Pro: Die Ehe ist doch kein Zwang, wozu dann die hedonistische Feier des Singleseins?
Eine gebrochene Augenhöhle, ein zerlegter Kiefer und eine Verhandlung vor dem Amtsgericht. So endete ein Junggesellenabschied im Oberallgäu, nachdem die Teilnehmer mit ein paar Forstarbeitern, wie es dann in Polizeimeldungen gern heißt, „in einen handfesten Streit gerieten“. Freilich ist nicht jeder dieser zumeist feuchtfröhlichen Hochämter fürs Junggesellentum ein Fall für den Staatsanwalt. Doch marodierende Männer- (und der Gleichberechtigung halber: Frauen-)Gruppen auf der Suche nach dem letzten bisschen Ekstase vor der Vermählung wurden bereits in Regensburg zum Problem. Sosehr, dass sich einige Kneipen 2017 mit einem eigenen Aufkleber gegen die unliebsamen Gäste wehrten, die laut Angaben der Wirte alles klauten, was nicht fest im Boden verankert ist und „neben die Toilette defäkieren“. Prost.
Freilich könnte man einwenden, dass Fußballfans sicherlich größere Bilder der Zerstörung in deutschen Innenstädten anrichten als vorüberziehende Junggesellenabschiede. Doch bleibt die Frage, warum man vor dem vermeintlich schönsten Tag im Leben noch einen Tag anhängen muss, bei dem man all das erleben will, was man nachher vermutlich nicht mehr erleben darf? Dabei hat die Ehe doch, was die Selbst- und Fremdeinschränkung betrifft, fast jeden Schrecken verloren. Die mittelalterlichen Zeiten des Keuschheitsgürtels in Abwesenheit des Gatten sind doch vorbei. Der einzige Zwang, der mit der Hochzeit entsteht, ist der Kredit bei der Bank, den man für die Party mit 120 Gästen am Strand von La Gomera abbezahlen muss. Menschen führen offene Ehen und polyamore Beziehungen. Jeder so, wie er oder sie mag. Aber in Sachen Ehe muss man doch sagen: Die Fallhöhe ist weg, wozu dann eine hedonistische Feier des Singleseins? (Christina Brummer)
Contra: Warum nicht JGAs als Chance begreifen? Die Erinnerung bleibt oft ein Leben lang
Ja, natürlich sollten wir peinliche Junggesellenabschiede boykottieren! Genauso wie Faschingsumzüge. Und Mainächte. Weg damit, igitt! Alles nicht mehr zeitgemäß und sowas von ruhestörend! … Satire aus. So einfach ist es nämlich nicht. Vielleicht sind Junggesellenabschiede – häufig JGAs genannt – sogar wichtiger, als wir denken. Psychologen reden ständig vom „inneren Kind“ – wir sollen es entdecken und gut zu ihm sein, heißt es. Aber im Alltag gibt es kaum noch Gelegenheiten, wirklich auszubrechen, lustig zu sein, sich einfach mal peinlich zu benehmen. Fasching dauert viel zu kurz, und das Leben in Deutschland ist ernst. Die Erinnerung an einen genialen JGA dagegen, bleibt oft ein Leben lang.
Natürlich legitimiert das weder Komasaufen noch anstößige Aktionen. Deshalb sollten wir JGAs bitte neu denken. Trauzeugen könnten sich fragen: „Wie basteln wir einen legendären Tag – einen, der auch anderen Zuggästen, Biergartenbesuchern oder Passanten eine Freude macht?“ Das Ziel: Dass der verlobte Freund noch in 20 Jahren davon schwärmt. Je mehr Menschen an der Freude teilhaben, desto unvergesslicher die Erinnerung. Die Messlatte darf ruhig hoch hängen. Und wenn doch ein paar Cowboys oder Einhorndamen durch die Innenstadt tigern und sich vor allem die Batterie abklemmen wollen? Lassen wir sie. Diese Gruppen sind darin meistens geübt.
Warum also nicht JGAs als Chance begreifen? Und mal ehrlich: Gibt es viele Menschen, die nach fünfzig Jahren ihre Freundin anstupsen und sagen: „Du, sag mal, damals vor deiner Hochzeit – weißt du noch, wie wir bei dir zu Hause saßen und einen Salat gegessen haben?“ Eher nicht. Gute Geschichten beginnen selten mit Salat. (Philipp Scheuerl)
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