
Rebecca Yarros: Onyx Storm: Flammengeküsst
Aus einer Mücke einen Elefanten machen, können viele. Rebecca Yarros gelingt das Gegenteil: Teil 3 ihres stilistisch indiskutablen militaristischen Drachen-Pornos verzwergt Drachen und Greife auf die literarische Größe von Bettwanzen. (Deutsch von Michelle Gyo und Julia Schwenk, Dtv, 923 S., 32 €)

Callie Hart: Quicksilver
Die fantasieloseste Fantasy, die man sich vorstellen kann: wieder ein Schmarren über Amerikaner in Ritterrüstungen, die ein Disneyland-Mittelalter bewohnen und mit dem Bewusstseinsstand von Teenagern auf einem High-School-Prom durch eine Handlung um magische Geschöpfe wie Faes, Feuerkobolde und Alchemistinnen stolpern. Unterirdisch. (Deutsch von Franca Fritz und Heinrich Koop, Penguin, 864 S., 24 €)

Christoph Hein: Das Narrenschiff
„Schlesien ist deutsch und bleibt deutsch“, lässt Christoph Hein einen sichtlich angefassten Walter Ulbricht 1948 im SED-Politbüro krakeelen. Es sind gerade diese historisch verbürgten, aber in Vergessenheit geratenen Skurrilitäten, die seinen breit angelegten Familienroman über Gründung, Verfall und Untergang der DDR so süffig machen. Eine historische Nachhilfestunde gewiss, aber in den Händen eines gewieften Erzählers auch ein literarisches Vergnügen. (Suhrkamp, 750 S., 28 €)

Wolf Haas: Wackelkontakt
Wolf Haas konstruiert zwei Handlungsstränge für seinen Roman und lässt dessen Protagonisten aufeinander zurasen wie zwei ICEs auf einer eingleisigen Strecke - Spannung garantiert. Daneben ist aber wie immer bei Haas hier ein großer Sprachspieler und existenzieller Räsoneur am Werk, und das lässt diesen Roman zu einer hellen Freude werden. (Hanser, 239 S., 25 €)

Kristine Bilkau: Halbinsel
Gerade mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet, besticht dieser Roman weniger durch verdichtende Spracharbeit als durch psychologische Raffinesse und – verzeihen Sie das altmodische Wort – lebenspraktische Klugheit. Kristine Bilkau ist ein brandaktuelles Mutter-Tochter-Portrait gelungen, im Mittelpunkt die Frage nach dem, was eine gute Erziehung ausmacht, nach den Ressourcen, die in einer Persönlichkeit Resilienz anlegen, nach dem gelungenen Leben also. (Luchterhand, 224 S., 24 €)

Takis Würger: Für Polina
Takis Würger besitzt alles, was die deutsche Literaturkritik nach wie vor hasst, ja verachtet: Erzähllust. Humor. Drive. Empathie. Und was am schlimmsten ist: Erfolg. Deshalb schreit die Literaturkritik angesichts dieses Romans „Kreuziget ihn!“ und macht, was sie am besten kann: Sie nimmt übel. Ich aber bin der Meinung, dass Literaturkritiker nicht lügen dürfen, und deshalb muss ich sagen, dass ich in diesem Roman zwar keinen neuen Dostojewski gelesen habe, immerhin aber eine zwar nicht klischeefreie, dafür aber quietschvergnügte Liebesgeschichte. (Diogenes, 304 S., 26 €)

Julia Dippel: A Kiss to End A Song
Wie fad spicy sein kann, aus diesem durch nichts als die kommerzielle Absicht der Autorin zusammengehaltenen Machwerk lässt es sich erfahren. Es liest sich wie ein Besuch von Heidi Klum während der Ringkriege auf Mittelerde: „Ich schnappte nach Luft. Ein Gefühl durchströmte mich, als würde die Sonne selbst in meinem Inneren aufgehen. Es war keine bloße Wärme, sondern Geborgenheit, Trost und eine Kraft, die jede Faser meines Wesens durchdrang. Für einen tiefen Atemzug verblasste die Welt hinter strahlendem Licht. Meine Ängste zerrannen wie Schnee im Frühling, und Hoffnung blühte zaghaft auf.“ Die Klischeedichte dieser Sprache kann in einem Schwarzen Loch unmöglich größer sein. (Planet, 560 S., 22 €)

Carissa Broadbent: Six Scorched Roses
Das Beste, was sich über diese Spin-off-Novelle einer Romantasy-Reihe sagen lässt, ist, dass sie nur knapp 200 Seiten lang ist. Aber auch wenn mich die Grundidee des Plots, nämlich der Versuch, einem Vampir Blut abzuzapfen, durchaus angesprochen hat, die Ausführung ist stümperhaft und ausgesprochen blutarm. (Deutsch von Heike Holtsch und Kristina Flemm, Carlsen, 240 S., 20 €)

Christoph Kramer: Das Leben fing im Sommer an
Dass ein Coming-of-Age-Roman nicht nur ein Entwicklungsroman, sondern auch ein Bildungsroman sein kann, scheint Christoph Kramer bei seinem Debüt vergessen zu haben. Und so ist es ein ziemlich dünnes Süppchen, das Kramer hier serviert: erste Lieben, Partys, Fußball und der Wunsch, um jeden Preis dazugehören zu wollen. Hier spielt sprachliche Not – ich sage nur: „sirenenblaues Wetterleuchten“ - gegen gedankliches Elend. Nicht jeder Tag im Freibad ist eben gleich ein Sommermärchen. (Kiepenheuer & Witsch, 256 S. 23 €)

Suzanne Collins: Die Tribute von Panem – L Der Tag bricht an
Diese Vorgeschichte zu ihrer Trilogie um die Hungerspiele erzählt von der Jugend von Katniss späterem Mentor Haymitch Abernathy und ist schon das fünfte Buch, das Suzanne Collins in ihrem Tribute-von-Panem-Kosmos ansiedelt. Erstaunlicherweise ist es auch das politisch schärfste. Collins liefert die hellsichtige Analyse einer autoritären Herrschaftsform und wie sich diese der Propaganda zur Festigung ihrer Macht bedient. Spannende Unterhaltung, die ins Herz unserer Gegenwart zielt – und gleichzeitig ein Maßstab, was Genreliteratur zu leisten imstande ist. (Deutsch von Sylke Hachmeister und Peter Klöss, Oetinger, 464 S., 26 €)
Zur Person
Literaturkritiker Denis Scheck bespricht einmal monatlich die Spiegel-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch – parallel zu seiner ARD-Sendung. Die nächste Sendung läuft am Sonntag, 13. April, um 23.35 Uhr. Die Gäste sind Yasmina und Vincenzo Levizzani.
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