Es ist nicht das erste Mal, dass Sie im Film eine Deutsche spielen...
CATE BLANCHETT: Ich habe keine Ahnung, warum das immer wieder passiert. Ich bin keine Deutsche, spreche nicht Deutsch, aber ich spüre eine gewisse Affinität zu Deutschland. Und deutsches Theater und Ausdruckstanz haben mich sehr beeinflusst. Einige meiner Lieblingskünstler sind deutsch – etwa Botho Strauß.
Und wenn man Sie in der Realität bitten würde, deutsche Kanzlerin zu werden wie im Film. Würden Sie akzeptieren?
BLANCHETT: Doch, ich könnte mir schon vorstellen, was ich da machen würde. Aber es wäre ein enorm harter Job. Das Problem ist, dass führende Politiker nur sehr schwer authentisch sein können, weil sie ständig unter Beobachtung der Medien stehen. Sie müssen genau aufpassen, was sie sagen, wie sie es sagen und wie sie auftreten. Deshalb zensieren sie sich selbst in einer Tour und werden in ihrem Auftreten völlig künstlich. Erst wenn sie dann ihr Amt verlassen, können sie sich auf ihre wahren Prinzipien besinnen. Und dann können sie, zum Beispiel als Chefs von Wohltätigkeitsorganisationen, sogar mehr bewirken als in ihrem politischen Amt.
Das heißt, Sie würden einen Teil der Verantwortung für das Verhalten von Politikern bei der Gesellschaft sehen?
BLANCHETT: Absolut, wir tragen eine Mitschuld daran, weil wir diese Art von Führungspersonen geschaffen haben. Und wir sind diejenigen, die ihnen auch die Hebel der Macht in die Hand geben. Der Status, den Politiker haben, haben sie ja nicht von selbst bekommen. Wir haben ihnen den verliehen. Wir bauen diese Leute auf und eines Tages reißen wir sie wieder vom Podest herunter. Und wenn dann jemand wie Obama mit Slogans wie „Hoffnung“ antritt, dann ist klar, dass er diesem Image niemals gerecht werden kann.

Sie werden ja als Filmstar selbst aufs Podest gehoben. Das dürfte Ihnen klar sein...
BLANCHETT: Ja. Aber ich weiß, dass das alles nur eine Illusion ist. Als ich zum ersten Mal zum Festival nach Cannes kam, habe ich einen kleinen australischen Film promotet. Ich hatte sprichwörtlich blaue Flecken an meinen Rippen, weil mich die Leute beiseite drängten, um irgendeinen Filmstar zu sehen. Zwei Jahre später war ich dann mit einem Film im Wettbewerb vertreten. Ich ging über den roten Teppich, war also auf der anderen Seite der Absperrung und habe gesehen, wie man die Menschen dahinter wegdrückte. Es war absolut surreal. Wie man dich behandelt, hängt davon ab, auf welcher Seite du gehst. Wir nehmen diese Ordnung der Dinge für selbstverständlich, aber eigentlich ist sie absolut nicht normal. Denn wir Menschen sind eben nicht normal.
Und wie schaffen Sie selbst es, normal zu bleiben?
BLANCHETT: Ich habe vier Kinder, das erklärt einiges. Und einen Mann, der eine ähnliche Einstellung hat wie ich. So habe ich es auch gelernt, mich nicht zu ernst zu nehmen. Ich kann sowieso nur Leuten vertrauen, die imstande sind, sich selbst auf den Arm zu nehmen.
Aber Sie müssten doch die Frage ernst nehmen, ob Ihre Filme Erfolg haben.
BLANCHETT: Natürlich. Aber mir ist auch klar, dass ich es niemals allen Menschen Recht machen kann. Ich kann nur mir selbst treu bleiben. Wenn ich mit einer positiven Einstellung einen Film mache, wo ich authentisch bin, anstatt mich selbst zu beweihräuchern, habe ich die Chance, ein Publikum zu erreichen.
Was wollten Sie denn mit Ihrer Satire „Tanz der Titanen“ erreichen, wo die Chefs der G7-Staaten dilettantisch mit einer globalen Krise ringen? Wollten Sie sich über den Zustand der Welt lustig machen?
BLANCHETT: Letzteres war nicht mein Ziel. So sehr ich die Welt liebe, das, was wir ihr antun, ist alles andere als lustig. Wir müssen den Dingen offen ins Auge schauen, aber wenn wir das zu direkt tun, dann verlieren wir das Publikum. Die Leute sollen auch imstande sein, zu lachen und sich geistig zu durchlüften. Nur so sind sie imstande, sich mit der Situation auseinanderzusetzen. Der sicherste Weg in den Schlund der Apokalypse ist es, nicht darüber zu sprechen und zu denken, das ist das Problem der anderen. Wir dürfen uns nicht mental abkoppeln und passiv bleiben. Aber das Kino ermöglicht es uns eben, dank der Fantasie in solche Themen einzutauchen.
Wie bewerten Sie denn die Lage der Welt aus Ihrer Sicht?
BLANCHETT: Ich bin optimistische Pessimistin. Meine Devise heißt: Plane für den Schlimmstfall und hoffe auf das Beste. Aber ich fühle mich natürlich auch von den ganzen Problemen überwältigt – ob Klimawandel oder mangelnde Gleichberechtigung. Und jetzt haben wir es auch noch mit KI zu tun. Ich kann es gar nicht fassen, dass wir als Normalbürger keinen Einfluss haben. Alle sind davon betroffen, aber keiner hat die Chance, darüber abzustimmen. Wir können entscheiden, ob wir mehr Vertreter indigener Gruppen ins Parlament holen, aber nicht, ob bestimmte Unternehmen unsere Identität kontrollieren. Wir können nur schauen, dass wir das einigermaßen wohlbehalten durchstehen, aber ich weiß nicht wie. Das ist eine Riesenbedrohung. Ich habe vier Kinder und deshalb zerbreche ich mir häufig über die Zukunft den Kopf.
Glauben Sie denn, dass KI uns Menschen eines Tages ersetzen wird?
BLANCHETT: Das denke ich nicht. Und der Grund dafür ist: Wir sind alle sterblich. Das ist unsere Grundmotivation und prägt unsere Auseinandersetzung mit der Welt. Es gibt zwar ein paar Milliardäre mittleren Alters, die ihre Sterblichkeit gerne leugnen und lieber zum Mars fliegen. Aber auch sie sind dem Tod geweiht. Und KI hat eben nicht dieses Bewusstsein. Es kann es bestenfalls auf künstliche Weise duplizieren. Trotzdem stellt es natürlich eine Bedrohung dar.
Wie sehen denn Ihre Kinder die ganze Situation?
BLANCHETT: Die sind auf seltsame Weise optimistisch. Sie haben eine ganz klare Perspektive auf die Welt. Ich habe sie auch schon früh in meine karitative Arbeit eingebunden und in Flüchtlingscamps mitgenommen. Beim Abendessen haben wir immer wieder über Umweltthemen gesprochen. Ich bin so dankbar, dass sie so gut informiert und auch so ehrlich sind. Wenn sie Probleme sehen, dann denken sie an Lösungen und sie lassen sich nicht einreden, dass alles okay ist. Deshalb liebe ich es auch, mit ihnen über solche Themen zu diskutieren.
Ihre Söhne sind ja inzwischen erwachsen und verlassen das Haus. Wie erleben Sie diesen Prozess?
BLANCHETT: Er ist extrem schmerzvoll für mich. Denn ich sehe eben wie meine Kinder in diese brutale Welt hinaustreten. Mein spontaner Instinkt ist es, sie davor zu beschützen, aber das geht nun mal nicht. Als Elternteil macht man viele Fehler. Letztlich bleibt dir einfach nichts anderes übrig, als zuzuschauen, was deine Kinder alles erleben.
Wann haben Sie selbst zum ersten Mal erfahren, wie hart die Welt sein kann?
BLANCHETT: Ich war zehn, als mein Vater an einem Herzinfarkt starb. Das war extrem einschneidend. Ein Jahr lang habe ich gewartet, ob er nicht doch zurückkommen würde.
Wie kamen Sie auf den Gedanken, dass Ihr Vater von den Toten auferstehen könnte?
BLANCHETT: Meine beste Freundin, die ich aus dem Kindergarten kannte, ging auf eine katholische Grundschule. Ich fand diese Welt immer interessanter als meine. Meine Schule grenzte an die ihre an, ich konnte über den Zaun hinüber schauen, und so habe ich gesehen, wie viel lebendiger es da drüben zuging. Ich wäre am liebsten auf die andere Seite gewechselt, aber zumindest ging ich mit meiner Freundin jeden Sonntag in die katholische Messe. Die Rituale dort waren so geheimnisvoll, ich war total fasziniert. Von den dunklen Umtrieben der katholischen Kirche wusste ich ja nichts. Aber aus dieser Faszination des Katholizismus entstand der Gedanke, dass der Tod nicht endgültig ist. Aber im Laufe der Zeit habe ich dann begriffen: ‚Nein, er kommt nicht zurück.‘
Das heißt, Sie haben jetzt nichts mehr für die Religion übrig?
BLANCHETT: Oh Mist, wir haben doch gar nicht genügend Zeit, um über dieses Thema zu sprechen. Ich finde die organisierte Religion jedenfalls sehr problematisch. Denn sie predigt Gewissheit und lässt keinen Zweifel zu. Ich bin jedenfalls kein Mensch, der sich seiner Sache sicher ist. Ich bin auch nicht abergläubisch. Und ich lasse mir keine Ängste einflößen, was viele Konfessionen tun wollen. Andererseits finde ich es gut, dass ich mich an Religionen reiben kann. Denn weil ich mich darüber aufrege, merke ich, dass mich das ganze Thema nicht kaltlässt. Das heißt, da könnte doch etwas Wahrhaftiges dahinterstecken.
Was ist für Sie zum Beispiel wahrhaftig?
BLANCHETT: Meine Beziehung zum Land und zur Natur. In diesem Gefühl steckt eine tiefe Weisheit verborgen. Die haben wir als Spezies leider ignoriert. Und das hat uns nicht gerade gutgetan.
Zur Person Cate Blanchett, geboren am 14. Mai 1969 im australischen Melbourne, zweifache Oscargewinnerin und mit über 150 internationalen Film- und Festivalpreisen geehrt, hat in ihrer abwechslungsreichen Karriere die verschiedenartigsten Charaktere gespielt. Mit dem nun in den deutschen Kinos anlaufenden Film „Tanz der Titanen“, einer düsteren Satire über einen aus den Fugen geratenen G7-Gipfel, kommt eine ganz besondere Rolle dazu: die deutsche Bundeskanzlerin. Blanchett ist seit 1997 mit dem Drehbuchautor Andrew Upton verheiratet und lebt mit ihrer Familie bei Sydney.
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