
Das Phänomen Birkenstock: Das Ideelle der Kult-Sandale


Jesuslatschen für die Wall Street: Nachdem kürzlich die Doc Martens an die Börsen taumelten, steht jetzt für Birkenstock der Schritt in die totale Kapitalisierung an.
Die historische schwierige These, dass sich Geschichte wiederholt – im Kapitalismus beweist sie sich immer wieder. Denn da wird eben früher oder später alles zu Markte getragen, wenn es denn nur größtmögliche Rendite verspricht. Und so werden Produkte, welchen Charakter sie auch immer entwickelt haben mögen, zu reinen Spekulationsobjekten.
Das neueste Beispiel wird wohl noch in diesem Monat die deutsche Schuhmarke Birkenstock. Sie wissen schon, das sind die Treter mit der typischen Korksohle, denen man zumeist in Sandalen-Form begegnet. Da steht ein großes Jubiläum an, weil die Schuhmacherdynastie dieses Namens sich im hessischen Örtchen Langen-Bergheim nun ganze 250 Jahre zurückverfolgen lässt. Vor rund 100 Jahren erlangte das Sohlenwerk bereits eine Verbreitung bis weit ins europäische Ausland. Und genau 50 Jahre ist es jetzt her, dass das Sandalen-Modell Arizona für einen Durchbruch in die Alltagskultur gesorgt hat. Es setzte sich unter anderem in Arztpraxen fest, was ihm gemeinsam mit der Bequemlichkeit den Zusatznamen der Gesundheitstreter einbrachte. Die Birkenstocks aber avancierten daneben durchaus auch zum Öko- und Hippie-Schuh. Neuer Spitzname: Jesuslatschen.
Birkenstock: Von Hippie- und Öko-Sandalen zum Laufsteg- und Hipster-Utensil
Aber, wie das nun mal in der kapitalistischen Moderne so ist: Feste Milieu-Zuordnungen lösen sich schnell darin auf, weil gerade der Bruch mit Stilen und die Neukombination von bislang unvereinbar Scheinendem neue Trends zu setzen versprechen, Mode machen. Und so schafften es die Birkenstocks, nach einigen Umzügen und Internationalisierungen inzwischen mit Hauptsitz in Linz am Rhein, auch auf die Laufstege, an die Füße von Hollywoodstars zu Kleidchen oder Trenchcoat oder Sommeranzug, zu den Hipstern. Und über Kooperationen auch in Bereiche fernab, in den Luxus, mit Haute-Couture-Schöpfer Valentino oder auch mit der Königlichen Porzellan-Manufaktur in Berlin.
Samt ihrem kultigen Bezug hat sich die Sandale auch zum nicht mehr modischen, sondern stylischen Jung-Volk durchgesetzt. Seinem alten Image als Hippie- und Öko-Schuh wird sie zudem in der woken Gemeinde des Neo-Spießbürgertums weiterhin gerecht. Bis hin zu den Computernerds. So zählte zu berühmten Birkenstockträgern neben Frances McDormand bei den Oscar-Verleihungen in Birkenstock: Apple-Messias Steve Jobs, dessen ausgelatschte Exemplare aus Wildleder nach seinem Tod sogar versteigert wurden – und 220.000 Dollar erzielten.
Ein über ziemlich viele Grenzen hinweg funktionierendes Erfolgsmodell also. Weshalb sich vor jetzt zehn Jahren das Unternehmen auch neu und schlagkräftiger strukturierte, um die Marktwirkung zentraler und durchschlagskräftiger zu gestalten.
Schon bis hierhin lassen sich einige Parallelen zur Geschichte der Doc Martens finden, die ja auch in Deutschland geboren wurden und über wechselnde Milieus ihren auch internationalen Siegeszug antraten, bevor die Stiefel inzwischen zum umfassend kombinierbaren und weitgehend bedeutungsentleerten Chic wurden. Und die dann, wie vor nicht allzu langer Zeit an dieser Stelle zu lesen, durch diesen Erfolg zu einem interessanten Finanzierungsobjekt im Turbokapitalismus wurden – die Marke aufgekauft vor zehn Jahren vom Finanzinvestor Permira und vor gut zwei Jahren an die Börse gebracht.
Mit Milliardenwert aus Familienhand in die Hände der Private Equity
Aber weil das Wachstum des Absatzes halt nicht den Kapitalisierungswünschen der neuen Eigentümer und Vermarkter entsprach, kam dort zuletzt etwas ins Straucheln. Und nun also: Wiederholt sich die Geschichte?
Denn vor zwei Jahren wurde Birkenstock aus Familienhand an die amerikanisch-französische Beteiligungsgesellschaft L Catterton verkauft. Dahinter steckt unter anderen der französische Luxusgüterkonzern LVMH – eine Fusion der Unternehmen Louis Vuitton und Moët Hennessy, 150.000 Mitarbeiter, Hauptaktionär und Vorsitzender des Vorstandes ist Bernard Arnault, bereits durch Übernahmen aufgefallen, unter anderem etwa des Konkurrenten Hermes, des Kofferherstellers Rimowa oder des Juweliers Tiffany, der Whiskymarke Glenmorangie …
Birkenstock wurde, so heißt es, beim Verkauf mit einem Wert von vier Milliarden Euro bewertet. Und nun will LVMH demnächst, nach einer allgemeinen Flaute zuletzt an der Wall Street, mit den ehemaligen Jesuslatschen zu einem von mehreren hoffnungsvollen Börsenstarts anheben. So schnell wie selten in der Branche will damit eine Private-Equity-Gesellschaft, in der also Investoren ihr Vermögen zur gemeinsamen und damit wirkmächtigeren Gewinn-Erzielung bündeln, ein gekauftes Unternehmen wieder an den Markt bringen, gelistet in den Vereinigten Staaten. Es werde, so heißt es, ein Börsenwert von mehr als acht Milliarden Dollar angestrebt. Das hört sich doch nach einer ganz ordentlichen Wertsteigerung, nach einem erklecklichen Gewinn an. Das wäre immerhin anders als bei den Doc Martens …
Das individuell sich an die Füße all der Tragenden aller Milieus anpassende Fußbett – es wird jedenfalls noch diesen Sommer also wohl endgültig zum Objekt des Globalkapitals.
Die Diskussion ist geschlossen.
Das ist kein Phänomen - diese Schuhe haben einfach ein sehtr gutes Fußbett. Ich trage sie allerdings nur als "Hausschuhe".
Zitat aus der Wirtschaftswoche: von Nora Sonnabend 18. Juli 2023 ,
"Frust im Schuhhandel „Vielleicht ist es ja gewollt, dass nicht mehr jeder Birkenstock trägt“
In vielen Fachgeschäften wird es bald keine Birkenstock-Schuhe mehr geben. Was für den Hersteller eine strategische Entscheidung ist, frustriert die Händler zutiefst: Sie fühlen sich im Stich gelassen. "
DAS ist Kapitalismus pur!