„Typisch Emil“ feiert Ihre Jahrzehnte lange Kabarettistenkarriere, aber auf der Welt geht es momentan nicht gerade lustig zu. Bleibt Ihnen das Lachen im Hals stecken?
EMIL STEINBERGER: Durchaus. Fast jede Stunde kommt eine neue Meldung: Das wird geändert, das wird verboten, der wird eingekerkert. Auf der Welt geht es hin und her. Da gibt es Leute, die mir sagen „Steinberger, mir ist nicht mehr zum Lachen zumute“. Und Sie haben recht. Es ist ganz schwierig. Aber der Film verfolgt zumindest ein Leben, das sehr vielseitig war und ist, und deshalb kann man diese Mischung sehr gut goutieren.
Sie haben eine unglaubliche Glückssträhne an Erfolgen zu verzeichnen. Hatten Sie je Angst, dass diese reißen könnte?
STEINBERGER: Nein, weil ich mir nie Ziele gesetzt habe. Ich habe alles dahin fließen lassen, bis ich das Gefühl hatte: Die Zeit ist reif dafür. Und dann habe ich das gemacht. Eine Astrologin meinte einmal zu mir, ich sei unter unglaublich glücklichen Vorzeichen geboren worden.
Historisch gesehen war Ihre Geburt nicht gerade von Glück gesegnet, denn Sie sind Jahrgang 1933. Was haben Sie in der Schweiz von dem wahrgenommen, was in der Welt vor sich ging?
STEINBERGER: Sehr viel. Denn mein Vater hat damals viel Zeitung gelesen und Radio gehört. Nach dem Abendessen hat er sofort immer Stationen gesucht, die von den Geschehnissen an der Front berichtet haben. Bei uns gab es Rationierungen, Lebensmittel bekam man nur auf Marken. Wir haben auch nachts die Bomber der Alliierten gehört, wie sie über die Schweiz geflogen sind. Einmal, da war ich in der sechsten Klasse, ist eine amerikanische Maschine, die man abgeschossen hatte, bei uns im Wald notgelandet. Bei Fliegeralarm mussten wir in den Luftschutzkeller. Es war ein komisches Gefühl, nachts mit den Nachbarn auf engem Raum zu sitzen. Wir wussten damals schon, dass die Welt nicht heilig ist. Und ich kann mich noch gut erinnern, wie meine Mutter 1945 in mein Zimmer kam und gesagt hat „Emil, der Krieg ist vorbei.“ Und dann haben überall die Kirchenglocken geläutet.
Sie fingen als Junge an, Sketche zu improvisieren. War das eine Reaktion, um diese Erfahrungen zu verarbeiten?
STEINBERGER: Nein, überhaupt nicht. Ich war Ministrant, und da habe ich einfach spaßige Einlagen geboten oder in der Schule habe ich aus dem Stegreif Sketche gespielt. Aber die hatten keinen Bezug zum Zustand der Welt.
Ist Ihnen der Glaube erhalten geblieben?
STEINBERGER: Ich bin von der Kirche oft enttäuscht worden. Als ich um die 30 war, hat mir der Pfarrer verboten, am Sonntag mit meiner evangelischen Freundin in deren Gottesdienst zu gehen. Als ich gebeichtet habe, meinte er zu mir „Wenn du mir versprichst, das nicht mehr zu tun, dann kann ich dir die Absolution erteilen.“
Und Sie?
STEINBERGER: Ich habe diplomatisch geantwortet „Ich probiere es“. Und so hat er mir meine Sünden vergeben. Aber der Clou war dann, dass am nächsten Sonntag der evangelische Pfarrer bei uns im Gottesdienst als Gastprediger auf der Kanzel unserer katholischen Kirche stand. Das war ein Hammerschlag.
Man kann ja auch ohne Konfession an Gott glauben...
STEINBERGER: Das ist ein Thema, das ich als Kabarettist immer gemieden habe. Denn jeder Mensch hat seine eigene Vorstellung von Gott und der Kirche und den einzelnen Postulaten des Glaubens, und ich wollte mich darüber nie lustig machen. Deshalb möchte ich auch jetzt meine Position nicht kundtun. Denn das hat eben nicht die gleiche Wirkung als wenn das Herr Müller von Nebenan sagen würde.
Nochmal zurück zu Ihrer Kindheit und Jugend. Wie haben Sie damals auf Deutschland geblickt?
STEINBERGER: Ich habe die Deutschen immer bestaunt. Zum ersten, weil sie viel besser im Reden sind. Sie haben den größeren Wortschatz und können schnell sprechen und verstehen den anderen trotzdem. Nur wir Schweizer können da nicht folgen, weil es so schnell geht. Während des Krieges brachte mein Vater mal eine deutsche Zeitschrift namens „Signal“ nach Hause. Da staunten wir über die Qualität des Papiers, des Vierfarbendruckes und natürlich über die Flugzeuge und technischen Erfindungen und Produktionen, die die Deutschen trotz des Krieges realisieren konnten. Und ansonsten waren wir als Schweizer eben neutral in unserer Haltung.
Was überrascht Sie heute an den Deutschen?
STEINBERGER: Dass sie Deutschen überrascht sind, wie gut wir über ihr Land informiert sind. Wir halten uns immer auf dem Laufenden, was bei euch passiert. Rein persönlich kann ich bestimmte Dinge nicht verstehen. Zum Beispiel das System der Koalition. Da stimme ich für eine Partei, und dann geht die mit ihrem Gegner zusammen. Und dann müssen sie sich im Voraus besprechen, welche Probleme sie lösen wollen und wie sie sie lösen wollen. Bei uns kann jeder Politiker abstimmen, wie er will. Er muss sich nicht unbedingt an eine Koalition halten, in der er seine Meinung nicht mehr frei äußern kann. Wenn der so genannte Gegner dabei ist, dann kann man ja vielleicht nur noch 50 Prozent seiner Vorstellungen umsetzen. Wobei natürlich auch bei uns Kompromisse immer an der Tagesordnung sind.
War es für Sie auch verwunderlich, dass Sie mit Ihrem Humor das deutsche Publikum eroberten?
STEINBERGER: Das war für mich natürlich eine große Überraschung. Aber das hing auch damit zusammen, dass man bei den Deutschen die gleichen Verhaltensmuster wie bei den Schweizern findet. Ich musste auf keine Nummer verzichten und auch keine Nummer abändern. Beim Allgemeinmenschlichen gibt es keine großen Unterschiede. Das bleibt nicht in einem Land stecken. Und wenn du die Menschen im Herzen berühren kannst, dann hast du gewonnen.
Sie haben in den 1990er-Jahren auch in New York gelebt. Hätten Sie sich vorstellen können, dort auf die Dauer zu bleiben?
STEINBERGER: Eigentlich wollte ich ja dort nur ein Jahr bleiben und dann habe ich mich vor Ort sehr wohlgefühlt. Aber ich war sehr froh, dass ich mit meiner zweiten Frau, Niccel, die ich in New York geheiratet habe, den Entschluss gefasst habe, wieder zurück in die Schweiz zu gehen. Denn in den letzten beiden Jahren in New York haben wir nur für europäische Projekte gearbeitet. Und so sagten wir uns: Es macht doch keinen Sinn, weiterhin in New York zu sitzen und für ein teures Leben zu bezahlen. Wir haben uns dann für die Schweiz entschieden, weil das unser Arbeitsumfeld war und wir uns da wohlgefühlt haben. Allerdings für die französischsprachige Schweiz, nämlich Montreux. Nach 15 Jahren wollten wir aber wieder alles verstehen, was man zum Beispiel im Theater hört, und nicht nur 70 Prozent. So sind wir nach Basel umgezogen.
Eine Reise mit unbekanntem Ziel steht Ihnen noch bevor. Denken Sie mit 92 schon ans endgültige Abschiednehmen?
STEINBERGER: Überhaupt nicht. Ich habe mich nie mit dem Alter beschäftigt. Ich habe sogar vergessen, mich für die Rente anzumelden, was dann zum Glück der Staat für mich gemacht hat. Als man mir bei meinem 80. Geburtstag gesagt hat „Weißt du, dass du heute 80 bist“, musste ich den Gedanken sofort wieder beiseiteschieben. Ich wollte nicht darüber nachdenken. Mein Leben ist interessant, es gibt immer wieder neue, wichtige und lustige Sachen. Manchmal bekomme ich auch einen Dämpfer, das ist logisch, aber im Prinzip denke ich nur vorwärts.
Der Ruhestand wäre also für Sie nie infrage gekommen?
STEINBERGER: Nein. Mein Arzt hat mir gesagt „Wenn Patienten keine anderweitige Beschäftigung haben, geht es mit ihnen bergab, sobald sie in die Rente kommen. Man sollte sich vorher ein Hobby anschaffen, das man auch nach 65 noch machen kann.“
Aber selbst, wenn Sie nicht an die eigene Endlichkeit denken, so werden Sie damit konfrontiert, wenn Menschen aus Ihrem Umfeld gehen müssen...
STEINBERGER: Es ist traurig, dass man sich verabschieden muss. Ganz besonders, wenn es tolle, kreative Menschen waren, die etwas zur Welt beigetragen haben. Dann ist es schwierig. Aber wo es hingeht, das weiß niemand.
Für Ihr Wohlbefinden in diesem Leben dürfte jedenfalls Ihre zweite Frau Niccel sorgen. Haben Sie eine Erklärung dafür, weshalb Sie dieses Glück gefunden haben?
STEINBERGER: Wenn man etwas Gutes macht, dann kommt es irgendwann zurück. Ich habe den Zirkus Roncalli 1980 in Köln mit Geld und meiner Arbeit als Regisseur unterstützt. Die Künstler meinten „Wenn der Emil wieder zurück in die Schweiz geht, dann gehen wir auch.“ Also habe ich das bis zur Premiere durchgezogen, und es wurde ein Riesenerfolg. Meine spätere Frau, die damals 15 war, ging in die Vorstellung und bekam dadurch den Wunsch, Clown zu werden. Aber das ist ja nicht so einfach. Also hat sie mir mit 20 Jahren einen Brief geschrieben: „Herr Steinberger, können Sie mir sagen, wo ich eine gute Clownschule besuchen kann?“ Wir hatten dann zehn Jahre Briefkontakt. Zu ihrem 30. Geburtstag versprach sie ihrer Mutter, dass sie beide nach New York fliegen, wo ich gerade war. Dort haben wir uns zum ersten Mal getroffen. Sie sind dann wieder zurückgereist, und ein Jahr lang habe ich ganz seriös überlegt: Will ich noch eine Beziehung eingehen? Schließlich habe ich sie gefragt: „Hat es dir gefallen?“ Sie meinte, ja, und so habe ich gesagt: „Komm doch noch einmal.“ Das hat sie gemacht, und so habe ich die Tür geschlossen. Seither leben wir zusammen. Das Leben hat mir ein Gegengeschenk gemacht, und das finde ich ein tolles System.
Zur Person
Seit den 1970er-Jahren gehört Emil Steinberger zur Spitze des deutschsprachigen Kabaretts. Als Jugendlicher improvisierte er Sketche, machte aber erstmal eine Lehre als Postbeamter und Grafiker. Nach ersten Auftritten eröffnete er das Kleintheater Luzern, es folgten Soloprogramme wie „E wie Emil“ und „Emil träumt“, die auch in der ARD gezeigt wurden. Steinberger verhalf dem Circus Roncalli zum Neustart, inszenierte Werbespots und gründete einen eigenen Verlag. In der Filmdokumentation „Typisch Emil“, die ab 19. Juni im Kino zu sehen ist, blickt der 92-Jährige auf sein Leben zurück.
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