Tablette geschluckt, Schmerzen weg, alles gut? Nicht ganz. Der Konsum von Medikamenten hat Folgen, die weit über die Person hinaus gehen, die ihre Beschwerden lindern will. Im Körper wird oft nur ein Bruchteil verarbeitet, der Rest gelangt über Ausscheidungen ins Abwasser – oder auch deshalb, weil Menschen Medikamente über Abfluss oder Toilette entsorgen.
Weil auch Kläranlagen nicht alle Stoffe herausfiltern können, bleiben diese in den Gewässern – mit Folgen. Was das für Tiere bedeuten kann, zeigt eine im Fachmagazin Science veröffentlichte Studie: Die beobachteten Atlantischen Lachse wurden den Forschenden zufolge durch die Rückstände von Arzneimitteln im Wasser risikofreudiger. Konkret untersucht wurde unter anderem der in Epilepsie- und Angststörungs-Medikamenten enthaltene Benzodiazepin-Wirkstoff Clobazam, der das Verhalten der Fische veränderte.
In Gewässern weltweit sind mehr als 900 pharmazeutische Wirkstoffe gefunden worden
Die Lachse wurden im Labor einer Dosis des Wirkstoffs ausgesetzt, wie sie auch in der Umwelt vorkommen kann. Dann markierte das Team um Jack Brand und Michael Bertram die Fische mit Sendern, ebenso wie eine Kontrollgruppe, die keine pharmazeutischen Stoffe bekommen hatte. Anschließend wurden die Tiere im schwedischen Fluss Dalälven ausgesetzt.
Clobazam hatte der Studie zufolge sowohl positive als auch negative Folgen: Im Vergleich zur Kontrollgruppe überwand eine höhere Anzahl der behandelten Fische die Dämme im Fluss und erreichte die Ostsee. Gleichzeitig bewegten sich diese Lachse – mutmaßlich wegen höherer Risikobereitschaft – weniger als üblich in Gruppen fort, was sie nach Einschätzung der Studienautoren zu einer leichteren Beute für Fressfeinde macht. Die Ergebnisse verdeutlichten, wie sich Wirkstoffe auf überlebenswichtige Ver-haltensweisen auswirken könnten, heißt es in der Studie.
In Gewässern auf der ganzen Welt sind nach Angaben der Forschenden mehr als 900 pharmazeutische Wirkstoffe gefunden worden. Dem Umweltbundesamt zufolge werden besonders häufig Schmerzmittel, Antibiotika, Hormone, Betablocker, Kontrastmittel und Antidepressiva nachgewiesen - in Seen, Flüssen und im Grundwasser. Vereinzelt kommen auch Spuren im Trinkwasser vor.
Mit der alternden Bevölkerung steigt der Konsum von Medikamenten
Gerd Maack vom Umweltbundesamt gibt aber leichte Entwarnung: „Im Trinkwasser sind die Konzentrationen noch mal geringer, weil Trinkwasser noch aufgearbeitet wird.“ Er nennt ein Beispiel: „Um die Menge einer 400-Milligramm-Tablette Ibuprofen über das Trinkwasser aufzunehmen, müsste man 40 olympische Swimmingpools austrinken.“

Klaus Kümmerer, Experte für nachhaltige Chemie und Pharmazie sowie stoffliche Ressourcen von der Leuphana Universität Lüneburg, weist allerdings darauf hin, dass je nach Verfahren der Aufbereitung auch neue, teils giftige Stoffe entstehen können. Außerdem könnten Arznei-Rückstände im Körper landen, wenn etwa Gemüse mit verunreinigtem Klärschlamm gedüngt oder kontaminiertem Wasser gegossen wird.
Beide Experten sprechen sich dafür aus, Medikamente sparsamer zu verwenden. Verschärft wird das Problem durch die demografische Entwicklung, denn im Schnitt nehmen Ältere deutlich mehr Medikamente als Jüngere. Auch der Klimawandel macht sich bemerkbar. Die Hitzeperioden werden mehr. Allein dadurch gebe es schon Kreislaufprobleme – nochmal verstärkt bei der älteren Bevölkerung, so Maack vom Umweltbundesamt. Das könne den Arzneikonsum erhöhen.
Pharmaunternehmen sollen für die Aufrüstung von Kläranlagen anteilig aufkommen
Der Chemiker Kümmerer hat bei Pharmaunternehmen darauf hingewirkt, die Zusammensetzung von Medikamenten umweltfreundlicher zu gestalten. Diese seien häufig stabiler konzipiert als nötig – etwa um die Haltbarkeit zu steigern. Das sei „Teil des Problems“. Stattdessen müsse eher gefragt werden: „Unter welchen Bedingungen muss es wie lang stabil sein?“
Die EU hat Ende vergangenen Jahres in einer Richtlinie festgelegt, dass Pharmaunternehmen unter bestimmten Bedingungen für die Aufrüstung von modernen Kläranlagen anteilig aufkommen müssen. Die Mitgliedsstaaten sollen bis Ende 2028 entsprechende Maßnahmen umsetzen. Dagegen haben mehrere Pharmaunternehmen bereits Klage eingereicht. Kümmerer sieht in den neuen EU-Vorgaben hingegen einen weiteren Antrieb für Unternehmen, die Zusammensetzung ihrer Medikamente zu prüfen.
Das Umweltbundesamt betont, dass auch die Art der Entsorgung von abgelaufenen Arzneien eine wichtige Rolle spielt. Dabei gilt: keinesfalls in die Toilette oder den Ausguss leeren. Ob Medikamente in den Hausmüll gehören oder auf den Recyclinghof, ist regional unterschiedlich geregelt. Die offizielle Website arzneimittelentsorgung.de hilft bei der Suche nach der richtigen Lösung. (Larissa Schwedes, dpa)
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