Kopfkino an, Film ab, stellen Sie sich vor: Dolby Theatre, Los Angeles, die Oscar-Nacht. Und, verrückt und höchst unwahrscheinlich, aber eben ist Ihr Name gefallen: „And the winner is …“ Sie strahlen, Sie drücken die Statue an Ihr Herz und räuspern sich für Ihre Rede. 45 Sekunden Zeit und was jetzt sagen?
Am Sonntag, 2. März, ist es wieder so weit. Zum 97. Mal werden in Los Angeles die Oscars verliehen. Neben dem Musical-Thriller „Emilia Pérez“ sind unter anderem die Bob-Dylan-Filmbiografie „Like A Complete Unknown“, „Der Brutalist“, das Musical „Wicked“ und der Vatikan-Thriller „Konklave“ nominiert. Auch der deutsche Film „September 5“ über das Münchner Olympia-Attentat 1972 hat Chancen auf einen Oscar. Regisseur Tim Fehlbaum, Drehbuchautor Moritz Binder und Co-Autor Alex David sind für das beste Drehbuch nominiert. Ob sie am Sonntag danke sagen dürfen? Hier die sechs Typen der Dankesrede.
Die Gerührten
Wenn der rote Teppich vor dem Dolby Theater nur ein paar Meter länger wäre, wenn er bis zur Gala-Bühne reichen würde – dann müsste man die Auslegeware nach jeder zweiten Rede wieder trocknen. Die Tränen fließen, fließen, fließen ... aber selten so flüssig wie damals bei Gwyneth Paltrow, 1999. Wie eine Prinzessin im rosa Ballkleid hielt sie den Oscar als beste Hauptdarstellerin in den Händen, für ihre Rolle in „Shakespeare in Love“. Paltrow dankte in Demut ihren Kolleginnen, die leer ausgingen, und sprach zu Meryl Streep, der 21-mal Nominierten, dreimal Oscar-Dekortierten: „Ich fühle mich nicht würdig in deiner Gegenwart.“ Der Rest war Schluchzen.
Noch gewaltiger war der Blitz, der Halle Berry traf, als sie 2002 in derselben Kategorie gewann. Als erste Afroamerikanerin überhaupt. „Dieser Moment ist so viel größer als ich selbst“, japste Berry und starrte mit großen, weiten Augen, die es nicht glauben konnten, in den Saal. „Dies ist für jede afroamerikanische Frau ohne Namen, ohne Gesicht, die jetzt die Chance hat, weil heute eine Tür geöffnet wurde.“ Und vielleicht lag der Schock auch daran, dass sie der Laudator – Adrien Brody – kurz zuvor auf der Bühne in den Schwitzkasten genommen und wie wild geworden geküsst hatte.
Die Ausführlichen
Der Oscar hat seine eigenen Gesetze – und Greer Garson hat eine Regel im Alleingang verändert. Greer wer? 1943 gewann sie als beste Hauptdarstellerin – und testete die Geduld des Publikums. „Ladies and Gentlemen, ich kam vor fünf Jahren in dieses Land“, sprach die Britin und war dann nicht mehr zu bremsen. Sechs Minuten lang. Sie sprach von Hollywoods Willkommenskultur, vom amerikanischen Traum, dem lieben Filmgott und der Welt. Applaus, Applaus ... aber nach Garsons Dauerrede beschloss die Academy, die Redezeit offiziell zu begrenzen.
Das Limit heute: 45 Sekunden, mit etwas Spielraum. Dann beginnt die Oscar-Kapelle auf der Bühne zu spielen, immer lauter mit jeder Sekunde. Das Limit verhindert nicht enden wollende Danksagungsketten: vielen Dank dem persönlichen Friseur, dem Diät-Berater, der Cousine dritten Grades. Aber manche Namen tauchen trotzdem immer wieder auf den Dankes-Spickzetteln auf: Dem Regisseur Steven Spielberg wurde, laut einer Studie aus dem Jahr 2015, schon 42 Mal bei den Oscars gedankt. 34 „Thank you!“ gingen an – Harvey Weinstein, den Filmmogul, bevor er ins Gefängnis wanderte, wegen sexueller Übergriffe. Der liebe Gott rangiert hinter ihm, auf Platz sechs, mit nur 19 Danksagungen.
Aber wenn sich der Abend voller Dankeschöns in die Länge zieht, darf man sich zur Not auch aus dem Saal schleichen. Sandra Hüller verriet vergangenes Jahr in der Talkshow von Jimmy Kimmel, dass sie sich bei ihrer ersten Oscar-Gala in die Raucherecke vor der Tür verdrückte.
Die Lustigen
Sie war schon auf dem Weg zum Preis, der Applaus rauschte im Saal, nur für sie, in ihrem wallenden Ballkleid, und nur noch fünf Stufen fehlten ihr bis zur Bühne. Aber dann: Fiel sie. Stolperte vornüber auf der Treppe. Mit dieser Szene hat sich Jennifer Lawrence in die Filmgeschichte eingeschrieben, als sie 2013 den Preis als beste Hauptdarstellerin gewann. Lawrence – Typ Kumpel-von-nebenan unter den Hollywood-Schönen – nahm mit Humor den stehenden Applaus entgegen: „Ihr steht doch alle nur auf, weil ich gefallen bin ... das ist jetzt wirklich peinlich!“ Ein Slapstick-Moment, in dem sich der ganze Saal in sie verliebte.
Roberto Benigni wiederum hatte alle zu Tränen gerührt: „Das Leben ist schön“ hieß sein Film aus dem Jahr 1999, eine herzerschütternde Geschichte über eine jüdisch-italienische Familie in der Zeit des deutschen Nationalsozialismus. Mit seinem Werk gewann der Regisseur und Darsteller Benigni drei Oscars. Sophia Loren durfte den ersten verkünden, sie wedelte mit dem Gewinner-Zettel, rief ihren Landsmann: „Robertooo!“ Und er? Sprang auf wie gestochen. Balancierte über Stuhllehnen, kletterte über die Schultern der Stars, über die Direttissima in Richtung Bühne. Er drückte die Loren und sprach zum Publikum: „Ich will euch alle küssen, denn ihr seid das Glück.“ Das Leben kann ein schönes sein, als Oscar-Gewinner.
Die Selbstbewussten
Man könnte meinen, dass alle Gewinner in die Knie gehen, sobald sie den Oscar in Händen halten – 3,8 Kilo, eine Legierung aus Zinn, Kupfer, Nickel, Silber und purer Überwältigung. Aber James Cameron riss die Statue in die Höhe, als er 1997 den Oscar für „Titanic“ gewann, für die beste Regie. Und Cameron rief in seiner Rede den bescheidenen Satz aus, den Leonardo DiCaprio im Film über den Ozean schrie: „Ich bin der König der Welt!“ Großspurig fanden das manche Kritiker. Aber wie will man so eine titanische Freude mit Zurückhaltung ausdrücken?
Ähnlich schief beäugt: Matthew McConaugheys Gewinnerrede im Jahr 2014. Der Schauspieler aus Texas sprach in seinem Südstaaten-Cowboy-Akzent von einem unbekannten Helden. Da schauten sie verdutzt in den Publikumsreihen, bis allen klar wurde, wen er mit dem Helden meinte: nämlich sich selbst. Er sprach von jenem Helden, der er selbst gerne werden will.
Die Kurzen
Manche Rekorde lassen sich in Kürze beschreiben. Wirbel und Fanfare bei der Oscar-Gala 1968: Der Regisseur Alfred Hitchcock gewinnt einen Ehrenpreis. Er schleicht sich ans Rednerpult. Dieses Genie der Hochspannung, dieser König des haarsträubenden Psycho-Grusels, er neigt sich vor zum Mikrofon und sagt „... thank you!“. Dann geht er wieder. Rekordverdächtig.
Die Trotzigen
Es gibt Momente im Leben, die verpasst man einfach nicht: Die Hochzeit der besten Freundin. Den ersten Schultag der Kinder. Mutters 90. Geburtstag. Oder aber: seinen eigenen Oscar-Gewinn ...? Marlon Brando schickte eine andere vor: Um Solidarität zu zeigen mit den Ureinwohnern Nordamerikas, um gegen den Rassismus im Filmgeschäft zu protestieren, ließ er Sacheen Littlefeather sprechen. Die Schauspielerin hielt im Gewand der Apachen seine Rede, während er, der „Pate“, die Gala schwänzte. Damit reiht sich Brando ein in die Liste der Politischen und Trotzigen.
Vanessa Redgrave schockte 1977 das Gala-Publikum. Die Schauspielerin stand in der Kritik, weil sie im Nahostkonflikt für die Palästinenser demonstrierte und sich radikal gegen Israel stellte. Sie nutzte die Chance und polterte in ihrer Rede gegen – Zitat – „eine kleine Gruppe zionistischer Ganoven“, die gegen ihre Nominierung protestiert hatte. Es wurde jedenfalls nicht stiller um die Oscars. 2003 polterte der Regisseur Michael Moore gegen den Präsidenten der USA, gegen den Irakkrieg, der entbrannt war: „Shame on you, Mr. Bush!“ – da brach im Saal eine gemischte Sinfonie los, Jubel gegen Buhrufe.
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