
Gegen abgrundtiefe Einsamkeit: Der Film "Fallende Blätter" von Aki Kaurismäki

Der finnische Regisseur Aki Kaurismäki kehrt zurück: Im Film "Fallende Blätter" erzählt er mit Liebe und Hoffnung von einer Romanze im Arbeitermilieu.
Eigentlich hatte Aki Kaurismäki 2017 mit "Die andere Seite der Hoffnung" seinen Abschied aus dem Filmgeschäft angekündigt. Sechs Jahre später kehrt er nun mit "Fallende Blätter" aus dem selbst gewählten Vorruhestand zurück. Mit seinem Alterswerk schlägt der finnische Filmemacher sicherlich kein neues Kapitel auf. Ganz im Gegenteil: "Fallende Blätter" ist ein Kaurismäki durch und durch – und das ist gut so.
Auch "Fallende Blätter" spielt im Milieu der Arbeiterklasse
Kaurismäki war stets ein Regisseur von unbestechlicher Integrität, der sich beharrlich allen Mainstream-Trends widersetzte. Bereits in den Achtzigern hatte er in Filmen wie "Hamlet macht Geschäfte" seinen Stil gefunden, den er in den folgenden Jahrzehnten immer weiter verfeinerte: entschlackte Dialoge, statische Kameraeinstellungen, klare Bild- und Farbkompositionen sowie eine tief melancholische Erzählweise, die dem Schmerz des Lebens mit trockenem Humor und leisen Hoffnungsschimmern begegnete.
Für die bürgerliche Gesellschaft hat sich Kaurismäki nie sonderlich interessiert. Sein Herz gehörte der Arbeiterklasse und dem, was von ihr nach Wirtschaftskrisen, Rationalisierung und Globalisierung übrig blieb. Die Figuren waren zumeist einfache Leute aus den untersten Einkommensschichten, die gerade so über die Runden kamen. Dabei geht es Kaurismäki – im Gegensatz zu seinen britischen Kollegen Mike Leigh und Ken Loach – nie um sozialen Realismus oder politische Pamphlete. Trotz sozialer Verortung sind seine Werke stets in einer stilisierten, zeitlosen Welt angesiedelt. Das gilt auch für "Fallende Blätter", mit dem Kaurismäki nach "Schatten im Paradies" (1986), "Ariel" (1988) und "Das Mädchen aus der Streichholzfabrik" (1990) seine Trilogie über das Proletariat weiter ausbaut.
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Kaurismäkis Geschichte dreht sich um Ansa und Holappa
Zwar dringen, immer wenn Ansa (Alma Pöysti) ihr altes Analogradio einschaltet, die aktuellsten Nachrichten aus dem Ukraine-Krieg in ihr Leben ein. Aber darüber hinaus scheint die Welt in diesem Film von unserer modernen Gegenwart weitgehend unberührt zu sein. Ansa arbeitet in einem Supermarkt und kehrt jeden Abend in ihr einsames, spärlich möbliertes Apartment zurück. Als der Chef in ihrer Tasche ein abgepacktes Aufbackbrötchen mit abgelaufenem Verfallsdatum findet, wird sie fristlos gekündigt.
In einem dicken Schutzanzug steht Holappa (Jussi Vatanen) auf dem Fabrikhof und sprüht mit einem Sandstrahler den Rost von alten Metallteilen ab. Den Wohncontainer auf dem Werksgelände teilt er sich mit anderen Arbeitern. "Harte Männer singen nicht", sagt er, als ein Kollege ihn mit zum Karaokeabend nehmen will. Dennoch findet er sich kurz darauf in der Kneipe wieder, wo auf der Bühne von Rock ‘n‘ Roll bis zu Schuberts "Serenade" diverse Sangeskunst zum Besten gegeben wird. Hier sieht er Ansa zum ersten Mal, aber es wird lange dauern, bis die zwei wirklich zueinanderfinden.
Vom Wind verweht: Es geht um eine Romanze in "Fallende Blätter"
Nachdem sie sich im Kino Jim Jarmuschs Zombie-Film "The Dead don't Die" angesehen haben, schreibt Ansa ihre Telefonnummer auf. Aber der Zettel fällt aus Holappas Jackentasche und wird vom Wind hinfortgeweht. Abend für Abend steht er vor dem Kino in der Hoffnung, sie wiederzutreffen, während Ansa zu Hause auf seinen Anruf wartet. Schließlich taucht sie auf und lädt ihn für den nächsten Abend zum Essen ein. Aber das vielversprechende Rendezvous endet ungütlich, als Ansa sieht, wie Holappa heimlich im Flur aus seinem Flachmann trinkt. Ihr Vater habe sich zu Tode getrunken und sie wolle keinen Alkoholiker zum Mann, sagt sie unmissverständlich. Aber noch ist Holappa nicht bereit, seine Sucht aufzugeben.
Im Grunde erzählt Kaurismäki in "Fallende Blätter" eine klassische Liebesgeschichte, die einige Hürden auf dem Weg zum Happy End nehmen muss. Noch mehr zeigt er jedoch die der abgrundtiefen Einsamkeit, aus der sich die beiden Hauptfiguren mühevoll herauskämpfen. Wie immer verlässt sich Kaurismäki dabei nicht auf große Worte, sondern vertraut seinen klaren Bildkompositionen, der emotionalen Tiefe der Schauspielenden und einigen cineastischen Verweisen auf Bresson, Ozu und Chaplin.

Wenn Ansa die Besorgungen für das Abendessen macht, legt sie nicht nur Lebensmittel, sondern auch einen zweiten Teller und Besteck in den Einkaufswagen, weil sie bisher noch nie einen anderen Menschen in ihrer Wohnung empfangen hat. Es sind viele kleine Momente wie diese, in denen sich Kaurismäki erneut als Meister des verknappten Erzählens beweist, der keinerlei Sentimentalität aufkommen lässt – und dennoch auf berührende Weise von Liebe, Solidarität und Hoffnung erzählt, die sich gegen alle widrigen Verhältnisse stemmen.
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