Frau Dangarembga, 2021 wurden sie in ihrem Heimatland Simbabwe verhaftet. Vorwurf: öffentlicher Anstiftung zur Gewalt. Dabei hatten sie bei einem Protest, einer Demo gegen die Korruption im Land, nur ein Pappschild hochgehalten: „Wir wollen bessere Verhältnisse“. Wie sicher fühlen Sie sich heute, in ihrem eigenen Land?
TSITSI DANGAREMBGA: Der Prozess hat bis September 2022 gedauert, damals hat mich das Gericht schuldig gesprochen. Das Urteil wurde dan erst im Mai 2023 wieder aufgehoben. Es war eine sehr lange, harte Zeit, durch dieses Verfahren zu gehen. Wenn man in solche Verstrickungen verwickelt ist, im Konflikt mit seinem eigenen Staat, fühlt man sich natürlich unsicher. Meine Situation ist aber keine besondere: Die Lage in Simbabwe ist heute weiter kritisch und ein großer Teil der Bevölkerung fühlt diese Unsicherheit, meine Angst löst sich in der Angst der anderen auf. Wenn ein Land eine Dauerkrise durchlebt, so wie Simbabwe, ist es schwierig, ein Gefühl von Sicherheit zu entwickeln. Und das ist ein Grund, warum Sie mich heute hier in Deutschland erleben. Ich muss reisen, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Andere Menschen in Simbabwe haben diese Chance nicht.
Sie bezeichnen sich selbst als „existential refugee“, als Existenz-Flüchtling. Was meinen Sie damit?
DANGAREMBGA: Ein Flüchtling ist jemand, der versucht, einen Ort von Frieden und Sicherheit zu finden, wo er als Mensch leben kann und nicht als Objekt gilt, das gejagt und gehetzt wird. Auch wenn meine Lebensumstände nicht so stark von offensichtlichen Problemen geprägt sind, zum Beispiel Krieg, gibt es da ein anderes Niveau im Leben, auf dem ich Angstfreiheit suche. Auf meinem Feld, der Kunst, ist das aber besonders schwer. Die Normen der Industrie bestimmen Kräfte, die nur das repräsentieren wollen, was ihrer Gewohnheit entspricht. Das bedeutet: Es wird für mich als Frau aus Afrika schwierig, Kunst zu produzieren, mein Leben damit zu verdienen. Und das liegt daran, wer ich bin. An all den Puzzleteilen, die mich zu dem Menschen machen, der ich bin.
Wann ist Ihnen bewusst geworden, dass Sie Menschen erreichen und bewegen können mit Geschichten. Insbesondere: Ihren Geschichten?
DANGAREMBGA: Wenn ich schreibe, hoffe ich auf ein Publikum. Ich glaube aber immer noch nicht so ganz daran, dass es wirklich ein Publikum für meine Kunst gibt, sogar heute noch nicht, wenn ich zum Beispiel als Regisseurin einen neuen Film beginne. Was mir die Kraft gegeben hat, trotzdem zu schreiben, war die Literatur, die ich als Studentin an der Universität in Simbabwe kennengelernt habe. Afroamerikanische Frauen begannen damals große Literatur zu schreiben. Toni Morrison, oder auch Maya Angelou, Alice Walker. Ich erinnere mich noch, wie ich „Sehr blaue Augen“ von Toni Morrison las. Darin geht es um ein junges, schwarzes Mädchen, das sich unwohl fühlt, weil alle anderen so anders aussehen als es selbst. Und das war mir vertraut, das war für mich eine Offenbarung. Wow! Es ist also möglich, über diese Erfahrung zu schreiben. Und von Toni Morrison habe ich gelernt, was Schreiben auch bedeutet: sich auflehnen gegen alles, was uns zum Schweigen bringen will.
Sie waren die erste weibliche Romanautorin Simbabwes, die so einen großen Erfolg feiern konnte. Ist das eine spezielle Position, die sie im Literaturbetrieb einnehmen, zwischen afrikanischem und europäischem Literaturbetrieb? Vielleicht sogar eine Außenseiter-Rolle?
DANGAREMBGA: Was mich wirklich aufrecht hält, ist die Unterstützung und die Neugier, die mir der afrikanische Kontinent entgegenbringt. Zum Beispiel im Gespräch mit Menschen aus Südafrika, oder aus Kenia. In Simbabwe ist die Kunstszene nicht besonders lebendig, aber selbst dort spüre ich, dass es wichtig ist, was ich in der Literatur schaffe, für die Menschen um mich herum. Das lässt mich weitermachen.
In Augsburg sind sie jetzt Gastdozentin an der Universität. In ihren Vorlesungen sprechen sie darüber, wie der Kolonialismus bis heute das Verhältnis zwischen Afrika und Europa prägt. Und dabei fällt ein spezieller Begriff: Meta-Kolonialismus. Was bedeutet das, in Ihren eigenen Worten?
DANGAREMBGA: Meta-Kolonialismus, das beschreibt ein Phänomen auf dem afrikanischen Kontinent: Neu, lokale Machteliten kapern die alten Strukturen von ehemaligen Kolonialmächten, um sie dann aber nur in ihrem eigenen Interesse auszunutzen, auf Kosten der Bevölkerung, der Menschen im Land.
Ein Beispiel?
DANGAREMBGA: Zum Beispiel in Simbabwe. Dort haben wir eine Befreiungsbewegung erlebt, die einen starken Rückhalt in der Bevölkerung hatte. Dann aber hat die Bewegung die Macht der Institutionen und der Staatsstrukturen genutzt, um sich im weltweiten Handel selbst zu bereichern. Und wir wissen ja, wie die globale Wirtschaft heute funktioniert, und was sie geprägt hat: Es begann mit den europäischen „Entdeckungsreisen“ nach Afrika, der Besitzergreifung von Land und Ressourcen. Die neuen Eliten entwickeln diese Ziele und Strukturen nur weiter. Deswegen „Meta“-Kolonialismus.
Augsburg ist die Stadt der Fugger und Welser. Beide Handelsfamilien waren zur Zeit der ersten europäischen Entdeckungsreisen schon unfassbar reich und auch selbst beteiligt am Dreieckshandel mit Afrika. Dabei wurden Menschen zur Ware, Jahrhunderte lang.
DANGAREMBGA: Wissen Sie, wie das in der Geschichtsschreibung übertüncht wird? Kennen Sie die Geschichte von August Sabac el Cher? Er war Sohn eine nubischen Scheich-Dynastie und einer der frühen afrikanischen Menschen in Deutschland, im 19. Jahrhundert. Man erzählt sich, dass er als Geschenk einem preußischen Adeligen überreicht wurde. Das klingt noch relativ harmlos. Aber wichtig wäre doch zu fragen: Wie konnte es so weit kommen, dass ein Menschenleben ein „Geschenk“ sein kann? Wie kam dieser Adelige in den Besitz eines anderen Menschen? Was wir da in der Nacherzählung erleben, ist oft bewusste Falschdarstellung.
Zur Zeit von Jakob Fugger lag die Macht, nicht nur die finanzielle, in der Hand von wenigen, weißen Männer. Und heute ...? Steuern wir wieder auf eine ähnliche Zeit zu?
DANGAREMBGA: Absolut. Deswegen erleben wir heute auch so einen harten Widerstand gegen soziale Bewegungen, die für Gleichheit kämpfen, verschiedene Arten von demografischer Gleichheit. Das begann schon im 13. Jahrhundert mit der Lehre der christlichen Kirchen: Sie predigten als christliches Recht und als christliche Pflicht den absoluten Besitz, das war die Grundlage für die Eroberungen in Afrika. Und dahin steuern wir wieder: Wenige Menschen behaupten, sie hätten das absolute Recht.
Was können wir als Europäer lernen, aus der komplizierten gemeinsamen Geschichte mit dem Kontinent Afrika?
DANGAREMBGA: Alles hängt davon ab, was wir wirklich wollen. Manche Menschen sind ja sehr glücklich, so wie die Verhältnisse nun einmal so sind. Aber wenn wir finden, dass sich etwas ändern muss, können wir die Art ändern, wie wir handeln. Jedes Individuum ist ein Produkt seiner Kultur. Aber wer einen inneren Antrieb spürt, dass sich etwas ändern muss, ist schon an dem Punkt, damit zu beginnen.
Zur Person
Tsitsi Dangarembga, geboren 1959 im heutigen Simbabwe, ist Autorin und Filmemacherin. Sie gilt als bedeutende Regisseurin des jüngeren afrikanischen Kinos, wurde bekannt durch ihren Roman „Aufbrechen“ und gewann 2021 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Aktuell ist sie Gastdozentin am Jakob-Fugger-Zentrum der Universität Augsburg und hält am 5. Juni 2025, 18.30 Uhr, ihren nächsten Vortrag im Rokokosaal der Regierung von Schwaben.
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