Hans Castorps erste Mahlzeit auf dem „Zauberberg“ beinhaltet „Braten mit vielerlei Zutat“, der auch zu später Stunde noch verfügbar ist und zum Frühstück auf „Platten mit kaltem Fleisch“ wieder auftaucht, und auch bei den „Buddenbrooks“ wird nicht gehungert: Ein „kolossaler ziegelroter panierter Schinken erschien“ zum Bankett. Thomas Mann lässt diesen nicht etwa serviert oder gebracht werden, nein, das Prachtstück erscheint, es ist eine höchst würdevolle Angelegenheit. Und wer tranchiert? Natürlich das Familienoberhaupt, Lebrecht Kröger schnitt „mit Bedacht die saftigen Stücke hinunter“, heißt es.
Ganz ähnlich erlebte es Ralf B. Meneghini, Landesverbandsvorsitzender Bayern des Verbands der Köche Deutschlands e. V.. Der Spitzenkoch aus Bad Mergentheim, der jahrelang in der Fünf-Sterne-Hotellerie in aller Welt tätig war, denkt beim Thema Sonntagsbraten zuerst an seine Kindheit und sagt: „Fleisch gab es damals einmal in der Woche, am Sonntag. Ich erinnere mich, wie mein Opa den Braten aus dem Topf hob und ihn anschneiden durfte.“
Einst war Fleisch das Statussymbol auf dem Mittagstisch der Nation
Das war um 1970, und das gute, wertgeschätzte Fleisch, einst Statussymbol auf dem Mittagstisch der Nation, gilt bis heute als wichtige Komponente unserer Ernährung, auch wenn wir längst weniger davon essen. Von den fetten Wirtschaftswunderjahren bis Mitte der 1990er war der Pro-Kopf-Fleischkonsum in Deutschland auf 60 bis 64 Kilogramm gestiegen, heute liegt er bei etwa 51. Das ist gut für unsere Gesundheit und die Umwelt. Im Zuge dieses Umdenkens werden manche zum Vegetarier – andere empfinden eine neue Wertschätzung für Fleisch und Tier und essen deshalb weniger und bewusster.
Zu diesem Umdenken gehört die Wiederentdeckung des sogenannten Sonntagsbratens als etwas, das man sich ab und zu gönnt, mit der Familie, mit Freunden. Mit Geselligkeit.

Ein Braten verdient die Aufmerksamkeit einer Tischgemeinschaft
Historisch hat der Sonntagsbraten mit der christlichen Tradition zu tun. Freitag war Fastentag, Samstag noch Werktag, aber dann kam der Tag des Herrn: Am Sonntag war alles erlaubt. Und man hatte Zeit zum Kochen. Dann geriet der Sonntagsbraten aus der Mode, er passte schlecht zur neuen großen Freiheit, in der man sich immer seltener gemeinsam an den Esstisch setzte. Ein Braten ist kein Gericht für die Singleküche, er verdient die Aufmerksamkeit einer Tischgemeinschaft. Natürlich ist die Kocherei etwas aufwändiger, aber es lohnt sich. Er lässt sich gut vorbereiten, und wenn man die ganze Arbeit erledigt hat, darf sich auch das Küchenteam entspannt zu den Gästen an den Tisch setzen und muss höchstes noch mal Soße auffüllen. Wer es rustikal mag, verzichtet zudem auf Anrichteplatten und stellt den Bräter in die Tischmitte, das macht auch optisch was her und man kann sich mit Respekt dem nähern, was Natur und Köchin produziert haben. Voilà – bitte bedient euch!
Der Schmorbraten im Ofen ist im Grunde ein dankbarer Kerl
Nur – wie ging das noch mal mit Omas Schmortopf? Welches Fleisch soll es sein, worauf muss ich beim Einkauf achten? Wie lange kommt es in den Backofen, bei wie viel Grad und offen oder abgedeckt? Was ist mit Gewürzen, Wein und Fond und wie wird eine Soße gemacht? Klingt kompliziert, ist es aber nicht. Der Schmorbraten im Ofen ist im Grunde ein dankbarer Kerl: Wer sich Zeit für ihn nimmt, wird es fast immer zu einem guten Ende bringen.
Ein wenig Theorie kann dennoch nicht schaden. „Die Toleranzgrenze für Fehler bei der Zubereitung von Fleisch ist im Vergleich zu früher deutlich gesunken. Daher ist es umso wichtiger – und sehr nützlich – zu verstehen, was genau bei den verschiedenen Methoden der Fleischzubereitung vor sich geht“, schreibt der renommierte amerikanische Buchautor Harold McGee in seinem Kochklassiker „On Food and Cooking“, wo er explizit die molekularen Prozesse der Fleisch-zum-Braten-Verwandlung betrachtet und für die heutige Praxis auswertet. Ein Buchtipp für alle, die es genau wissen wollen. Etwas kompakter hat Tim Mälzer in seinem Grundlagenwerk „Die Küche“ zusammengefasst, was beim Schmoren passiert: Zu Beginn des Garprozesses wird das Fleisch zunächst hart, spröde und trocken, weil es zu viel Flüssigkeit verliert. Bei 70 Grad Kerntemperatur beginne „die große Schmorwende: Das Kollagen – das Eiweiß im Bindegewebe – wird immer weicher und löst sich nach und nach auf. Das macht den Braten saftig und zart.“
„Genau das wollen wir haben und genau das ist gar nicht so schwer“, sagt Meneghini. Schmoren lernt jeder Kochazubi, es ist eine Grundtechnik, vielseitig einsetzbar, ob für Ochsenbäckchen oder Rollbraten. Man braucht keine besonderen Geräte und Zutaten, hat aber lange was davon, wenn man einen halben Tag in der Küche steht. „Man kann von vornherein mehr zubereiten, dann lohnt sich der Aufwand“, sagt Meneghini. „Reste gibt’s Montag im Büro, sie schmecken als Aufschnitt oder können eingefroren werden“.
Grundrezept Rinderschmorbraten nach Ralf B. Meneghini
Alles beginnt mit dem Einkauf. Wer sich nicht auskennt, bittet den Metzger seines Vertrauens um Hilfe. Für einen einfachen Rinderbraten eignet sich ein Stück aus der Keule, der Oberschale oder das sogenannte Falsche Filet. Pro Person rechnet man mit mindestens 300 Gramm Frischfleisch, beim Schmoren geht Gewicht verloren. Wer noch was für die Tupperdose übrig haben will, muss natürlich mehr nehmen.
Für einen stressfreien Sonntagsbraten rechtzeitig anfangen und Pufferzeit einplanen. Das Fleisch sollte idealerweise Zimmertemperatur haben, es sollte mindestens eine Stunde vor Beginn der Zubereitung aus dem Kühlschrank genommen werden. Dann kurz kalt abspülen, trocken tupfen und bei Bedarf parieren, also vorhandene Sehnen und Silberhaut entfernen. Anschließend das Bratenstück rundherum salzen und in einem Schmortopf von allen Seiten kräftig angebraten, bis es Farbe bekommen hat. Dafür eignet sich ein Topf mit Deckel und einem dicken Boden, der die Temperatur gut hält, oder ein gusseiserner Bräter. Die sind zwar etwas teurer, haben aber den Vorteil, dass die Wärme gleichmäßig von allen Seiten strahlt und lange gehalten wird. Eine ovale Form ist besonders praktisch. Ohne Topf geht’s in der Not mit einem tiefen Backblech und Alufolie.
Deckel drauf und für eine Stunde bei 140 Grad im Ofen schmoren lassen
Zum Anbraten nimmt man neutrales Öl, kein Olivenöl. Hat das Fleisch Farbe, wird es vorübergehend auf einem tiefen Teller geparkt. Im Bratenansatz wird jetzt das gewürfelte Wurzelgemüse angebraten. Dazu kommen ein Löffel Tomatenmark, außerdem Gewürze wie Knoblauch, Pfeffer, Lorbeerblatt, Wacholderbeeren und getrocknete Waldpilze. Alles kräftig anrösten, mit einer Kelle gutem Fond ablöschen und etwas einkochen lassen. Diesen Vorgang mehrmals wiederholen. Zuletzt mit Rotwein aufgießen, „mindestens eine halbe Flasche“, empfiehlt Meneghini, „der Geschmack muss ja von etwas kommen“. Erneut einreduzieren lassen, mit Fond aufgießen und dann darf das Fleisch (samt ausgelaufenem Fleischsaft) zurück in den Topf. Es sollte jetzt fast komplett mit Flüssigkeit bedeckt sein. Deckel drauf und für eine Stunde bei 140 Grad im Ofen schmoren lassen, anschließend eine weitere Stunde ohne Deckel. Die exakte Zeit hängt natürlich von der Größe des Stücks ab, eine Rechenformel will Meneghini aber nicht nennen. Am sichersten ist es, nach Kerntemperatur zu entscheiden. Die sollte bei Rindfleisch 90 Grad betragen, bei Schweinebraten 80 Grad. Ein Bratenthermometer ist eine gute Investition. Wer keins hat: Beim Metzger fragen, ob man sich eins ausleihen kann.
Für eine Kruste, beispielsweise beim Schulterschwartenbraten, wird für die letzten 20 Minuten der Ofen auf 220 Grad hochgefahren.
Wichtig: Ein Schmorbraten braucht Zeit, hintenraus gibt es Spielraum
Nach dem Schmoren sollte das Fleisch ein paar Minuten abgedeckt ruhen und sich entspannen, bevor es aufgeschnitten wird. Im Ganzen servieren ist aber auch erlaubt. Während der Ruhezeit kann man die Soße herstellen: Dazu den Bratensud durch ein Sieb in einen neuen Topf geben, mit etwas in Rotwein angerührter Stärke binden, manche schwören auch auf einen kleinen Klecks Butter. Abschmecken nicht vergessen und eventuell nachsalzen.
Wichtig ist: Ein Schmorbraten braucht Zeit. Nichts ist schlimmer, als wenn das gute Stück zu früh aus dem Ofen muss und noch zäh ist. Hintenraus gibt es Spielraum. Wartezeit im Warmen, abgedeckt in der Röhre bei etwa 80 bis 100 Grad, verträgt er durchaus. Sie widmen sich währenddessen den Beilagen oder Ihren Gästen.
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