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Martin Suter im Interview: „Ich stehe unangemessen glücklich auf“

Interview

Martin Suter: „Ich stehe unangemessen glücklich auf“

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    Martin Suter schreibt im neuen Roman über „Wut und Liebe“
    Martin Suter schreibt im neuen Roman über „Wut und Liebe“ Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    Ihre Erfolgssträhne als Schriftsteller währt nun schon über 25 Jahre. Wenn Sie ein neues Buch veröffentlichen, zielen Sie da auf Platz 1 auf der Bestsellerliste?
    MARTIN SUTER: Die Chance, dass ich da lande, ist klein. Dafür müsste ich einen Fantasyroman schreiben. Aber selbst, wenn ich einige Plätze weiter hinten lande, sind das immer noch viele Leser. Auch Platz 5 ist toll.

    In Ihrem neuen Roman geht es nun um „Wut und Liebe“. Was hat die eine mit dem anderen zu tun?
    SUTER: Weil meine Bücher nichts mit der Welt allgemein zu tun haben, kann ich das nicht verallgemeinern. Aber ich habe aus eigener Erfahrung gelernt, dass die Liebe nicht ohne Wut und die Wut nicht ohne Liebe auskommt. In dem Roman spielt die Liebe eine große Rolle und die Wut, aber nicht die Liebe zueinander zur gleichen Zeit.

    Die große Liebe Ihres Lebens war Ihre 2023 verstorbene Frau. Hatten Sie jemals die Befürchtung, dass Ihre Kreativität nach diesem Verlust ins Stocken geraten könnte?
    SUTER: Als ich meinen Roman „Melody“ schrieb, war meine Frau schon sehr krank, und ich habe nicht gewusst, wie es möglich war, das zu schreiben. Ich habe immer gedacht, ich könnte auch nichts tun und muss nicht schreiben, aber inzwischen gehört das schon sehr zu meinem Leben. Deshalb habe ich keine Angst, dass ich dazu nicht mehr imstande bin. Natürlich kann es passieren, dass ich das eines Tages aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr kann. Dessen bin ich mir bewusst. Ich bin mir auch im Klaren, dass ich ein bisschen weniger Zeit habe. Wenn man alt wird, werden die Räume enger. Aber das alles beunruhigt mich seltsamerweise nicht sehr.

    Denken Sie häufiger an die enger werdenden Räume oder nur, wenn das im Interview zur Sprache kommt?
    SUTER: Durch den frühen Tod meines Sohnes und den Tod meiner Frau ist das schon sehr präsent. Aber damit sind keine trübsinnigen Gedanken verbunden. Es ist, wie es ist. Es gehört zum Leben dazu. Also kann ich mich damit abfinden.

    Es gibt ja die Vorstellung, dass Verstorbene nie wirklich weg gehen. Was meinen Sie dazu?
    SUTER: Das kann ich nachvollziehen. Es ist frappant, wie präsent meine Frau bleibt. Ich denke jeden Tag: Ich muss ihr etwas sagen, ich muss ihr eine SMS schicken. Sie ist sowohl in unserem Haus in Zürich wie in unserer Bleibe in Marrakesch anwesend. Sie ist gestorben, aber sie ist nicht verschwunden. Meine Tochter empfindet das genauso. Unsere Haushälterin, die seit 15 Jahren bei uns ist, sagte mir: „Sie geht nicht weg.“ Und das ist wahr.

    So gesehen würde unsere Vorstellung von Zeit und Vergänglichkeit zu kurz greifen. In Romanen wie „Die Zeit, die Zeit“ setzen Sie sich ja mit diesem Thema auseinander...
    SUTER: In der Tat beschäftige ich mich lange damit. Das war schon bei meinem ersten Drehbuch für den Film „Jenatsch“ der Fall. Da reist ein Journalist in das 17. Jahrhundert, um den Mord an der Titelfigur, eines Bündner Pfarrers und Politikers, zu lösen, und dann ist er derjenige, der den Mann tötet. Bei den Recherchen habe ich eine alte Dame, eine Nachfahrin dieses Jenatsch besucht, die in einer Burg wohnte. Wir standen beide am Fenster, und sie meinte: „Neben mir stehen meine Vorfahren. Da ist nur diese Zeit dazwischen, aber eigentlich schauen wir alle gemeinsam aus dem Fenster.“ Das hat sie mit großer Überzeugung vorgetragen. Als kleiner Junge habe ich mal einen Groschenroman über einen Astronauten gelesen, der zu einem explodierten Stern geschickt wird, um die Gründe dafür zu analysieren. Als er ankommt, ist der Stern noch da, und er ist dann derjenige, der den Stern zum Explodieren bringt. Das hat mich sehr fasziniert. Ich war mit Albert Hofmann, dem Entdecker des LSD, befreundet, der meinte, er verstehe keinen Wissenschaftler, der nicht an die Transzendenz glaube. Das habe ich verschiedenen Wissenschaftlern gesagt, und die meisten antworteten: ‚Das verstehe ich nicht. Ich glaube an den Urknall.‘ Dann habe ich gefragt: ‚Woher kommt denn der Urknall?‘ Aber darauf gab es keine Antwort.

    In „Wut und Liebe“ fällt der Satz „Kunst muss leiden“. Würden Sie dem zustimmen?
    SUTER: Diesen Satz würde ich nicht unterschreiben. Man muss nicht gelitten haben, um Kunst machen zu können, auch wenn ich weiß, dass es vielen Künstlern so passiert ist. Für meinen Teil hoffe ich nicht, dass ich einmal durch Leiden zur Kunst getrieben werde. Wobei ich mit dem Kunstbegriff sehr vorsichtig bin. Ich habe mich eigentlich nie als Künstler betrachtet.

    Warum nicht?
    SUTER: Weil das eine Art ist, sich über die anderen zu setzen. Wenn man sagt ‚Ich bin Künstler‘, drückt man damit aus, dass man eine Inspiration und ein Talent hat, das andere nicht besitzen. Diese Mystifizierung des kreativen Prozesses ärgert mich. Es ist ein Beruf wie ein anderer auch. Ich weiß, dass es ein Talent dafür braucht, aber das ist für jeden Beruf nötig.

    Gibt es denn niemand, der die Bezeichung ‚Künstlerin‘ oder ‚Künstler‘ verdient?
    SUTER: Doch – sehr viele. Vor allem in der bildenden Kunst. Meine erste Frau Vivian war schon Künstlerin, als ich sie kennengelernt habe. Da war sie nicht mal 17. Sie war ihr ganzes Leben lang Malerin und vor ein paar Jahren hat sie ihren großen Durchbruch erlebt und ist jetzt in der Kunstszene ein Weltstar geworden. Sie ist für mich eine Künstlerin, weil sie nichts Didaktisches oder Pädagogisches an sich hat.

    Im Buch wird auch die plakative Frage gestellt: „Was ist wichtiger: Kunst oder Liebe?“
    SUTER: Da kann ich Ihnen eine ganz plakative Antwort geben: All you need is love. Die Liebe ist viel wichtiger als die Kunst.

    Dann noch eine weitere plakativer Frage: Wie viel Liebe steckt in Ihren Büchern?
    SUTER: Da sage ich jetzt wieder etwas Plakatives. Ich liebe die Menschen. Deshalb geraten mir die unsympathischen Figuren manchmal zu liebenswürdig. Aber ich halte es nicht lange mit widerlichen Personen aus. Ein gutes Beispiel ist der Urs Blank in „Die dunkle Seite des Mondes“, eine von Anfang an beschädigte Figur. Aber es ist mir passiert, dass ich ihn zu mögen begann, und sobald ich jemanden mag, merkt man das, glaube ich, im Text. Da kann ich nichts dagegen machen. Ich bin anfällig für Liebe.

    „In meinen Büchern kann ich die Bösen vom Allerwiderlichsten abhalten“

    Wie ist es, wenn Sie mit unsympathischen Menschen in der Realität zu tun haben?
    SUTER: Die versuche ich zu ignorieren. Mir sind auch schon Leute begegnet, die ich eigentlich nicht hätte mögen sollen, aber am Schluss dachte ich: Die sind okay. In den Medien begegnen mir allerdings viele Politiker, für die ich überhaupt keine Spur von Liebe verspüre. In meinen Büchern habe ich eben über die Bösen Kontrolle und kann sie vom Allerwiderlichsten abhalten

    Es wäre also schön, wenn ein Wladimir Putin oder Donald Trump nur Romanfiguren von Ihnen wären
    SUTER: Ja, genau.

    Aber diese Personen können Sie ja nicht einfach ignorieren. Wie gehen Sie mit diesem Dilemma um?
    SUTER: Am Morgen nach den letzten US-Wahlen habe ich alle amerikanischen Medien abbestellt und beschlossen, dass das für mich alles nicht mehr existiert. Dann haben sie sich doch wieder eingeschlichen. Ich lese jetzt wieder die New York Times, aber auch nur aus Gier nach negativen Berichten über diese verhassten Personen. Denn diese Artikel nähren dann die Hoffnung, dass denen doch nicht alles gelingt. Wenn zum Beispiel irgendein amerikanischer Richter eine Bestimmung von Trump verbietet, nehme ich das mit Befriedigung zur Kenntnis.

    Jüngere Menschen sind ja in politischen Fragen oft leidenschaftlicher und engagierter. Wie ist das mit Ihrer Tochter?
    SUTER: Sie ist echauffiert, aber nicht engagiert. In ihrem Freundeskreis sind viele, die umweltbewusst sind, aber dann die ganze Nacht das Licht brennen lassen. Da gibt es viele Widersprüche.

     Was können Sie eigentlich von Ihrer Tochter lernen?
    SUTER: Sie hat eine Eigenschaft, die ich gerne haben möchte: Sie kann sehr impulsiv und aufbrausend sein, aber dafür ist sie nicht nachtragend. Nach einer Viertelstunde hat sie das alles schon wieder vergessen. Ich bin kein nachtragender Mensch, aber ich verzeihe nicht so schnell wie sie. Das heißt: Sie muss es gar nicht verzeihen, es ist einfach weg, als wäre es nie geschehen. Generell lerne ich von den jungen Leuten, dass sie im Vergleich zu uns auch nichts gelernt haben. Wir haben in unserer Schulzeit geraucht und gesoffen, und das machen die Jugendlichen heute ähnlich oder genauso.

    Wenn die herankommenden Generationen nichts lernen, sollte einen das für die Entwicklung der Welt pessimistisch stimmen.
    SUTER: Das müsste es, aber ich habe einen fast krankhaften Optimismus. Ich habe diesen ‚Alles wird gut‘ Reflex und ich stehe auch jeden Morgen unangemessen glücklich auf.

    Am 29. Februar haben Sie Ihren 77. Geburtstag gefeiert – der ja in gewisser Weise nur alle vier Jahre wiederkehrt. Nachdem Sie ohnehin die herkömmliche Zeitvorstellung hinterfragen – wären Sie gerne 19?
    SUTER: Nein, denn dann müsste ich einen Bart tragen und tätowiert sein. Das möchte ich lieber nicht. Und Tätowierungen sehen auf welker Haut nicht so schön aus wie auf straffer. Das meinte ich auch zu meiner Tochter, die jetzt 18 wird und bei der ich dann nichts mehr zu sagen habe, was Tätowierungen angeht: Der Kunstgeschmack wandelt sich noch stark. Und das kannst du nicht mehr so leicht ändern. Abgesehen davon – wirklich gute Kunst findet sich bei Tätowierungen selten. Arschgeweihe sind nicht so toll.

    Zur Person Martin Suter, geboren 1948 in Zürich, hat bis Anfang 1990 hauptberuflich als Werbetexter gearbeitet und startete dann seine zweite Karriere als Schriftsteller. Mit „Small World“ (1997) wurde er einem großen Publikum bekannt. Es folgten „Die dunkle Seite des Mondes“ und „Ein perfekter Freund“. Seit 2011 arbeitet Suter auch an der Allmen-Krimiserie, die mittlerweile auf sieben Bände angewachsen ist. Eben erschienen ist jetzt sein Roman „Wut und Liebe“, in dem der junge Künstler Noah sich auf einen zweifelhaften Deal mit einer älteren Dame einlässt, um an Geld zu kommen und so seine verlorene Liebe zurückzugewinnen (Diogenes, 304 Seiten, 26 Euro).

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