Das Münchner Residenztheater hat wieder einen „Brandner Kaspar“ auf dem Spielplan. Nur jetzt nicht mehr den Dauerbrenner, den Kurt Wilhelm 1975 fürs Resi geschrieben hat. Diese Überarbeitung und Inszenierung hat es in 26 Jahren auf 1000 Vorstellungen gebracht. Das lässt sich nicht mehr toppen. Folgerichtig also, dass Franz Xaver Kroetz, der eigentlich die Hauptrolle hätte spielen sollen, dem Theater ein anderes künstlerisches Geschenk gemacht hat: Seine Version des Volksstücks frei nach Franz von Kobell, der die Urfassung dieser Gschichtn 1871 veröffentlicht hat.
Kroetz entschlackt den Brandner, Dorf und Bürgermeister, die Wilderei und die Engel im Himmel werden weggelassen oder Nebensächlichkeiten, der neue Brandner wird zu einem Alten, der nicht von der Erde lassen will, dem es in seinen Siebzigern einfach noch viel zu gut gefällt. Die Lunge pfeift zwar schon ziemlich, wenn er mit seiner Enkelin, dem Seferl, die Berge hochstapft, um oben das Dachl am Gipfelkreuz wieder festzunageln - aber deshalb gleich abtreten? Nö!
Mit Günther Maria Halmer wird der Brandner Kaspar zum bayerischen Bühnenweihfestspiel
Am Kreuz fällt dem Brandner bei der Zwiesprache mit dem Himmlischen auf, dass sich sein Verhältnis zu denen oben im Himmi abgekühlt hat. „Wenn der Herrgott mit ois, wos auf a Weid passiert, einverstandn is, weilas ja vahindan kannt, wenna meng dad, dann muaß er schon an Saumagn haben, dass er des ois vatragt“, philosophiert der Brandner. Da hat der Boanlkramer bereits seine Finger nach ihm ausgestreckt, bekommt ihn jedoch noch nicht zu fassen.
Der Regie schreibt das Münchner Kind Kroetz ins Stück hinein, dass es sich um kein feingliedriges Kunst-Stück, sondern ein saftiges Volksstück aus der analogen Welt handle, in dem ein verglühtes Oberbayrisch gesprochen werde. Das Münchner Regie-Gewächs Philipp Stölzl verwandelt den Kroetz-Brandner in ein opulentes analoges Theaterfest, in dem Seilzüge, gemalte Berg- und Himmelslandschaften, ein rustikales Bühnenbild und ein wunderbarer Bühnenprospekt zum Einsatz kommen. Selbst wenn im Hintergrund einmal bei der Höllen- und Himmelsfahrt des Brandner ein Video zum Einsatz kommt, schaut das aus wie ein handgemachter Animationsfilm aus den 1960er und 1970er Jahren.

Wenn Günther Maria Halmer die Bühne betritt und diesen Brandner wie sein Alter ego spielt, wird es endgültig ein boarisches Bühnenweihfestspiel. Da kann es eben passieren, dass einer wie der Brandner, so ein „Odrahta“, in den Himmi kimmt. Denn Wilderei hin, Beschiss beim Spielen her, für unten gibt es Schlimmere: „Ind Höll kemman bloß de ganz hart Gsottna.“ Denn das „Kloazeig“ lässt man jetzt laufen. „De Menscheit werd ja ned gscheida, sondern oiwei no bleda“, erklärt der Boanl.
Das Publikum im Residenztheater ist vom neuen „Brandner Kaspar“ begeistert
Zwischen Himmel und Hölle, Leben und Tod entfaltet der neue Brandner seinen Witz und Hintersinn, immer dem Leben zugewandt, gradheraus und nie verstellt. Halmer spielt einen, den jeder kennt und auch mag: einen sturen Kopf, einen mit Überzeugungen, einen, der seine Tochter verjagt hat, sie gleichzeitig aber vermisst, nur eben ihr das ums Verrecken nicht zeigen kann – der Stolz ... Einer, der vom Leben nicht lassen mag, weil es noch seine Enkelin gibt. Einer, der aufgibt, als ihr, dieser Herzensguten (wunderbar Elisabeth Nittka), das Schlimmste passiert. Auf der Bühne steht ein Mensch, keine Pappfigur. Gespielt wird zwar Komödie, aber zwischendrin gibt es Momente, an denen man als Zuschauer nicht glaubt, noch einmal lachen zu können, weil es berührt, nahe geht, trifft.

Weil Halmer das schafft, weil er seinen Brandner komplett erdet, haben die anderen die Möglichkeit, abzuheben, ohne dass es lächerlich wird. Florian von Manteuffel tippelt und wankt als Boanlkramer wie Johnny Depp einst als Jack Sparrow über die Bühne. Der Boanl müsste mal wieder seine Haare waschen, hat aber dafür keine Zeit. Denn er muss vollbringen, was weiter oben „aufgesetzet“ wird. Von Manteuffels Boanl wirkt wie das ideale Gegenstück zum Brandner, beide geben sich willig dem Kerschgeist hin, den es übrigens auch im Theaterfoyer zu kaufen gibt. Kein Wunder also, dass der Boanl, der den Alkohol nicht gewohnt ist, beim Kartenspielen verliert. Mit den Zahlen haben es irgendwann alle nicht mehr so genau. Ist der Brandner 75, 74 oder 76 Jahre alt? Will er 89, 90 oder 100 Jahre alt werden? Ach, so genau will das niemand wissen. Nur Petrus alias der Portner regt sich über so viel bayerische Laxheit auf. Michael Goldberg spielt den Himmelspförtner im Papstgewand, der sich ans Seferl heranzuwanzen versucht (doch sie ist schlauer).
Zum Gesamtkunstwerk wird das, weil Maria Helgath, Anna Veit und Anna Emmersberger mit ihrer Live-Musik dem Ganzen einen eigenen Sound mitgeben, der sich zwischen Gstanzl, Filmmusik und Jazz bewegt. Plötzlich zieht sich Helgath das Dirndl aus, lässt ihr Akkordeon stehen und stöckelt in monströsen High-Heels als Brandner-Tochter zum Vater hin. Alles ist an einem Abend möglich, wenn sich eine Musikerin in eine Vollblut-Schauspielerin verwandeln kann. Die zwei Stunden im Resi verfliegen, und man wünscht am Ende diesem Brandner ein langes Bühnenleben. Das Premierenpublikum zeigte sich beim Schlussapplaus schon einmal vollkommen begeistert.
Weitere Termine noch bis zum 29. Juli, weitere Termine in der kommenden Spielzeit folgen am Residenztheater .
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