Pro: Höfliche Gäste ziehen ihre Schuhe aus
Arme Socken sollten natürlich keinen Auftritt in fremden Wohnzimmern hinlegen. Also jene Füßlinge mit durchgebohrtem Loch am großen Zeh beispielsweise. Oder solche mit Fersen, die nur noch aus dünnsten Kettfäden bestehen. Aber für alle schicken (und auch normalen) Ringelsocken, Muster- und Seidenstrümpfe gilt – gerade jetzt im Herbst – zeigt her, was ihr drauf habt!
Draußen regnet und stürmt es. Die Menschheit bahnt sich ihren den Weg durch Pfützen und Matsch und über rutschiges Laub, zieht wieder Schuhe mit grobem Profil statt glatter Ledersohle an, trägt also zwangsläufig jede Menge Dreck mit sich herum. Und der soll bitte draußen bleiben! Zu Hause zieht man ja auch die Schuhe aus, weil man den Straßenstaub nicht in die Bude tragen möchte. Höfliche Gäste schlüpfen deswegen an fremden Türen selbstverständlich aus ihren Tretern, weil sie ihren Gastgebern keine Mühe machen wollen. Ganz nebenbei ist die Atmosphäre vielleicht etwas gelassener, wenn die Einladenden nicht schon beim Aperitif den großen Hausputz gedanklich organisieren, den Beine mit Bergstiefel-Modellen unweigerlich nach dem Abschied auslösen werden. Wer mag schon am nächsten Morgen barfuß durch fremde Erdkrusten schlurfen?
Andere Kulturen machen es übrigens vor. In Polen, Russland, in den arabischen Ländern und in der Türkei etwa gilt es als unhöflich, Innenräume in Straßenschuhen zu betreten. Japan geht noch weiter. Die Schuhe werden nicht nur bei privaten Besuchen ausgezogen, sondern auch im Restaurant. In Schweden haben Gäste ein schickes, sauberes Schuhpaar dabei – dann passt's auch wieder mit dem Cocktailkleid. (Doris Wegner)
Contra: Der gute Gast kommt eh nur mit geputztem Schuh!
Wer Menschen zu sich nach Hause einlädt, möchte in der Regel, dass sie sich wohlfühlen. Also macht er sein Zuhause schön, putzt noch ein wenig, lässt irgendetwas Dekoratives irgendwo liegen, sodass er an der Eingangstüre bester Dinge sagen kann: „Entschuldigt bitte, hier herrscht ein bisschen Chaos“ und die Gäste dann höflich erwidern können: „Aber ich bitte dich, bei dir sieht es doch immer großartig aus“. Was die Gäste betrifft: Die sehen in der Regel ja auch nicht verloddert aus, haben sich also auch ein bisschen herausgeputzt. Tragen womöglich auch feine Schuhe! Und die sollen sie nun also ausziehen? Um dann strumpfsockig zum Tisch oder Sofa zu gehen? Was aber hat das denn noch mit Wohlfühlen zu tun? Und damit nun zum Grundsätzlichen:
Ein Mensch ohne Schuhe und bloßen Füßen kann absolut fantastisch aussehen, ein Mensch ohne Schuhe aber mit Socken nicht – mit Ausnahme von John Travolta in der Tanzszene von „Pulp Fiction“, aber das nur am Rande. Ein strumpfsockiger Mensch wirkt immer so, als sei er noch nicht ganz angezogen, als würde etwas fehlen. Irgendwie entblößt, verletzlicher, ein bisschen seiner Würde beraubt. Als sei er ein Kind, was gleich auf dem Sofa herumhopsen will. Und es wird ja nicht besser dadurch, dass der Gastgeber oder die Gastgeberin freundlich ein Paar durchgeschlappte Filzpantoffeln reicht – „die müssten doch passen“ – oder weiß leuchtende Einmalschlappen aus dem Hotel präsentiert, die selbst den bestgekleideten Gast immer so aussehen lassen, als suche er gerade den Weg zur Sauna.
Deswegen: Schuhe bitte anlassen, Würde dranlassen. Der gute Gast kommt eh nur mit geputztem Schuh! (Stefanie Wirsching)