John McLaughlin ist ein Brückenbauer zwischen Rock und Jazz
Als Jazzgitarrist ließ sich John McLaughlin von fernöstlicher Spiritualität leiten. Nun wird er 80 Jahre alt und erfreut sich bester Gesundheit.
War früher tatsächlich alles besser? „Nicht alles, aber doch einiges“, findet John McLaughlin und lacht dabei. „Die Plattenläden waren noch soziale Orte, an denen man Stunden verbringen, Freunde treffen und sich austauschen konnte.“ Früher, da gab es noch kein Youtube, kein TikTok, keine permanente, unkoordinierte Reizüberflutung, in der sich keiner mehr orientieren kann. Musikhören, das sei für ihn immer eine aktive Tätigkeit gewesen, die den gesamten Menschen erfordere, sagt McLaughlin. Stattdessen gehe es inzwischen hauptsächlich um Konsum. Einen Burger kann man konsumieren, eine Cola, eine Sitcom; so viel wie möglich mitnehmen. Habt Spaß dabei! Hauptleidtragende sind die Künstler. „Die Plattenfirmen bieten keine Verträge mehr an, die den Musikern eine kontinuierliche Arbeit erlauben. Auch wenn sie vieleKlicks verzeichnen, verdienen sie fast nichts. Viele begabte junge Leute können deshalb nicht mehr von ihrer Musik leben.“
Kein Blick zurück im Zorn. Eher die nachdenkliche Reflexion eines Mannes, der sein Leben mit Haut und Haaren der Musik gewidmet hat, tatsächlich davon leben kann und am heutigen 4. Januar sein 80. Lebensjahr vollendet. „Jeder wird irgendwann 60, oder?“, kokettiert der im englischen Doncaster geborene Wundergitarrist mit dem ominösen Datum und führt einem den Unterschied zwischen biologischem und kalendarischem Alter recht plastisch vor Augen. Er fühle sich fit wie ein Turnschuh, sei gesund und habe extremes Glück gehabt. Er meditiert regelmäßig und praktiziert Yoga in seiner Wahlheimat Monaco, wo er mit seiner deutschen Frau Ina lebt.
Zu Beginn der 1970er Jahre begab sich John McLaughlin in die Obhut eines Gurus
Nichts anderes hätten wir von einem wie John McLaughlin erwartet. Der stets distinguiert-freundlich wirkende Gentleman mit dem in den Anfangsjahren fast militärisch kurzen Haarschnitt und den wallenden weißen Gewändern gilt als Prototyp des Musikers, der sich von fernöstlicher Spiritualität leiten ließ. Wie jeder sinnsuchende Künstler jener Zeit begab sich auch der aus einem kleinen Ort im englischen Yorkshire stammende McLaughlin zu Beginn der 1970er Jahre in die Obhut eines Gurus.
Der hieß Sri Chinmoy (1931–2007) und ließ den jungen Mann weltlichen Genüssen abschwören, der zuvor über Blues-, Swing-, Modern-Jazz- und Flamenco-Platten weitgehend autodidaktisch das Gitarrenspiel erlernt und über die britische Szene, wo er an der Seite von Graham Bond, Mick Jagger, Alexis Korner, Brian Auger, Eric Clapton, Jack Bruce sowie Ginger Baker Erfahrungen gesammelt hatte. Kein Sex, Drugs und kein Rock ’n’ Roll mehr.
McLaughlin machte die indische Musik im Westen nachhaltig populär
Seine erfolgreichste Band nannte er Mahavishnu Orchestra. An der Seite von Carlos Santana nahm er 1973 „Love Devotion Surrender“ auf, ein Meilenstein der Verschmelzung von Rock und Jazz. Mit dem Bandprojekt „Shakti“ sorgte McLaughlin dafür, dass die indische Musik im Westen auf nachhaltigere und professionellere Weise populär wurde, als dies beispielsweise George Harrison unter dem Einfluss des Sitar-Papstes Ravi Shankar gelang. Eine weitere Stufe der Popularität erlangte der Gitarrist im Trio mit den Saitenkollegen Paco de Lucia und Al Di Meola. Ein testosteronhaltiges Highspeed-Trio, das Säle füllte und dessen Live-Album „Friday Night In San Francisco“ zwei Millionen Mal über den Ladentisch ging.
Ein Brückenbauer: Das war John McLaughlin schon immer gewesen. Eigentlich war Miles Davis, auf dessen Meilenstein-Werken „Bitches Brew“ und „In A Silent Way“ der smarte Brite mitwirkte, ja der Architekt dieser Brücke, die Jazzrock oder Fusion hieß. Aber McLaughlin vollendete sie, schmückte sie mit liebevollen Details aus und kümmerte sich um das große Ganze – die Nachhaltigkeit. Auch die Allianz von indischen und westlichen Kulturen beseelte ihn. „Es war eine vitale Osmose zwischen den Sparten, die heute leider nicht mehr funktioniert. Die Szene ist zersplittert.“ Er und seine Weggefährten hatten es geschafft, eine breite Öffentlichkeit für anspruchsvolle, innovative Klänge zu begeistern. Musik, davon ist John McLaughlin überzeugt, kehre das Innerste des Menschen nach außen, ohne den Weg übers Bewusstsein zu nehmen. „Ich erlebe es so, dass ich sie nur zulassen muss, indem ich mich öffne und leer werde. Musik ist Mystik. Man vergisst sich ganz, ist nicht mehr in seinem Körper und existiert nur noch im gemeinsamen Klang.“
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