Guten Morgen Herr Nakamura, haben Sie heute schon gefrühstückt?
TOHRU NAKAMURA: Nein, ich stehe meistens auf, trinke einen Kaffee und das war’s erst mal. Der Hunger kommt erst mittags.
Und was gibt es dann?
NAKAMURA: Nichts Besonderes. Viel wichtiger ist mir das Abendessen mit unserem 15-köpfigen Team, da lege ich wirklich Wert drauf. Wir haben immer ein Motto, letzte Woche gab es österreichische Gerichte, das Wiener Backfleisch war lecker, gestern haben wir Pasta gekocht. Wir essen hier nicht vor dem Service Hummer, Kaviar und Trüffel, aber es soll schon schmecken und qualitativ hochwertig sein.
Klingt nach einer entspannten Atmosphäre. Von Sterneköchen heißt es ja oft, es gehe recht ruppig zu in der Küche.
NAKAMURA: Bei aller Disziplin und Genauigkeit, die wir an den Tag legen müssen, ist es mir wichtig, dass die Stimmung nicht zu angespannt ist. Während der Vorbereitungen am Nachmittag läuft Musik, meistens tanzbarer Elektro, wir bewegen uns ja auch tänzelnd durch die Küche. Aber wenn es dann losgeht, ist die Musik aus und wir sind alle ruhig und konzentriert. Früher habe ich kaum Sport gemacht, da war ich nicht so ausgeglichen. Man kann die Atmosphäre in der Küche lenken, sie hängt aber auch am Konzept. Ein festes Menü wie wir es anbieten lässt sich besser planen als Essen à la carte, wir können strukturierte Abläufe in der Küche schaffen, das bringt Ruhe rein.
Sie haben bei den besten Köchen gelernt. War die Atmosphäre da anders?
NAKAMURA: Sie war sehr unterschiedlich. Ich habe bei Martin Fauster im Münchner Königshof angefangen, da ging es oft hektisch zu, allein die Größe des Restaurants erforderte Höchstleistung. Von Joachim Wissler habe ich den Feinschliff gelernt. Wenn er in die Küche kam, wurde es still wie im Konzertsaal, wenn der Maestro die Bühne betritt. Er arbeitet sehr ruhig und präzise. Und dann kam ich zu Sergio Herman und dachte, was geht denn hier ab? Er ist der Rockstar unter den Sterneköchen, steht in Jeans und T Shirt da und legt noch mal ein ganz anderes Arbeitstempo vor.
Inzwischen haben Sie selbst zwei Michelin-Sterne. Wie würden Sie Ihren Weg in die Spitzengastronomie beschreiben?
NAKAMURA: Es war ein steiniger Weg. Ich hatte einige Kolleginnen und Kollegen, die aufgegeben haben, weil es zu heftig war. In der Sterneküche zu arbeiten ist wie Hochleistungssport. Wenn ein Athlet bei Olympia dabei sein will, muss er jeden Tag hart trainieren, da ist nicht viel mit Ausschlafen und Freizeit. In der Sterneküche ist es genauso, auch wenn ich die viele Arbeit nie als Entbehrung empfunden habe. Talent allein reicht nicht, man muss diese Leidenschaft in sich tragen, um durchzuhalten.
Was hat Ihre Leidenschaft befeuert?
NAKAMURA: Ich war schon als kleiner Junge vom Kochen fasziniert und habe in der Küche meiner Eltern herumgewerkelt. Sie haben selbst gern gekocht, vor allem meine Mutter. Sie ist Deutsche, mein Vater kommt aus Japan, lustigerweise hat sie häufiger japanisch gekocht als er. Ich bin in München aufgewachsen, aber mein Vater hat mir viel von der japanischen Kultur mitgegeben. Samstags musste ich in die japanische Schule gehen, was ich damals natürlich nicht so toll fand. Als Ausgleich hat meine Mutter oft groß aufgekocht.
Ist Ihr Kochstil mehr von der europäischen oder japanischen Küche geprägt?
NAKAMURA: Das liegt im Gaumen des Betrachters. Ich empfinde meinen Stil vermutlich europäischer als die meisten Gäste, allein schon, weil ich Produkte wie Butter oder Créme Fraiche verwende, die sicher nicht klassisch japanisch sind. Aber ich integriere auch japanische Aromen, verwende Sojasauce, setze eine Soße mit Sake statt mit Weißwein an oder beize das Schweinefilet mit fermentiertem Reis. Der Geschmack wirkt dann vielleicht trotzdem europäisch, aber die Technik kommt aus der japanischen Küche. Kulinarische Welten so miteinander zu verbinden, finde ich spannend, es gibt keine Regeln.
In Ihrem Restaurant in München servieren Sie Menüs mit bis zu 13 Gängen. Was inspiriert Sie zu neuen Kreationen?
NAKAMURA: Jedes neue Gericht entsteht im Kopf. Ein Komponist kann seine Musik im Kopf hören, ich kann mir Geschmäcker vorstellen. Wenn ich an Spargel denke, habe ich sofort mehrere Aromen auf der Zunge. Grün, weiß, gebraten, gekocht. Damit kann ich dann Lego im Kopf spielen und überlegen, welche Bausteine zusammenpassen. Manche Köche mögen sich von einem Bild von Monet inspiriert fühlen, ich öffne meine Aromenschublade im Kopf und vertraue meinem Bauchgefühl. Oft lasse ich mich von der Jahreszeit oder der Stimmung in der Stadt inspirieren.
Wie lange dauert es, bis eine Idee als Gericht auf dem Teller landet?
NAKAMURA: Mehrere Wochen, ich arbeite eng mit meinem Team zusammen. Die erste Idee landet auf Papier, dann tüfteln wir, kochen Probe und richten auf verschiedenen Tellern an. Denn wir wollen herausfinden, wie die einzelnen Komponenten optisch und stilistisch am besten harmonieren. Man könnte meinen, der Geschmack bleibt derselbe, aber je nachdem, wie die Zutaten auf dem Teller angerichtet sind, ergeben sich andere Geschmacksakkorde. Wir probieren solange herum, bis alle im Team zufrieden sind.
Wie sieht ein normaler Tag im Leben eines Zwei-Sterne-Kochs aus?
NAKAMURA: Bei mir beginnt er recht unglamourös damit, dass ich meine zwei Kinder in die Schule bringe. Das ist mir auch wichtig. Im Idealfall jogge ich dann eine Runde an der Isar, habe dann zumeist noch Meetings. Spätestens um halb eins stehe ich in der Küche. Mit unserem Team bereiten wir alles vor, essen dann gemeinsam, bevor es los geht.
Sie sind nervös, bevor die Gäste kommen?
NAKAMURA: Schlaflose Nächte habe ich nicht mehr, dafür bin ich abends zu müde. Aber eine gewisse Nervosität ist immer mit dabei, das ist auch wichtig, wenn alles perfekt sein soll. Jeden Abend gibt es einen letzten Check. Sind die Vorhänge auf gleicher Höhe? Stimmt der Abstand zwischen Lampe und Tisch? Dann wird das Licht gedimmt, ich schlüpfe in die Kochjacke und dann ist da dieser Moment der Stille, bevor der Vorhang fällt. Eine angenehme Grundspannung. Angespannter bin ich, wenn wir ein neues Gericht einführen, weil wir dann noch nicht so eingespielt sind und nicht wissen, wie es bei den Gästen ankommt.
Oft ist von einer Krise in der Spitzengastronomie die Rede. Was sagen Sie?
NAKAMURA: Ich nehme das nicht so wahr. Es gibt dieses Klischee, dass die Deutschen teures Motoröl kaufen, aber das billigste Öl auf ihren Salat kippen. Das stimmt einfach nicht mehr, auch hierzulande sind die Menschen inzwischen bereit, mehr Geld für Essen auszugeben. Aber klar, die Konkurrenz in der Spitzengastronomie steigt und damit auch der finanzielle Druck, allein in Deutschland gibt es mittlerweile über 350 Sterne-Restaurants.
Sich da durchzusetzen, bedeutet Stress und lange Arbeitstage. Wie viel Zeit bleibt da noch für die Familie?
NAKAMURA: Nicht viel, aber für mich zählt Qualität mehr als die Quantität. Ein freier Samstagabend ist für mich wie Weihnachten, es kommt einfach superselten vor. Dann laufe ich durch die Stadt und staune über den Trubel. Da kann man nicht mal eben schnell essen gehen ohne Reservierung, das ist schon irre.
Darf es notfalls auch mal ein Döner sein?
NAKAMURA: Klar, wenn die Qualität stimmt und der Döner mit Leidenschaft zubereitet ist. Mit meinen Kindern gehe ich gern zu Hans Kebab am Viktualienmarkt. Eisbergsalat oder bunter Wildkräutersalat, labbrige Tomatenscheiben oder reife Kirschtomaten, Kleinigkeiten machen ja oft schon den Unterschied. Außerdem lebt Essen von der passenden Atmosphäre. Auf einer Bergalm würde ich keine gebratene Seezunge bestellen und am Strand von Barcelona möchte ich keinen Spinatknödel mit Parmesan und Nussbutter essen.
Was kommt Ihnen nicht auf den Tisch?
NAKAMURA: Auf intensiv gereiften Käse kann ich gut und gerne verzichten genauso wie auf Innereien und Natto. Die fermentierten Sojabohnen sind ein Klassiker in Japan, aber mir ist sind sie zu heftig. Bei Fermentiertem stellt sich ja eh oft die Frage, ist das noch gut oder kann das weg.
Dann lieber zum Guten, welches Gericht geht immer?
NAKAMURA: Japanischer, weißer Reis. Wenn ich den nicht einmal in der Woche esse, fehlt mir etwas, das ist meine kulinarische Wohlfühloase. Ich liebe auch Omelette, am besten mit japanischer Mayonnaise, die ist sowieso mein Guilty Pleasure.
Apropos Guilty Pleasure, gehen Sie auch mal bei der Konkurrenz essen?
NAKAMURA: Ja, das ist ja keine Betriebsspionage. Ich kann mir Gerichte zwar lange merken, aber ich koche sie ja nicht genauso nach. Ich gehe einfach gern essen und lasse mich inspirieren. Es muss auch nicht immer ausgefallen sein, man kann vom Imbiss um die Ecke genauso etwas lernen wie vom Drei-Sterne-Restaurant.
Klingt wie im Krimi, aber wo waren Sie zuletzt essen?
NAKAMURA: (lacht) Beim Italiener Dal Cavaliere am Rosenheimer Platz.
Wo wir schon bei Restaurants sind, lieber bayerisch oder japanisch?
NAKAMURA: Ich mag beides aber wenn ich entscheiden muss: Japanisch, weil es mehr Abwechslung auf dem Teller bietet. Beispiel Ramen, da hat man viel Brühe in der Schüssel, aber es ist geschmacklich immer noch spannender als Schweinsbraten mit Semmelknödel.
Kochen Sie auch zu Hause?
NAKAMURA: Klar, da macht es erst richtig Spaß, weil es viel freier und entspannter ist. Im Restaurant kann ich nicht einfach ausbrechen, da muss alles genau geschnitten, portioniert und zubereitet werden. Zu Hause kann ich improvisieren. Ich koche auch gern im Urlaub, wenn ich länger nicht in der Küche stehe, vermisse ich es.
Welches Küchengerät wird unterschätzt?
NAKAMURA: Alle reden vom Messer, aber ohne ein vernünftiges Schneidebrett hilft auch das beste Messer nichts. Ich verwende am liebsten eines aus japanischem Hinoki-Holz, aber bloß nicht so eine schreckliche Plastikunterlage.
Sie waren als Jury-Mitglied bei „The Taste“, haben bei „Kitchen Impossible“ Tim Mälzer besiegt. Triumph genug oder hätten Sie gerne eine eigene Kochsendung?
NAKAMURA: Ich bekomme immer mal wieder Anfragen für Formate. Da sie aber mit dem laufenden Restaurantbetrieb vereinbar sein müssen und ich nicht mehrere Wochen am Stück eine Show drehen oder ein Kamerateam in meine Küche lassen kann, ist das zeitlich schwierig. Aber wenn ein passendes Format kommt, müssen wir das einfach langfristig planen.
Was schwebt Ihnen ansonsten vor, ein dritter Stern vielleicht?
NAKAMURA: Natürlich wäre es schön, einen dritten Stern zu bekommen, aber für mich ist das kein wirkliches Ziel im Sinne von „dann ist das Ende erreicht“. Es ist ja nicht wie beim Marathonlauf, dass man ankommen und sich ausruhen kann. Man kann einen Stern jederzeit wieder verlieren, es ist eine Endlosschleife. Man muss immer alles geben, um vorne mit dabei zu bleiben. Das versuchen wir tagtäglich zu tun.
Zur Person:
Tohru Nakamura ist bei München aufgewachsen und hat deutsch-japanische Wurzeln. Seine Kochausbildung begann er im Münchner Hotel Königshof, nach mehreren Stationen wurde er Küchenchef des Werneckhof und 2020 von Gault-Millau zum Koch des Jahres gewählt. Im Dezember 2021 eröffnete der 41-Jährige sein eigenes Restaurant „Tohru in der Schreiberei“ in München. 2022 wurde es mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden