Sigourney Weaver, im Film „The Gorge“ spielen Sie Bartholomew, eine gefühlskalte Figur, die hochriskante Entscheidungen trifft. Hinterlassen solche Charaktere bei Ihnen manchmal auch emotionale Spuren?
Sigourney Weaver: Bartholomew hat mich sofort fasziniert, weil sie sehr ernst und zielorientiert ist – komplett anders als ich. Sie trifft harte Entscheidungen, ohne mit der Wimper zu zucken, was mich wirklich herausgefordert hat. Ich liebe Rollen, die mich in diese Extreme treiben. Auch wenn ich am Ende des Tages die Figur ablegen kann, bleibt manchmal etwas von ihrer Stärke oder Kälte hängen. Das ist der spannende Teil am Schauspiel.
Was würden Sie von dieser Figur gerne in Ihre eigene Welt mitnehmen?
Weaver: Ja, vielleicht ihre Rücksichtslosigkeit! (lacht) Nein, im Ernst, sie ist unglaublich gut darin, Menschen einzuschätzen und instinktiv schnelle Entscheidungen zu treffen. Ich hoffe, dass ich das auch kann, aber sie beherrscht das besonders im geschäftlichen Kontext, wo ich eher Nachholbedarf habe. Ein bisschen mehr Schärfe im Business könnte mir sicher nicht schaden.
Wenn Sie selbst in einer Schlucht wie in „The Gorge“ gestrandet wären, 365 Tage in einem der Wachtürme – was bräuchten Sie, um Ihre geistige Gesundheit zu bewahren und tatsächlich ein Jahr dort zu überleben?
Weaver: Das ist eine interessante Frage. Ohne Internet wäre es wichtig, großartige Bücher dabei zu haben. Wahrscheinlich würde ich Werke von Thomas Mann mitnehmen, klassische Literatur, die einen wirklich fesseln kann. Und Musik! Ich würde definitiv Musik einpacken und vielleicht sogar ein Instrument, um mich zu unterhalten. Man müsste wirklich kreativ sein, um so lange ohne Kontakt auszukommen. Und man müsste gut darin sein, allein zu sein – was ich ehrlich gesagt nicht so gut kann. Wahrscheinlich würde ich Freundschaft mit einem Eichhörnchen schließen.
Sie haben viele ikonische Rollen gespielt. Gab es einen Moment, in dem Ihnen klar wurde, dass Sie nicht nur ein großer Star sind, sondern auch eine dauerhafte Figur der Filmgeschichte?
Weaver: Ganz ehrlich, ich glaube, diesen Moment hatte ich nie. Ich bin immer so auf das Hier und Jetzt fokussiert, dass ich selten zurückblicke. Aber genau das ist vielleicht mein Antrieb. Bei Bartholomew hat mich gerade das fasziniert – statt die Zeit zu haben, eine Figur über einen ganzen Film hinweg aufzubauen, musste ich in einer einzigen Szene alles auf den Punkt bringen. Ihre Stärke, Intelligenz, aber auch ihre Unberechenbarkeit – all das in wenigen Minuten glaubhaft zu vermitteln, war eine Herausforderung, die ich einfach lieben musste. In dieser Phase meiner Karriere reizen mich solche intensiven, präzisen Momente. Es ist wie ein kleiner Adrenalinkick, wenn man weiß, dass man keine zweite Chance hat. Und genau das macht es für mich spannend.
Sie haben in Ihrer Karriere konstant starke, komplexe Frauenfiguren gespielt – Frauen mit Tiefe, Mehrdimensionalität und Macht. Glauben Sie, dass es heute für Frauen in der Branche leichter geworden ist? Oder gibt es da immer noch Luft nach oben?
Weaver: Es hat sich definitiv viel verbessert. Gerade für ältere Frauen wie mich hat sich das Angebot an Rollen enorm erweitert. Früher war man oft auf die „furchtbare Schwiegermutter“ reduziert – das war es dann. Heute sehen wir Frauen in Rollen, die früher ausschließlich Männern vorbehalten waren. Bartholomew zum Beispiel wäre vor Jahren mit Sicherheit ein männlicher Charakter gewesen.
Denken Sie, dass wir im Film schon weiter sind als in der Realität?
Weaver: Ja, ich würde sagen, in vielen Bereichen sind wir im Film sogar weiter als im echten Leben. Es gibt mehr Gleichberechtigung und Respekt. Wir haben heute viel mehr Frauen als Regisseurinnen, Szenenbildnerinnen und generell in Filmcrews, und das ist so wichtig für die Gesundheit der Branche. Für mich ist es eine aufregende Zeit, noch aktiv zu sein und vor allem wie eben jetzt mit jungen Talenten wie Miles Teller und Anya Taylor-Joy zu arbeiten.
Sie haben viele unvergessliche Charaktere gespielt. Gibt es eine Figur, die für Sie einen ganz besonderen Platz in Ihrem Herzen hat? Jemanden, den Sie nicht loslassen konnten – oder wollten?
Weaver: Oh, das ist schwer zu sagen. Ich glaube, ich könnte mich nicht auf eine einzige Rolle festlegen. Es fühlt sich an, als würden all diese Figuren noch irgendwo in meinem Kopf herumschwirren. Aber ich bin immer am meisten von dem begeistert, was ich gerade tue. Ich habe gerade drei Monate lang in London Prospero in „Der Sturm“ gespielt – eine unglaubliche Rolle für eine Frau und eine echte Herausforderung.
Sie sind jemand, der sehr viel arbeitet. Wie wichtig ist Ihnen dabei die Balance zwischen Arbeit und Privatleben?
Weaver: Ja, ich arbeite viel. Manchmal muss ich mich wirklich zwingen, aus dieser Blase auszutreten und die Realität wieder einzufangen. Ich habe schon Projekte gehabt, bei denen ich wochenlang keine Nachrichten gelesen habe, weil ich komplett in einer anderen Welt war. Aber nach intensiven Projekten nehme ich mir bewusst Zeit für meine Familie. Oft mache ich dann eine Reise oder treffe Freunde – das Leben ist einfach unglaublich interessant, und es gibt so viele Dinge, die man genießen kann. Gleichzeitig gibt es so viel zu tun. Menschen zu helfen und die Welt sicherer zu machen, ist eine große Aufgabe, der wir uns widmen müssen. Es ist wichtig, den Blick auf die Welt nicht zu verlieren.
Apropos Reisen, gibt es einen Ort, den Sie dieses Jahr unbedingt besuchen möchten?
Weaver: Ja, ich würde wahnsinnig gerne nach Schottland oder Irland reisen. Ich war tatsächlich noch nie dort, auch nicht in den kleinen, abgelegenen Inseln im Norden. Das fasziniert mich total. Auch Norwegen steht auf meiner Liste – irgendwie zieht es mich derzeit in den hohen Norden. Da gibt es noch so viel zu entdecken!
Wenn Sie mit all den Erfahrungen, die Sie heute haben, an den Anfang Ihrer Karriere zurückkehren könnten – welchen Ratschlag würden Sie Ihrem jüngeren Ich geben?
Weaver: Ich würde sagen, achte immer auf die Geschichte. Ein gutes Drehbuch ist entscheidend, denn kein Schauspieler kann allein zwei Stunden lang das Publikum fesseln, wenn die Story nicht trägt. Das habe ich früh gelernt, vielleicht auch, weil ich keine Theater-, sondern Englisch-Studentin war.
Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Schulzeit?
Weaver: Nicht gerade die besten! (lacht) Ich war ein totaler Verlierer! Mit elf Jahren war ich schon so groß wie heute – viel größer als alle anderen. Ich musste erst in meinen Körper hineinwachsen und das Selbstbewusstsein entwickeln, das zu meiner Größe passt. (grinst) Das hat ein paar Jahre gedauert, aber im Nachhinein hat es mich auch stärker gemacht.
Und heute sind Sie eine der prägendsten Figuren der Filmgeschichte – ein schöner Kontrast, oder?
Weaver: Ja, absolut. Deshalb schätze ich es umso mehr, dass ich jetzt in Rollen schlüpfen kann, die mich nicht nur herausfordern, sondern manchmal auch zum Lachen bringen. Und genau das suche ich – Rollen, die das Publikum zum Lachen bringen oder zumindest zum Nachdenken anregen.
Sie sind zum Vorbild vieler Jungschauspielerinnen geworden. Wer hat Sie in Ihrer Karriere inspiriert?
Weaver: Meine Mutter. Sie war immer meine größte Inspiration – sowohl in Bezug auf ihre Stärke als auch auf ihre Weisheit. Und als Schauspielerin habe ich Ingrid Bergman bewundert. Sie hatte diese unglaubliche Präsenz, kombiniert mit Verletzlichkeit und Eleganz. Das hat mich nachhaltig geprägt.
Sie sind im Oktober 75 geworden und wirken sehr entspannt, was das Älterwerden betrifft.
Weaver: Ich mag meinen Körper so, wie er jetzt ist. Früher habe ich immer eine Macke gefunden und hatte etwas auszusetzen. Jetzt habe ich endlich Kurven – ich gebe zu, dass diese mit dem Alter kamen, aber das macht mir nichts aus. Ich bin froh, dass sie da sind! (lacht)
Und ich finde, wir unterschätzen oft, wie schön ältere Menschen sein können. Es ist nicht nur das Äußere, sondern die Erfahrungen und die Stärke, die man im Laufe der Jahre gewinnt. Genau das macht für mich wahre Schönheit aus.
Glauben Sie, dass sich Menschen im Laufe ihres Lebens wirklich verändern können?
Weaver: (zögert) Ich glaube, Menschen entwickeln sich, besonders wenn sie älter werden. Man verschwendet seine Zeit nicht mehr mit Dingen, die einem unwichtig sind. Ich war ein Spätzünder und habe mich natürlich seit meiner Jugend sehr stark verändert. Aber können Menschen ihre grundsätzliche Freundlichkeit oder ihr Wesen ändern? Ich glaube nicht. Was sich ändern kann, ist die Perspektive. Die Lebenserfahrung macht manche Menschen bescheidener oder lässt sie aufwachen und erkennen, dass vieles im Leben ganz anders ist, als sie ursprünglich dachten. Das finde ich faszinierend.
Sie sagen, dass Sie ein Spätzünder waren. Was war Ihr persönlicher Wendepunkt?
Weaver: Als ich meinen Mann kennenlernte und ihn heiratete.
Sie sind seit 1984 verheiratet. Das ist heute fast schon außergewöhnlich.
Weaver: (schwärmt) Jim ist ein wunderbarer Mensch. Eine Ehe mit dem richtigen Partner zu führen, ist unbeschreiblich schön. Jemanden an seiner Seite zu haben, der einen unterstützt und an einen glaubt, ist das größte Geschenk, das es gibt. Ich hatte das Glück, dieses Geschenk in meinem Leben zu finden – und dafür bin ich jeden Tag dankbar.
Zur Person Sigourney Weaver, geboren am 8. Oktober 1949 in New York, wurde mit ihrer ersten Kinohauptrolle zum Star: Als Ellen Ripley in „Alien“ (1979), die sie auch in allen Fortsetzungen spielte. Die 1,84 Meter große Weaver erhielt drei Oscar-Nominierungen für „Aliens – Die Rückkehr“, „Gorillas im Nebel“ (1988) und „Die Waffen der Frauen“ (1988) und gilt als eine der gefragtesten Charakter-Darstellerinnen Hollywoods. Seit 1984 ist sie mit dem Regisseur Jim Simpson verheiratet, mit dem sie eine Tochter hat. Derzeit ist sie auf AppleTV+ im Sci-Fi-Thriller The Gorge (Regie Scott Derrickson) zu sehen. Darin entwickeln zwei Agenten (Miles Teller, Anya Taylor-Joy) eine unerwartete Verbindung, während sie stationiert auf zwei gegenüberliegenden Wachtürmen eine rätselhafte Schlucht bewachen.
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