Allein im Januar zerfielen der Plattform „spaceweather.com“ zufolge mehr als 120 Starlink-Satelliten in der Erdatmosphäre. Hübsche Leuchterscheinungen am Nachthimmel waren die Folge. Forschende befürchten allerdings, dass der hauchdünnen Schutzhülle der Erde auf Dauer schwerer Schaden drohen könnte. Brisant ist, dass sich die Folgen womöglich um Jahrzehnte verzögert zeigen. „Wir sollten jetzt genauer hinschauen, damit wir nicht in 30 Jahren ein Problem haben, gegen das wir nichts mehr tun können“, sagt Leonard Schulz vom Institut für Geophysik und extraterrestrische Physik der Technischen Universität Braunschweig.
Satelliten bestehen zum Großteil aus Aluminium
Lange sah man für die Menschheit beim Wiedereintritt ausgedienter Satelliten und Raketenstufen vor allem eine Gefahr: dass Trümmerteile Gebäude oder Menschen treffen könnten. Inzwischen werden Satelliten oft so konstruiert, dass sie restlos verglühen. Doch die schiere Masse neu hinzukommender Flugkörper könnte ein anderes Problem bedeuten.
Denn: Verglühen heißt nicht verschwinden. Zahlreiche Verbindungen entstehen. Und gerade die Chemie der dünnen oberen Atmosphäre ist empfindlich und kann sich schon bei geringem Einfluss erheblich verändern, wie Claudia Stolle vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) erklärt. Womöglich sei die Situation ähnlich wie anfangs beim Plastikmüll in den Meeren. „Es wurden immense Mengen in Ozeane verklappt, weil man dachte: Die sind ja riesig, das macht nichts aus.“
Satelliten bestehen zum Großteil aus Aluminium, daneben finden sich Metalle wie Lithium, Kupfer und Blei, wie Johannes Schneider vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz sagt. Aluminium reagiere beim Wiedereintritt in die Atmosphäre mit Sauerstoff und bilde dabei Aluminiumoxid. Diese Partikel katalysieren an ihren Oberflächen Reaktionen, bei denen aus chlorhaltigen Verbindungen Chlor abgespalten wird. Chlor wiederum zerstört Ozonmoleküle.
Ozonschicht schützt Menschen, Tiere und Pflanzen vor der ultravioletten Strahlung
Droht also ein neues Ozonloch? „Wir sehen ein Risiko, aber es fehlen noch Messdaten für eine realistische Abschätzung“, sagt Geophysiker Schulz. Zwar werde auch durch verglühende Meteoriten ständig Material in die Atmosphäre eingetragen – die Brocken enthielten aber zum Beispiel kaum Aluminium. Zu berücksichtigen sei zudem, dass es sich um Katalysator-Reaktionen handelt, bei denen schon sehr kleine Mengen große Auswirkungen haben können, betont Karl-Heinz Glaßmeier von der Technischen Universität Braunschweig.
Die Ozonschicht schützt die Erde vor der ultravioletten Strahlung (UV) der Sonne und ist essenziell für das Leben auf der Erde. Beim Menschen wird das Risiko etwa für Hautkrebs und Augenkrankheiten vermindert, auch Pflanzen und Tiere werden vor Zellschäden durch die energiereiche Strahlung bewahrt.
Schon einmal, in den 1980er Jahren, haben Forschende die erschreckende Entdeckung gemacht, dass die Schicht insbesondere über der Antarktis immer dünner wurde. Ursache waren vom Menschen freigesetzte Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW). 1987 verständigten sich zahlreiche Länder im Montreal-Protokoll auf einen FCKW-Ausstieg.
Messen lassen sich die verglühten Partikel wohl erst in drei Jahrzehnten
Schätzungen der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) sagen derzeit die vollständige Erholung der Ozonkonzentrationen in der Stratosphäre für etwa das Jahr 2075 voraus. Der befürchtete Einfluss verglühender Satelliten und Raketenstufen ist bei dieser Prognose noch nicht berücksichtigt, zu neu sind die Hinweise und Labor-Modellierungen.
Der in den Geophysical Research Letters vorgestellten Simulationsstudie des Teams um Joseph Wang von der University of Southern California in Los Angeles zufolge könnte es etwa drei Jahrzehnte dauern, bis die Partikel die Ozonschicht erreichen – bis das Verglühen sich also messbar auswirkt.

Hinter diesem Wert stehe aber ein sehr großes Fragezeichen, sagt Schulz. Aufklärung könnten sogenannte Lidar-Messungen bringen. Ein Lidar sendet Laserpulse aus und detektiert das zurückgestreute Licht aus der Atmosphäre. Am KIT seien entsprechende Messungen bereits angelaufen, sagt Stolle. „Wir wollen die Entwicklung aufzeichnen, unter anderem für Aluminium.“
Sollten alte Satelliten nicht abwärts Richtung Erde, sondern ins All gesteuert werden?
Was hingegen fehlt, sind mögliche Auswege, sollte sich der Verdacht auf ein erneut drohendes Ozonloch bestätigen. Vorstellbar wäre Schulz zufolge, mehr Edelstahl statt Aluminium zu verwenden. „Das ist zwar schwerer und mehr Masse verursacht bei Starts immer mehr Kosten, aber die Startkosten je Kilogramm Gewicht sinken seit Jahren stetig.“ Mögliche Effekte dürften bei Edelstahl weit weniger ins Gewicht fallen, weil Eisen auch vom stetigen Strom verglühender Meteoriden in großen Mengen eingetragen werde.
Japanische Forschende brachten im November 2024 den Satelliten „Lignosat“ aus Magnolienholz ins All. Aussortierte Holzsatelliten könnten beim Verglühen weniger Probleme durch schädliche Substanzen verursachen, so eine Hoffnung der Forschenden. Glaßmeier ist skeptisch: „Holz verbrennen, das mag harmlos klingen, aber dabei entstehen unter anderem dunkle Rauchpartikel, die Sonnenlicht absorbieren.“
Wäre es ein Ausweg, ausgediente Satelliten nicht abwärts Richtung Erde, sondern hinaus ins All zu steuern? Unglaublich teuer sei das wegen des nötigen Treibstoffs und deshalb nicht praktikabel, erklärt Schulz. Denkbar sei aber, gegenläufig zum aktuellen Trend wieder stärker auf kontrolliertes Abstürzen statt vollständiges Verglühen zu setzen.
Ebenfalls gegen den Trend wäre es, Satelliten wieder langlebiger zu gestalten: Derzeit werde nicht nur bei Starlink auf billige Massenprodukte mit hoher Ausfallrate gesetzt, die Haltbarkeit sei auf etwa fünf Jahre ausgelegt, sagt Schulz. „Wenn man das auf zehn Jahre verdoppeln würde, wäre der Materialeintrag schon mal halbiert.“
Allein Elon Musk peilt einen Ausbau auf mehr als 30.000 Satelliten an
Fest steht: Die Zeit drängt. Im Jahr 2000 habe es 200 menschengemachte Objekte im All gegeben und 50 seien verglüht, sagt Stolle. Im vergangenen Jahr hätten sich die Zahlen auf 3.000 vorhandene und 700 verglühte erhöht. Allein die im Jahr 2022 veglühten Satelliten brachten Wangs Team zufolge wohl rund 17 Tonnen Aluminiumoxid-Verbindungen in die Atmosphäre. Schon bald könnten es weit über 300 Tonnen jährlich sein.
Allein Starlink peilt einen Ausbau auf mehr als 30.000 Satelliten an. Seit 2018 hat SpaceX von Tech-Milliardär Elon Musk mehr als 7.000 Starlink-Satelliten in die Erdumlaufbahn gebracht. Etliche kommen nun schon wieder runter. „Die anhaltende Rate der täglichen Wiedereintritte ist beispiellos“, wird der Astronom Jonathan McDowell vom Harvard Center for Astrophysics von „spaceweather.com“ zitiert.
In den kommenden Jahren sollen zehntausende Satelliten in niedrige Erdumlaufbahnen – etwa 160 bis 2.000 Kilometer über der Erdoberfläche – gebracht werden, als sogenannte Megasatellitenkonstellationen. Das sind Anordnungen so billig wie möglich gebauter, oft zwischen 150 und 1.200 Kilogramm schwerer Satelliten mit gemeinsamer Aufgabe wie der Versorgung mit Breitband-Internet.
Dahinter stehen neben SpaceX Firmen wie Eutelsat One Web und Blue Origin von Amazon-Gründer Jeff Bezos sowie gleich mehrere Projekte Chinas wie Qianfan, GW und Honghu-3. Auch die EU plant mit Iris² ein Netzwerk. Eines haben die Satelliten aller Megakonstellationen Stolle zufolge gemeinsam: „Sie sind nicht auf lange Haltbarkeit ausgelegt.“
Länder wollen lieber eigene Kommunikation im All aufbauen als sich abhängig zu machen
Zwar würde theoretisch ein Netzwerk genügen, um der gesamten Welt Internetzugang zu gewähren. Gerade mit den jüngsten politischen Entwicklungen etwa in den USA scheint das aber geopolitisch undenkbar. Diverse Länder setzen darauf, lieber eine eigene Kommunikation im All aufzubauen als sich von Anbietern wie Starlink abhängig zu machen. „Das macht die Situation noch mal viel problematischer“, sagt Schulz.
Zudem gilt für die Genehmigung der Projekte: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. In den genutzten Umlaufbahnen ist zwar viel Raum für gewaltige Satellitenschwärme, doch die Zahl möglicher Funklizenzen ist begrenzt, wie Glaßmeier erklärt. Projekte würden darum unabhängig davon beantragt, was zeitnah realisierbar sei – etwa von Ruanda, das 2021 bei der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) eine Lizenz für eine Megakonstellation aus mehr als 300.000 Satelliten beantragt habe. „Es wird versucht, Claims abzustecken.“
Zukünftige Raumfahrtaktivitäten könnten – über die Raketenstarts und das Verglühen von Satelliten und Raketenstufen – zu Ozonabnahmen im Prozentbereich führen, heißt es im Ozonbulletin des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom Juli vergangenen Jahres. Die Unsicherheiten seien noch groß, aber: „Wir müssen das im Auge behalten.“ Der Mainzer Max-Planck-Forscher Johannes Schneider betont: „Die Frage ist, wie groß der Effekt ist, nicht, dass es ihn gibt.“ (Annett Stein, dpa)
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