Auf einem US-Armeestützpunkt nahe Wiesbaden sitzt Priscilla Beaulieu (Cailee Spaeny) in einem Diner und macht ihre Schulaufgaben. Ob sie Elvis Presley möge, fragt ein Offizier. "Natürlich. Wer nicht?" antwortet das Mädchen, ohne zu zögern. Im Jahr 1959 ist das eine durchaus berechtigte, rhetorische Gegenfrage. Die Welt ist verrückt nach dem King of Rock ‘n‘ Roll, der gerade im hessischen Friedberg seinen Militärdienst ableistet. Elvis ist der Traummann einer ganzen Generation von Frauen und Mädchen – und ausgerechnet für die 14-jährige Schülerin wird dieser Traum unverhofft Realität, als sie zu einer Party eingeladen wird, die Elvis für seinen Familien- und Freundeskreis veranstaltet.
Elvis ist ein gesitteter Verehrer
"Du bist ja noch ein Kind" sagt Elvis (Jacob Elordi), als er sich neben sie setzt. "Danke" antwortet das Mädchen artig. Wenig später, nachdem sie sich in ein Zimmer im oberen Stockwerk zurückgezogen haben, zeigt sich, dass auch er im Herzen noch ein Kind ist, das um die kürzlich verstorbene Mutter trauert und in der Militär-Diaspora unter Heimweh leidet. Gegenüber den skeptischen Eltern präsentiert sich Elvis als gesitteter Verehrer und verspricht die Tochter um Punkt 22 Uhr wieder nach Hause zu bringen. Und tatsächlich gehen seine Annäherungen nie über keusche Umarmungen und Wangenküsse hinaus. Umgeben vom langweiligen Kasernenleben, findet sich Priscilla in ihrer eigenen Aschenputtel-Geschichte wieder. Sie ist die Auserwählte des ersten Rockstars der Welt.
In ihrem neuen Film "Priscilla" widmet sich Sofia Coppola der Liebesbeziehung zwischen Elvis und Priscilla Presley, die vierzehn Jahre währte und von einem enormen Alters-, Popularitäts- und Machtgefälle geprägt war. Coppolas Film, der Priscilla Presleys Autobiografie adaptiert, ist das passgenaue Gegenstück zu Baz Luhrmans "Elvis"-Film, der im letzten Jahr den popkulturellen Mythos in einem expressiven Kinospektakel ausleuchtete. "Priscilla" zeigt den Musikstar nur einmal kurz von hinten auf der Bühne, wo er im Gegenlicht der Scheinwerfer zur Silhouette reduziert wird.
Als 17-Jährige zieht Priscilla zu Elvis Presley nach Memphis
Nachdem Elvis Presley seinen Militärdienst in Deutschland beendet hat, beginnt für Priscilla die Zeit des Wartens. Erst nach einigen Wochen kommt der ersehnte Anruf und zwei Jahre später ein Erste-Klasse-Ticket für den Flug in die USA. Die zweiwöchige Party in Las Vegas ist wohl das aufregendste Schulferienerlebnis, das ein Mädchen in ihrem Alter haben kann. Ein Jahr danach willigen die Eltern ein, dass die 17-jährige Tochter zu Elvis nach Memphis zieht, mit dem Versprechen, dass Priscilla an einer katholischen Schule ihren Schulabschluss macht und Elvis die Verlobte mit Erlangung der Volljährigkeit heiratet.

Mit staunenden Augen betritt Priscilla das Anwesen in Graceland, wo der König des Rock 'n' Roll mit einem Hofstaat aus Verwandten und Freunden residiert. Wie eine Außerirdische wirkt die Jugendliche in ihrem rosa Kleid und den weißen Handschuhen bei ihrer Ankunft im Märchenschloss, das für sie schon bald zur Falle werden wird. Während im Haus zumeist bis tief in die Nacht gefeiert wird, muss Priscilla am Morgen zur Schule. Die Intimität der Zweierbeziehung beschränkt sich auf kuschelige Fernsehabende im Bett. Sex gibt es erst mit Trauschein nach Vollendung des 21. Lebensjahres. Wenn Elvis auf Tour oder für einen Dreh nach Hollywood davonzieht, bleibt Priscilla zurück und erfährt aus den Illustrierten von den potenziellen Affären ihres Mannes, der – ganz König – die ehelichen Spielregeln allein festlegt und über Frisur wie Make-up seiner Frau bestimmt. Erst allmählich wächst in der jungen Priscilla der Wunsch, der vereinsamten Passivität ihres Daseins zu entfliehen.
Cailee Spaeny ist herausragend als Priscilla Presley
Coppola inszeniert diese Emanzipation nicht als Katharsis, sondern als schleichenden Bewusstseinsprozess einer Jugendlichen, die im goldenen Käfig unter seltsamsten Bedingungen erwachsen werden muss. Damit wird "Priscilla" zur Seelenverwandten von "Marie Antoinette", in dem Coppola ebenfalls eine junge Frau porträtierte, die enorme Privilegien, aber keine Machtbefugnisse besaß. Cailee Spaeny, die in Venedig als beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde, ist herausragend in der Titelrolle. Ihre Dialogpassagen sind sparsam (vielleicht auch zu sparsam), aber die Einsamkeit ihrer Figur, die von ihrer luxuriösen Umgebung erdrückt wird, spielt Spaeny mit leiser Intensität aus. Von zentraler Bedeutung ist hierbei auch die opulente Ausstattung, die den Widerspruch zwischen glamouröser Oberfläche und innerer Leere effizient verstärkt.