Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten
Gesellschaft
Icon Pfeil nach unten

Pelicot-Prozess : Caroline Darian: „Das Kind des Opfers und des Täters zu sein, ist eine schreckliche Last“

Pelicot-Prozess

Caroline Darian: „Das Kind des Opfers und des Täters zu sein, ist eine schreckliche Last“

    • |
    • |
    Caroline Darian und ihr Bruder David Pelicot am Tag der Urteilsverkündung gegen ihren Vater.
    Caroline Darian und ihr Bruder David Pelicot am Tag der Urteilsverkündung gegen ihren Vater. Foto: Imago

    Sie ist die Tochter eines der schlimmsten bekannten Sexualstraftäter Frankreichs der letzten Jahre und zugleich seines Opfers. Caroline Darians Vater heißt Dominique Pelicot, der ihrer Mutter Gisèle Pelicot. Während er jahrelang seine Frau medikamentös betäubt hat, um sie zu vergewaltigen und dutzenden fremden Männern auszuliefern, stieg sie in den Augen der Welt zu einer wahren Ikone im Kampf gegen sexuelle Gewalt auf. Denn sie trat für eine öffentliche Verhandlung ein, die sie fast vier Monate lang erstaunlich gelassen mitverfolgt hat.
    Der Prozess gegen 51 Angeklagte, an dessen Ende Dominique Pelicot zur Höchststrafe von 20 Jahren Haft verurteilt und auch alle anderen Männer schuldig gesprochen wurden, sorgte Ende 2024 weltweit für Aufsehen. Als Zivilkläger traten neben Gisèle Pelicot auch ihre Kinder David, Caroline und Florian auf. Im Zeugenstand sprachen sie von einem Tsunami, der ihre Familie mit sich gerissen habe.

    Ihre Mutter vergleicht sie mit einer „mittelalterlichen Königin“

    Dieses Gefühl beschrieb die Zweitgeborene Caroline Darian bereits vor Prozessbeginn in ihrem Buch „Und ich werde dich nie wieder Papa nennen“. In Frankreich erschien es im April 2022, eineinhalb Jahre nach der Enthüllung der Taten ihres Vaters; nun kam es auf Deutsch heraus. Ihre Mutter Gisèle vergleicht die Autorin darin mit einer „mittelalterlichen Königin“: „Kopf gerade, erhobenes Kinn und keine Klage. Die wahre Heldin, aufrecht in den Ruinen stehend – das ist sie.“ Während die 73-Jährige auch im Gerichtssaal die größten Erniedrigungen ertrug, kaum ohne eine Miene zu verziehen, verbarg Caroline Darian ihre Emotionen nicht, schrie ihren Vater mehrmals an, brach in Tränen aus. „Das Kind des Opfers und des Täters zu sein, ist eine schreckliche Last“, schreibt sie.

    Sie ist überzeugt davon, dass ihr Vater auch sie missbraucht hat.

    Ihr Buch erlaubt, ihre eigene Entwicklung ebenso nachzuvollziehen wie den Weg, den ihre Mutter durchgemacht hat. Diese war zunächst vom Schock wie gelähmt und stand noch so unter dem Einfluss ihres Noch-Ehemanns, dass sie das ganze Ausmaß seiner Taten nicht sehen wollte. Auch nicht, dass er sich womöglich an der eigenen Tochter vergangen hat: In Dominique Pelicots Computer fanden die Ermittler Fotos von Caroline schlafend in ihr unbekannter Unterwäsche. Sie ist überzeugt davon, dass er sie missbraucht oder vergewaltigt hat, was er abstritt. „Du lügst!“, schleuderte die 46-Jährige ihm im Gericht entgegen. Schonungslos rechnet sie mit dem Mann ab, den sie nur noch ihren „Erzeuger“ nennt, dessen Klagebriefe aus dem Gefängnis sie in Rage brachten. Und der sich doch 42 Jahre liebevoll um sie gekümmert hatte; auch wenn er sie im Gegenzug später immer wieder um Geld bat, sich sogar an ihrer Sommerjob-Kasse bediente. Nach seiner Festnahme kam heraus, dass das Elternpaar hoch verschuldet war. Er war für ihre Finanzen zuständig, seine Frau vertraute ihm blind.

    „Wie kann man so viele Jahre lang ein Doppelleben führen und die Welt täuschen?“, fragt Caroline Darian. Sie erinnert an schöne Momente bei ausgelassenen Familienfeiern, beim Skifahren, als er ihrem Sohn das Schwimmen beibrachte. „Tom sitzt auf der Schaukel, Pierre bringt den Wein. Eine Terrasse, ein Sommer, eine Familie. Ich hasse dich.“

    Pelicot hat einen Verein gegründet für Opfer von K.-o.-Tropfen

    Der Autorin geht es nicht nur darum, ihre eigene Geschichte zu beschreiben, das schwierig gewordene Verhältnis zu ihrer Mutter. Caroline Darian hat den Verein „M’endors pas“, „Schläfer’ mich nicht ein“, gegründet, mit dem sie Aufklärungsarbeit betreibt und den Opfern von „chemischer Unterwerfung“ helfen will. Im Deutschen ist meist die Rede von „K.-o.-Tropfen“, wenn es um die vorsätzliche und meist heimliche Verabreichung von psychotropen Substanzen geht, um das Opfer wehrlos und handlungsunfähig zu machen. Das Vorgehen, so Darian, sei „schwer zu fassen, noch nicht ausreichend erkannt, unzureichend quantifiziert, schlecht diagnostiziert und damit auch schlecht begleitet“. Für Opfer sei es schwierig genug, nach einer erlittenen Vergewaltigung Anzeige zu erstatten. Wenn darüber hinaus die Erinnerungen verschwommen seien oder der Gewaltakt nicht bewusst erlebt wurde, „bleiben nur Schweigen, Verwirrung und Schande“. Oft komme eine „Ärzte-Odyssee“ hinzu wie im Fall von Gisèle Pelicot, die an gynäkologischen Problemen, Schlafstörungen und Gedächtnisausfällen litt. Kein Mediziner fand eine Erklärung dafür.
    Für den Kampf in ihrem Verein, so sagte Gisèle Pelicot ihrer Tochter Caroline, wolle sie das beste Vorbild liefern. Denn man könne „nicht den Opfern helfen wollen und sich gleichzeitig selbst dafür schämen, eines zu sein“. Beide Frauen sind aus der Opferrolle getreten und zu Akteurinnen geworden; beide auf ihre jeweils beeindruckend mutige Weise.

    Caroline Darian: Und ich werde dich nie wieder Papa nennen. Von der Tochter von Gisèle Pelicot. Übersetzt von Michaela Meßner und Grit Weirauch. Kiepenheuer & Witsch.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden