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Kino-Kritik: „Der Pfau“ im Kino: Albrecht Schuch als hinreißender Mann ohne Eigenschaften

Kino-Kritik

„Der Pfau“ im Kino: Albrecht Schuch als hinreißender Mann ohne Eigenschaften

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    Wer bin ich? Mathias (Albrecht Schuch), den man mieten kann, damit er in die unterschiedlichsten Rollen schlüpft, fragt sich das zusehends.
    Wer bin ich? Mathias (Albrecht Schuch), den man mieten kann, damit er in die unterschiedlichsten Rollen schlüpft, fragt sich das zusehends. Foto: Wild Bunch, dpa

    Es ist Berufe-Tag an einer Wiener Schule. Die Kinder bringen Vater oder Mutter mit, die ihre jeweiligen Jobs vorstellen. Gerade hat ein Notar von seinen juristischen Tätigkeiten berichtet und die Klasse in den Zustand tiefster Langeweile versetzt. Dann wird der nächste aufgerufen. Voller Stolz führt der Junge seinen Vater nach vorne, der in einer gut gebügelten, prachtvollen Pilotenuniform vor die staunende Kinderschar tritt.

    Der Auftritt vor der Klasse verfehlt nicht seine Wirkung, hat aber einen entscheidenden Haken. Der schmucke Uniformträger ist nicht der Vater des Jungen und nicht einmal ein Flugkapitän. Matthias (Albrecht Schuch) ist Schauspieler und seine Bühne ist nicht das Theater, sondern der Alltag. Mit einem alten Freund (Anton Noori) betreibt er die Dienstleistungsagentur „My Companion“. Gegen gutes Geld kann man sich hier einen Freund, einen Ehemann, einen Vater oder einen Sohn mieten, um in der Öffentlichkeit etwas herzumachen.

    „Du bist nicht mehr real“, sagt die Freundin zu Matthias im Film „Der Pfau“

    Jeden Tag schlüpft Matthias in neue Rollen, die er mit einem Höchstmaß an Authentizität verkörpern muss. Aber was bleibt übrig von ihm, wenn er die Rolle abgelegt hat? Diese Frage stellt sich seine Lebensgefährtin Sophia (Julia Franz Richter) mit zunehmender Deutlichkeit. „Du bist nicht mehr real“ sagt sie zu Matthias, der von der schlichten Frage, ob er Weiß- oder Rotwein trinken möchte, vollkommen überfordert ist. Grandios spielt Albrecht Schuch die Verzweiflung hinter dem gefälschten Lächeln, wenn von seiner Figur eigene Entscheidungen eingefordert werden. Sogar als die Freundin zur Provokation eine riesige Dogge anschafft, die das halbe Wohnzimmer ausfüllt, nimmt Matthias dies ohne jeglichen Protest hin. Für Sophia ist das Maß voll. Sie trennt sich von Matthias und lässt den Mann im schmucken Smarthome allein zurück.

    In seiner gelungenen Satire „Pfau – Bin ich echt?“ porträtiert Bernhard Wenger einen Mann ohne eigene Eigenschaften, der das Fake zum Beruf gemacht hat und das Leben nur noch als inszenierte Imitation versteht. Mit dem Auszug der Freundin ist Matthias nun auf das eigene leere Selbst zurückgeworfen. Auch sein Beruf entgleitet ihm zunehmend. Als Matthias die kesse Norwegerin Ina (Theresa Frostad Eggesbø) kennenlernt und diese sich nach einem One-Night-Stand nicht mehr zurückmeldet, wächst in ihm der Verdacht, dass sein Agentur-Kompagnon die Frau engagiert hat, um ihn bei Laune zu halten.

    „Der Pfau“ im Kino: Echte Emotionen glaubt Matthias niemand mehr

    Die Frage nach der eigenen Wahrhaftigkeit verhandelt Regisseur Wenger in der Sphäre der oberen Einkommensschichten, wo der Schein das eigene Sein bestimmt und Probleme mit Dienstleistungen gelöst werden. Mit typisch österreichischen Gnadenlosigkeit blickt er auf dieses sterile Soziotop, in dem er seinen taumelnden Protagonisten sukzessive in die Krise treibt. Als es zum unausweichlichen Burnout auf dem 60. Geburtstag eines gut betuchten Kunden kommt, halten die anwesenden Gäste den Nervenzusammenbruch für eine ausgebuffte Kunstperformance, womit Matthias‘ erste echte Emotionen sogleich wieder als Fake vereinnahmt werden.

    Erneut eine Paraderolle für Albrecht Schuch, der die Herausforderung angenommen hat, die Leere seiner Figur auf die Leinwand zu bringen, ohne sie als Karikatur zu überzeichnen. Schuch gilt nicht erst seit seinen Auftritten in „Berlin Alexanderplatz“ (2020) oder „Im Westen nichts Neues“ (2022) als das begabteste Chamäleon des deutschen Kinos und spielt hier wiederum selbst ein Chamäleon, das an der eigenen Anpassungsfähigkeit verzweifelt.

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