verteidigenden Erfahrungen“ der Frauen bei der Liebe spricht, genügt ein wenig charmierter Blick zur Seite, um auch ohne Worte alles zu sagen.
Damrau ist erfahren genug um zu wissen, dass der berühmte Marschallin-Monolog, die sich als Person infrage stellenden Rede an sich selbst, eine weitgehende Zurücknahme der Gebärdensprache auf der Bühne verlangt – und stattdessen die Farbwechsel und stimmlichen Affektgestaltungen die Ausdrucksmittel der Wahl sein müssen. Erlesen, betörend verhalten formuliert gelingt ihr das Erstaunen über die eigene Metamorphose („daß ich die kleine Resi war und dass ich auch einmal die alte Frau sein werd“) – ein Moment, in dem die Damrau das ganze Haus den Atem anhalten lässt. Als Octavian wieder herantritt an die Marschallin, belässt Damrau einen kunstvollen Firnis über ihrem Gesang, klingendes Zeichen des Vorauswissens des Unausweichlichen, tönende vokale Schöntrauer. Die bis zum Aktschluss nun die Gesangsrede der Damrau-Marschallin bestimmt, wunderbar verhalten begleitet von Axel Kober und der von ihm geleiteten Berliner Staatskapelle.
Nicht nur Diana Damrau gibt ihr Rollendebüt
Die Disposition des Staatsopern-„Rosenkavaliers“ bringt es bei dieser Wiederaufnahme mit sich, dass nicht nur Diana Damrau, sondern auch die Sängerinnen der beiden anderen weiblichen Hauptpartien Rollendebüts geben: sowohl also bei der Hosenrolle des Octavian (ausgesprochen klangvoll singend und überzeugend im Liebesgefühlswandel: Emily D’Angelo) als auch Sophie (anrührend aufgeweckt und empfindungsfrisch: Regula Mühlemann). David Steffens hat rein sängerisch den Ochs gut im Griff; den triebgesteuerten Schmäh und blasierten Austro-Grant bleibt er der Rolle jedoch schuldig.
Im Schlussduett, in dem die Stimmen der jungen Liebenden Sophie und Octavian betörend verschmelzen, hat zwischen zwei Strophen auch die Marschallin ihre finalen Worte zu singen, es sind nur zwei. Auf die Bemerkung von Brautvater Faninal (Roman Trekel) „Sind halt aso, die jungen Leut“, antwortet die Marschallin mit „ja, ja“. Wie Diana Damrau das singt, ohne allen gewollten Nachdruck, doch mit sublimer Bittersüße, das enthält im Konzentrat zweier Silben, zweier Töne, die ganze Seelenlage der desillusioniert-abgeklärten Frau. Mit Diana Damrau hat die Opernbühne eine neue faszinierende Marschallin gewonnen.
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