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Ein großer Romantiker: Der Dichter Eduard Möricke starb vor 150 Jahren

Literatur

150. Todestag von Eduard Mörike: Idylle und Schrecken liegen bei ihm nahe beieinander

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    Der Dichter Eduard Mörike in einer zeitgenössischen Darstellung. Er starb am 4. Juni 1875 in Stuttgart.
    Der Dichter Eduard Mörike in einer zeitgenössischen Darstellung. Er starb am 4. Juni 1875 in Stuttgart. Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb

    „Auf ein Ei geschrieben“, „Mausfallen-Sprüchlein“, „Der Spiegel an seinen Besitzer“ – eine solche Auswahl von Gedicht-Titeln Eduard Mörikes zeigt zunächst die eine Seite seiner Lyrik: die Freude an der Gelegenheit und an einzelnen Gegenständen des häuslichen Lebens wie Trinkschalen, Töpfen, Schreibfedern, Blumen. Namens- und Geburtstage, die Schwester, die Kinder von Freunden werden mit kleinen Texten oder Versrätseln bedacht, der Humor zeigt Verständnis für das Alltägliche und vermeintlich Banale.

    Es gibt aber auch eine andere Seite dieses Künstlers, wenn er den Liebesschmerz von Betrug und Reue in seinem abgründigen „Peregrina“-Zyklus heraufbeschwört oder in den Balladen der dämonischen Welt einen Platz einräumt. Auch melancholische Sonette und religiöse Lyrik spielen eine Rolle, ebenso die meisterhafte Beherrschung antiker Formen und das kuriose Interesse an Gespenstern.

    Mit 39 Jahren ließ sich Eduard Mörike als Pfarrer in den Ruhestand versetzen

    In einem seiner populärsten und schönsten Gedichte, „Der alte Turmhahn“, verbindet er beide Seiten – den elegischen Rückblick der nach 113 Jahren ausrangierten Wetterfahne und die Schilderung der Pfarrhausidylle, in der der Hahn auf dem Ofen Asyl gefunden hat. Am Ende gesteht der als Sprecher des Gedichts auftretende Hahn eine gewisse Eitelkeit - und seine Einsicht: „Geh in dich, nimm dein Ende wahr, / Wirst nicht noch einmal hundert Jahr“. Hintergrund ist eine Kirchenreparatur in Cleversulzbach, wo Mörike als evangelischer Pfarrer tätig war, bevor er sich mit 39 Jahren in den Ruhestand versetzen ließ. Mörike hat den Turmhahn an sich genommen und ging später dazu über, Verehrern seiner Texte, die um ein Foto nachgefragt hatten, lieber dasjenige des alten Turmhahns zu schicken: „Was meine Fotografie betrifft, so besitze ich leider selbst im Augenblick nicht ein einziges gutes Exemplar. Dagegen erlaube ich mir als Ersatz ein anderes Konterfei – auch eine Art Persönlichkeit – beizufügen“. So hat sich Mörike selbst in einen poetischen Gegenstand verwandelt, der heute noch im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar besichtigt werden kann.

    Und kaum etwas ist für Mörike typischer als solche ironisch-kritischen Abrechnungen mit sich selbst, hat er doch auch an seinen Gedichten mit nicht nachlassender Genauigkeit gefeilt und sie immer wieder zu verbessern versucht. In späteren Jahren hat Mörike sich immer wieder in Poesiealben eingetragen und dabei eine humorvolle und kritische Bilanz gezogen:

    Mein Wappen ist nicht adelig,

    Mein Leben nicht untadelig,

    Und was da wert sei mein Gedicht,

    Fürwahr, das weiß ich selber nicht.

    Den schwäbischen Raum hat Mörike kaum einmal verlassen

    Was muss man über die Biografie Mörikes wissen? Am ehesten, dass der nervöse Mann, geboren 1804 in Ludwigsburg, sich schwergetan hat mit der beruflichen Ausbildung zum Pfarrer, dass er eine ganze Reihe leidenschaftlicher Beziehungen durchlitten hat, - von denen die eine, mit einer unbeständigen Schweizerin, in die „Peregrina“-Figur einging, dass er nach der frühen Pensionierung noch in Stuttgart unterrichtet hat, und dass er den schwäbischen Raum nur für kleine Reisen (an den Bodensee, nach Regensburg) verlassen hat. Vor 150 Jahren ist Mörike gestorben, nachdem es erst auf dem Totenbett zu einer Versöhnung mit der von ihm getrennt lebenden Frau gekommen ist.

    In vieler Hinsicht charakteristisch für ihn ist, wie er sein vielleicht bewegendstes Gedicht zunächst seinem Briefpartner als ein angebliches Zitat aus Shakespeare unterjubeln wollte. Und doch hat er dann diesen Text ans Ende seiner 1838 erschienenen Gedicht-Ausgabe gestellt:

    Um Mitternacht

    Gelassen stieg die Nacht an‘s Land,

    Lehnt träumend an der Berge Wand,

    Ihr Auge sieht die goldne Wage nun

    Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn;

    Und kecker rauschen die Quellen hervor,

    Sie singen der Mutter, der Nacht, in‘s Ohr

    Vom Tage,

    Vom heute gewesenen Tage.

    Das uralt alte Schlummerlied,

    Sie achtet’s nicht, sie ist es müd‘;

    Ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch,

    Der flücht’gen Stunden gleichgeschwung’nes Joch.

    Doch immer behalten die Quellen das Wort,

    Es singen die Wasser im Schlafe noch fort

    Vom Tage,

    Vom heute gewesenen Tage.

    Eduard Mörike war auch ein eifriger Briefschreiber

    Viermal hat Mörike im Abstand von etwa zehn Jahren seine gesammelten Gedichte herausgebracht, und dabei jeweils skrupulös eine strenge Auswahl getroffen. Aber sein Werk umfasst mehr: Mit „Mozart auf der Reise nach Prag“ hat er eine der besten Künstlernovellen geschaffen, das Märchen vom „Stuttgarter Hutzelmännlein“ besticht durch seine regional und dialektal eingebundene Fantasie (in der Episode der Schönen Lau und dem Blautopf), aber auch die Kriminalgeschichte hat Mörike bereichert. Wer sich für die Abgründe einer Familiengeschichte interessiert, wo lange Verdrängtes wieder an die Oberfläche kommt und zur Katastrophe führt, der lese den einzigen Roman Mörikes, „Maler Nolten“, in dem er sich als großer Psychologe erweist. Überdies wird man Mörike zu den gehaltvollsten Briefschreibern des 19. Jahrhunderts rechnen können, besonders im (sehr umfangreichen) Freundes- und Familienkreis erweist er sich als ein teilnehmender wie erzählfreudiger Korrespondenzpartner. Nicht zu vergessen ist sein von bestechender Originalität zeugendes Werk als Zeichner, das mitunter die Grenze zum Surrealen und Absurden überschreitet.

    Einzelne seiner Zeitgenossen haben die Qualität seiner Texte gewürdigt, darunter Theodor Storm, Gottfried Keller und Friedrich Hebbel. Dann haben, neben Illustrationen von Moritz von Schwind oder Ludwig Richter, die Vertonungen durch Hugo Wolf, zuvor schon durch Johannes Brahms, für weitere Verbreitung seines Werkes gesorgt. In ihrem Interesse an Mörike haben sich auch so unterschiedliche Autoren wie Franz Kafka, Theodor W. Adorno und Martin Heidegger überschnitten, Peter Härtling („Die dreifache Maria“) und Hermann Lenz („Erinnerung an Eduard“) haben ihn zum Gegenstand literarischer Texte gemacht.

    Der Mörike-Preis ging zuletzt an Jan Wagner, Elke Erb, Leif Randt und Jaroslav Rudis. Jan Wagner hatte in seiner Dankesrede formuliert: „Immer liegen Idylle und Schrecken dicht beieinander, ist er ihr eingeschrieben wie der Kindheit der Tod, und so ist der wahre Idylliker jener, der um die Zerbrechlichkeit des Refugiums weiß und erst deshalb seine Schönheit zu schätzen vermag, weil ihm die Angst selbst dort ans Herz fasst“.

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