Der Teig schmatzt nur so vor sich hin, wenn Minh ihn mit seinen dünnen, aber muskulösen Armen knetet. Mit einer Presse schneidet er dutzende, gleichgroße Kugeln heraus, zieht sie durch die Walze und rollt die Fladen zu Mini-Broten. Dann sortiert er die Teiglinge nebeneinander auf einem Blech. Und wenn sie aus dem Ofen kommen, sehen sie aus wie kleine Baguettes. Die dünne Kruste blättert ab, so knusprig ist das Brot. Minh schneidet es auf der Hälfte auf und quetscht Sauce aus einer großen Tube auf die Innenseiten des weißen Brotes. Ein Klecks Mayo, Salat, Fleisch und eingelegtes Gemüse: So viel wie möglich füllt er zwischen Boden und Deckel. Danach kommt das Sandwich noch für etwa 30 Sekunden in den Ofen. Frisch und warm – es ist fertig! Aber was eigentlich?
Was Minh Nguyen Van Hoan im Restaurant Banh Mi Minh in der Theresienstraße zubereitet, ist keinesfalls ein Croque Monsieur. Statt nach geschmolzenem Käse und Schinken, wie in einer Gasse mitten in Paris, weht eine Fahne von Zwiebeln, eingelegtem Gemüse und Knoblauch durch die Küche – eher wie an einer Ecke in Ho Chi Minh Stadt. Denn bei dem duftend warmen Sandwich handelt es sich nicht um ein gewöhnliches, belegtes Baguette, sondern um Banh Mi. Auf vietnamesisch heißt Banh „Brot“, Mi „Weizen“ - Weizenbrot also! Aber das allein beschreibt die vietnamesische Spezialität nicht, unterschlägt seine Vielfalt.
Bahn Mi oder la baguette vietnamienne
Die Verwechslung des Banh Mi mit einem belegten Baguette kommt aber nicht von irgendwo. „Ja, es kommt von den Franzosen“, gibt Minh zu. „Aber wir haben mit Fantasie unser eigenes, vietnamesisches Bahn Mi gemacht.“ Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts die französischen Kolonialherren die lokale Bevölkerung ausbeuteten, Reis, Kautschuk oder Kohl exportierten und die Herrschaft über die „Fédération Indochinoise“ an sich rissen – da wollten die Franzosen am anderen Ende der Welt nicht auf ihr geliebtes Baguette verzichten. Für die einheimische Bevölkerung blieb es anfangs ein Luxusbrot aus importiertem Weizen. Doch nach dem Ersten Weltkrieg begannen die Vietnamesen dem Weizenteig Reismehl hinzuzufügen und das banh tay – das Brot nach westlicher Art – war geboren.
Der wahre Teig erfordert jahrelange Geduld
„Der entscheidende Unterschied zum französischen Baguette ist der Teig“, weiß Bäckermeister Minh. Nach seiner Meisterprüfung arbeitete er in einer Bäckerei, doch zufrieden war er nicht. Er hatte gelernt, deutsches Brot perfekt zu backen. Aber in Deutschland gab es damals kaum Restaurants, die das Leibgericht anboten aus dem Land, aus dem er fliehen musste. „Banh Mi mit deutschem Baguette, das geht gar nicht!“, ist Minh überzeugt. „Das schmeckt ganz anders.“ Deswegen legte er selbst Hand an und experimentierte nach Ladenschluss zu Hause auf der Suche nach dem perfekten Teig. „Banh Mi muss fluffig und knusprig zugleich sein“, ist Minh wichtig. Ein Jahr lang hat er an dem perfekten Teig getüfftelt. Sobald er den Dreh raus hatte, machte er sich selbstständig und eröffnete das erste Banh Mi Restaurant Münchens.

Seit fast zehn Jahren betreibt der 39-Jährige nun schon das Banh Mi Minh. Zu Beginn folgten die Münchnerinnen und Münchner ganz dem Sprichwort „was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht“, erinnert sich Minh. Vor allem Vietnamesinnen und Vietnamesen suchten seinen Laden auf. Mit der Zeit änderte sich das. Wer sich einmal hineingetraut hat, der kommt wieder: „Nach drei Monaten kam ein erster Deutscher, jetzt ist er unser längster Stammkunde“, erzählt Minh.
Exportschlager: Wenn Deutsche Brot importieren
In den 1970er Jahren mussten viele Vietnamesen aus ihrem Heimatland fliehen und brachten so das Banh Mi in die ganze Welt, mit Erfolg. Heute liegt die asiatische Küche im Trend. Sie ist gesund, leicht, immer mehr Banh Mi Bistros öffnen in Deutschland. Das ist auch der Familie von Levi Pham zu verdanken. Seine Eltern kamen vor Jahrzehnten aus Vietnam in die damalige DDR. Als Kind der zweiten Generation ist er mit dem vietnamesischen Restaurant seiner Eltern in Bitterfeld in Sachsen-Anhalt aufgewachsen. „Damals hieß vietnamesisches Essen: gebratene Ente, Reisnudeln und Pho“, erzählt er. Noch heute sind einige Deutsche verwundert, wenn sie sehen, dass Brot auf der Karte steht. Das will Levi ändern und gibt sich kämpferisch: „Wir haben ein französisches Produkt genommen und ihm den vietnamesischen Stempel drauf gesetzt. Wir haben uns nicht unterkriegen lassen, es ist ein Siegeszeichen von Vietnam als souveränen Staat.“
Deswegen verkauft Levi seit Ende letzten Jahres ebenfalls das vietnamesische Sandwich. Das 1/2 Moon ist nur ein paar Straßen von Minhs Restaurant entfernt. Mittlerweile seien die Kundinnen und Kundinnen weniger skeptisch. Die vorwiegend jungen Maxvorstädterinnen und Maxvorstädter sind offen, meint der 30-Jährige. Ebenso wie Minh möchte er den Deutschen DEN vietnamesischen Alltagssnack schlechthin näherbringen. Schließlich sei Banh Mi herrlich für den Magen: „Das Weißbrot macht satt, dass Gemüse liefert Vitamine und Fleisch oder Ersatzprodukte wichtige Nährstoffe.“
Mayonnaise und Belag à la Vietnam
Für die südostasiatische Note sorgt auch das, was auf das Brot drauf kommt. Eingelegtes Gemüse, Karotten, Rettich und Leberpastete. Kräuter verleihen dem Baguette den eigenen Geschmack, Koriander spielt eine große Rolle in der vietnamesischen Küche. Und mit welchen Gewürzen garniert Minh sonst noch sein Banh Mi? Das will er nicht verraten. „Das ist unser eigener Geschmack“, sagt er und lacht. Aber was das Besondere an der Mayonnaise ist, erklärt er gern. „Vietnamesische Mayonnaise ist besser als deutsche, wenn man es einmal isst, dann merkt man den Unterschied sofort.“ Woran das liegt: „Es kommt viel Knoblauch rein und der Anteil an Eigelb ist viel höher.“ Dadurch werde die Mayonnaise etwas dicker, schmeckt nicht so fettlastig.
Jede Sorte ist individuell
Je nach Belag biete Minh außerdem verschiedene Saucen an: Rindsauce auf dem Bánh mi Bo, Fischsauce fürs Banh mi Cha Ca. „Die vegetarischen Sorten sind für die Deutschen“, sagt Minh und lacht. In Vietnam gibt es fast ausschließlich mit Fleisch belegte Sandwiches: mit Pathé, Rind, Lamm, Hühnchen oder Schwein. Doch in Deutschland gibt es immer mehr Menschen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren. Deswegen gibt es bei Banh Mi Minh auch Varianten mit frittierten und gebratenem Tofu. Insgesamt biete Minh fast zwanzig Varianten an.

Levi setzt sogar gleich ganz auf vegane Pathé. „Viele Deutschen können mit Innereien und Leberpaste nichts mehr anfangen“, ist er überzeugt. Deswegen hat er sein Banh Mi etwas europäisiert: nicht nur die Leberpastete lässt er weg, auch das Sandwich ist etwas größer. „Bei uns ist das Banh Mi nicht nur ein Snack, sondern eine volle Mahlzeit“, erklärt Levi. Er passt sich damit an die Essgewohnheiten der Deutschen an. Während man in Vietnam mehrmals täglich, dafür nicht so viel esse, bräuchten die Deutschen ihre drei Hauptmahlzeiten und dann auch ein gut sattmachendes Banh Mi.
Das vietnamesische Trendfood
Hanoi, Danang, Holan, Saigon: so heißen nicht die Sandwiches. In großen Neonbuchstaben hängen die Namen der vietnamesischen Städte an der Wand im Banh Mi Minh. Die große Wand gegenüber ist mit einer bunten Straßenszene vor einem Streetfood-Laden in Vietnam bemalt. Während Levi im 1/2 Moon auf einen modernen Mix aus vietnamesischer Tradition und europäischen Einflüssen setzt, möchte Minh Banh Mi wie in Vietnam anbieten. „100 Prozent wie in Vietnam geht nicht, aber ich glaube, mindestens 90 Prozent schaffen wir“, ist Minh überzeugt. Und wer an die 100 Prozent herankommen will, der trinkt Zuckerrohrsaft oder Kaffee dazu, aber auf die vietnamesische Art: mit Kondensmilch und Eiswürfeln.
Egal, ob klassisch oder europäisiert, eines vereint die beiden Gastronomen: Banh Mi ist nicht nur ihr Lieblingsessen, es ist ihre Leidenschaft. Jeden Tag könnten sie Banh Mi essen – und die Münchenerinnen und Münchener mittlerweile auch. Ganz wie in Vietnam essen es Studierende und Ältere, morgens, mittags, abends. Hüben wie drüben: Wer Hunger hat und schnell etwas auf die Hand sucht, der greift zum Banh Mi.
Rezept für ein Banh Mi Xiu Mai - Banh Mi mit Fleischbällchen

Zutaten:
4 Baguettebrötchen
Hühnerleberterrine
Mayonnaise, zum Bestreichen
200g Karotten-Rettich-Pickles
1 große Handvoll Korianderblätter
2 Frühlingszwiebeln, in 15 cm lange Stücke geschnitten
1 Mini-Gurke, in 8 Spalten geschnitten
Fleischbällchen:
500g Schweinehack
200g Wasserkastanien, abgespült und abgetropft, fein gehackt
3 Frühlingszwiebeln, in dünne Ringe geschnitten
3 Schalotten, fein gehackt
2 Knoblauchzehen, fein gehackt
1 TL frisch gemahlener weißer Pfeffer
3 EL Fischsauce
1 EL Zucker
1 EI
Sauce:
3 El Pflanzenöl
2 Knoblauchzehen, fein gehackt
1 Tomate, fein gehackt
200ml Hühnerbrühe
2 EL Tomatenmark
2 EL Fischsauce
1 EL Zucker
1 Prise Salz
- Für die Fleischbällchen alle Zutaten in eine große Schüssel geben und sorgfältig mischen. Die Masse mit der Hand zu einer Kugel formen, aus der Schüssel nehmen und einige Male schwungvoll wieder hineinwerfen - so verbindet sich alles gut.
- Einen Dämpfkorb aus Bambus mit Backpapier auslegen und auf einen Topf mit köchelndem Wasser setzen. Aus der Hackfleischmasse golfballgroße Kugeln formen. In den vorbereiteten Korb legen und 10 Minuten dämpfen. Beiseitestellen.
- Inzwischen für die Sauce in einer Pfanne mit dickem Boden bei mittlerer bis hoher Temperatur das Öl erhitzen. Knoblauch und Schalotten darin 2-3 Minuten anschwitzen, bis sie weich sind. Die Tomate dazugeben und 4-5 Minuten mitgaren, bis sie zerfällt- Hühnerbrühe, Tomatenmark, Fischsauce, Zucker und Salz dazugeben und alles zum Kochen bringen. Die Fleischbällchen in der Sauce 15 Minuten köcheln lassen, bis sie durchgegart sind und die Sauce eindickt.
- Die Baguettebrötchen auf-, aber nicht ganz durchschneiden. Die Unterseite großzügig mit Hühnerleberterrine und Mayonnaise bestreichen, dann Pickles, Koriander, Frühlingszwiebeln und Gurke dazugeben. Fleischbällchen und Sauce gleichmäßig auf die Brötchen verteilen. Zusammenklappen und servieren.

Quelle: „Vietnam Streetfood“ von Jerry Mai, Christian Verlag, 244 Seiten, 14,99 Euro
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