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Wissenschaft: Enorme Belastung: Wie sich Schwangerschaft langfristig auf Körper und Psyche auswirkt

Wissenschaft

Enorme Belastung: Wie sich Schwangerschaft langfristig auf Körper und Psyche auswirkt

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    Enorme Belastung: Eine Schwangerschaft hinterlässt Spuren im Körper und in der Psyche.
    Enorme Belastung: Eine Schwangerschaft hinterlässt Spuren im Körper und in der Psyche. Foto: Sebastian Kahnert/dpa

    Dehnungsstreifen am Bauch und Krampfadern in den Beinen sind häufige Folgen einer Schwangerschaft – aber bei weitem nicht die Einzigen. Ein Kind in sich heranwachsen zu lassen, zu gebären und aufzuziehen, hinterlässt vielfache Spuren im Körper und in der Psyche – und zwar oft noch lange, nachdem der Babybauch sich zurückgebildet hat. Dabei sind die Veränderungen nicht nur negativ, sondern es gibt auch positive Effekte.

    • Herz, Blutzucker, Beckenboden

    Mehrere chronische Erkrankungen können durch eine Schwangerschaft ausgelöst werden. So kann ein schwangerschaftsbedingt hoher Blutdruck im späteren Leben zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Schwangerschaftsdiabetes wiederum erhöht das Risiko für einen Typ-2-Diabetes. Und manche Frauen bekommen Beckenbodenprobleme, weil die Muskulatur ein- oder abgerissen ist oder die Bänder verletzt wurden. Das kann eine Senkung der Organe und Inkontinenz nach sich ziehen.

    In der Schwangerschaft offenbaren sich gesundheitliche Schwächen

    „Die Schwangerschaft offenbart uns die gesundheitlichen Schwächen der Frauen, die schwanger werden“, sagt Tanja Groten, Professorin für Geburtsmedizin und maternale Gesundheit am Universitätsklinikum Jena. „Wenn jemand eine weniger gute Gefäßgesundheit hat, dann würde das im normalen Leben gar nicht auffallen. Aber die Schwangerschaft ist so eine enorme Belastung, dass dann die Komplikationen entstehen.“

    Es sei enorm wichtig, Frauen nach der Schwangerschaft gut weiter zu betreuen, betont Groten. Gerade seien etwa die Blutdruckwerte nach der Schwangerschaft, für die eine Medikation empfohlen wird, herabgesetzt worden. Mit Hilfe der Medikamente könne der Körper den Umwandlungsprozess nach der Schwangerschaft besser bewältigen.

    • Veränderungen im Körper

    Doch nicht immer bekommen Frauen Beschwerden, mit denen sie zum Arzt gehen. Häufig treten auch chronische Rückenschmerzen auf oder die Beckenbodenmuskulatur ist geschwächt – sie ertragen die Schmerzen dann irgendwie oder trauen sich nicht mehr zum Joggen, weil ihnen dabei ungewollt Urin abgeht.

    Gynäkologin Groten verweist auf Befragungen, wonach die Mehrzahl der Frauen nach einer Entbindung angeben, mit Senkungsbeschwerden zu kämpfen. Neben Urinverlust etwa beim Laufen und Niesen könnten das auch Probleme mit der Blase, dem Darm oder Schmerzen beim Sex sein – übrigens wahrscheinlich unabhängig davon, ob eine Frau vaginal entbunden hat oder per Kaiserschnitt. „Wir können das nicht verhindern, aber wir müssen die Frauen finden, die das betrifft. Diese kann man therapieren, mit Übungen oder einem Pessar.“ Ein Pessar wird in die Scheide eingeführt und übt Druck auf die Scheidenwand aus. Dadurch sollen abgesunkene Strukturen und Organe im Becken mechanisch angehoben werden.

    Auch eine mögliche Folge – eine andere Schuhgröße

    Weitere Veränderungen im Körper können Zähne oder Füße betreffen. Die hormonellen Veränderungen führen bei einigen Frauen zu entzündetem Zahnfleisch und Parodontitis. Die Füße wiederum vergrößern sich bei einer großen Zahl von Schwangeren, weil sich die Gewölbehöhe absenkt. Diese Veränderung, die teilweise eine Schuhgröße betrifft, kann lebenslang bestehen bleiben.

    • Veränderungen in der Psyche

    Einige wenige Frauen leiden während ihrer Schwangerschaft, der Geburt oder im Wochenbett auch unter schweren Komplikationen – etwa Probleme mit dem Herzen, Gebärmutterriss oder schwere psychische Probleme. Eine im November veröffentlichte Studie kommt zu dem Schluss, dass dies auf 3,5 Prozent der Erstgebärenden zutrifft. „Solche Ereignisse können Frauen oft noch lange körperlich und geistig beeinträchtigen“, erklärte Ko-Autorin Neda Razaz vom schwedischen Karolinska-Institut. Wenig überraschend: Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Frauen ein weiteres Kind zur Welt brachten, war um 12 Prozent geringer als bei der Vergleichsgruppe, wie es in der Studie im Fachblatt JAMA heißt. Bei besonders schweren Komplikationen lag der Anteil noch höher. Dazu zählten die Forscherinnen traumatisch erlebte Geburten, einen Schlaganfall, Blutungen im Gehirn, akutes Nierenversagen, schwere Präeklampsie – also Schwangerschaftsvergiftung – und Blutgerinnsel.

    • Lebenserwartung bei Eltern höher

    Doch trotz möglicher Komplikationen und Folgekrankheiten: Frauen mit Kindern leben im Schnitt länger als kinderlose Frauen. Zu diesem Ergebnis kam 2019 unter anderem eine Studie von Kieron Barclay vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock und Martin Kolk von der Universität Stockholm im „European Journal of Population“. Diese untersuchte nicht nur leibliche Eltern in Schweden, sondern auch Adoptiveltern. Die Daten zeigen zum einen, dass Frauen, die Kinder zur Welt gebracht haben, seltener an Brustkrebs, aber häufiger an Gebärmutterhalskrebs erkranken. Doch diese Effekte könnten die Sterblichkeitsunterschiede nicht erklären, heißt es. Barclay und Kolk vermuten, dass es nicht die Geburt oder die Kinder sind, die Eltern länger leben lassen, sondern dass die Eltern von vornherein schon besser dastanden. Also: Wer gesund und gebildet ist sowie ausreichend Geld hat, finde eher einen Partner und bekomme Kinder. Der Sterblichkeitsvorteil sei also eher Voraussetzung für als Folge von Kindern.

    Doch selbst wenn die Autoren Faktoren wie Bildung und Beruf herausrechneten, fanden sie bei der Mehrheit der Eltern noch einen Vorteil gegenüber Kinderlosen. Sie schließen: Kinder machten ihre Eltern wohl gesünder, weil diese ihren Lebensstil änderten. Sie verunglückten seltener und auch Kreislauferkrankungen träten bei ihnen seltener auf – sie zeigten „ein vernünftigeres und verantwortungsvolleres Verhalten“.

    • Mentale Gesundheit kann leiden

    In den vergangenen Jahren ist die mentale Gesundheit von Müttern vermehrt in den Fokus gerückt. Nach Angaben der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention entwickeln 10 bis 15 Prozent der Mütter eine postpartale Depression, also eine schwerere, länger andauernde und behandlungsbedürftige depressive Erkrankung. Dies sei kein persönliches Versagen, sondern eine Krankheit, die behandelt werden könne, betont die Stiftung.

    Bisher bleiben diese psychischen Erkrankungen häufig ohne Diagnose. Trotzdem sehe man auch in Krankenkassendaten einen Anstieg psychischer Erkrankungen in den ersten Jahren nach der Geburt, heißt es in einer Untersuchung des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Essen von Juni. Nach vier Jahren sei die Zahl der Frauen, die Antidepressiva verschrieben bekämen, von 2,6 auf 3,7 Prozent gestiegen. Mögliche Gründe seien weniger Schlaf, Sport und andere Freizeitaktivitäten auf der einen Seite, schreiben die Forschenden. Auf der anderen Seite seien die Frauen psychosozialen Belastungen ausgesetzt und müssten häufig eine umfangreiche Kinderbetreuung leisten. „Es ist aber schwer, Kausalitäten darzulegen“, sagt Mitautor Fabian Dehos. „Denn ein ganzes Bündel an Dingen ändert sich im Leben der Frau.“

    Angesichts der psychischen Belastungen seien Maßnahmen nötig, meint Dehos. So hätten Untersuchungen gezeigt, dass eine vor allem verlässliche Kinderbetreuung Mütter entlaste. Auch solle es starke Anreize für Väter geben, mehr Aufgaben zu übernehmen. „Auch ein breiterer Zugang zu psychologischer Hilfe oder Beratung wäre wichtig.“

    Eigene Kinder sind ein Teil des Lebensglücks.
    Eigene Kinder sind ein Teil des Lebensglücks. Foto: Sina Schuldt, dpa (Symbolbild)
    • Mehr Zufriedenheit mit dem Leben

    Der Psychotherapeut und Gynäkologe Wolf Lütje weist darauf hin, dass eine breitere Betrachtung nötig sei als nur jene der Krankenkassendaten. „Wir wissen grundsätzlich, dass Kinder zu haben ein Teil des Lebensglücks ist. Die Zufriedenheit mit dem Leben ist bei Eltern etwas höher, trotz der deutlich erhöhten Belastungen.“ Die Trennungsrate sei im ersten Jahr nach der Geburt am höchsten. Viele Paarbeziehungen seien durch Rollenkonflikte und Abhängigkeiten gestört.

    Es komme immer auf die individuelle Familie an, ob Schwangerschaft und Kindererziehung vor allem als Belastung wahrgenommen würden oder als Ressource, meint Lütje, der auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe ist. „Was kann einem, der Kinder geboren und großgezogen hat, noch im Leben passieren? Gar nichts. Das kann eine unglaubliche Ressource werden.“ (Doreen Garud, dpa)

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