Schweizer Forschende haben 34 Mikroorganismen gefunden, die bei einer Temperatur von 15 Grad Celsius Kunststoffe abbauen können. Die bisher bekannten plastikfressenden Organismen brauchen mindestens eine Temperatur von 20 Grad, viele deutlich mehr. Die Entdeckungen könnten helfen, neue, energiesparende Recyclingmethoden für Kunststoffe zu entwickeln. Das Team um Joël Rüthi und Beat Frey von der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL in Birmensdorf (Schweiz) hat eine Studie in der Fachzeitschrift Frontiers in veröffentlicht.
Die Bakterien und Pilze zeigten sich in der Studie wählerisch
Die Wissenschaftler wussten, dass man vereinzelt auch in kühlen Regionen kunststoffabbauende Bakterien und Pilze finden kann. Sie suchten deshalb gezielt auf Grönland, auf Spitzbergen, im Schweizer Kanton Graubünden und auf dem Schafberg in Österreich nach Mikroorganismen. Die Plastikstücke, auf denen die Forscher sie entdeckten, hatten sie größtenteils selbst dort deponiert; zum Teil wurden auch Kunststoffabfälle eingesammelt. Die Studienautoren fanden 19 Bakterienstämme und 14 Pilze. Die Forschenden isolierten die einzelnen Stämme und platzierten sie in ein Kulturmedium, das keine andere Kohlenstoffquelle als einen Kunststoff enthielt. Die Umgebungstemperatur hielten sie auf 15 Grad.
"Es war für uns sehr überraschend, dass wir festgestellt haben, dass ein Großteil der getesteten Stämme in der Lage war, mindestens einen der getesteten Kunststoffe abzubauen", wird Joël Rüthi in einer Mitteilung der Fachzeitschrift zitiert. Organismen, die sich erfolgreich vermehrten, wurden weiter getestet. Dabei stellten Rüthi, Frey und Kollegen fest, dass es auch vom Kulturmedium abhängt, wie schnell sie die Plastikmasse reduzieren. Die Mikroorganismen erwiesen sich dabei als wählerisch, kein Medium war für alle Bakterien und Pilze gleichermaßen gut geeignet.
Plastikflaschen sind auch für Bakterien nur Müll
Die Schweizer Forscher testeten Kunststoffe, die als biologisch abbaubar gelten, wie Polyurethane (PUR), Polybutylenadipat-co-terephthalat (PBAT) und Polymilchsäure. Außerdem machten sie Versuche mit Polyethylen (PE), dem üblichen Kunststoff von Plastikflaschen – diesen konnte jedoch keiner der Mikroorganismen abbauen. 14 Mikroorganismen waren in der Lage, PUR in größerem Umfang als Nahrungsquelle zu nutzen. Ähnlich viele können den kommerziellen Kunststoff ecovio® abbauen, der unter anderem PBAT und Milchsäure enthält.
Auf die Frage, wie Bakterien und Pilze überhaupt die Fähigkeit entwickeln können, Kunststoffe zu zerlegen, haben die Forscher ebenfalls eine Antwort: "Es hat sich gezeigt, dass Mikroben eine Vielzahl von polymerabbauenden Enzymen produzieren, die am Abbau von Pflanzenzellwänden beteiligt sind", erklärt Beat Frey. Insbesondere werde oft berichtet, dass pflanzenschädigende Pilze Polyester biologisch abbauen, da sie in der Lage sind, Cutinasen zu produzieren. Diese zersetzen das Pflanzenpolymer Cutin, das Ähnlichkeiten mit den Kunststoffpolymeren habe.
"Die nächste große Herausforderung wird darin bestehen, die von den Mikrobenstämmen produzierten kunststoffabbauenden Enzyme zu identifizieren und den Prozess zu optimieren, um große Mengen an Proteinen zu erhalten", sagt Beat Frey. Hilfreich könnten dabei vor allem die Pilzgattungen Neodevriesia und Lachnellula (Nadelholz-Haarbecherchen) sein, die in der Lage waren, alle der biologisch abbaubaren Kunststoffe (also alle getesteten außer Polyethylen) zu verwerten. (dpa)