
Mozart-Dirigent Harnoncourt: Wer nur auf die Noten schaut, liegt nicht immer richtig


Nikolaus Harnoncourt war der folgenreichste Mozart-Dirigent des 20. Jahrhunderts. Ein Album zeigt ihn am Beginn dieser Karriere mit fesselnden Interpretationen in Salzburg.
In seiner Bedeutung für die Interpretationsgeschichte der klassischen Musik ist der 2016 gestorbene Nikolaus Harnoncourt kaum zu überschätzen. Maßgeblich hat der österreichische Dirigent dazu beigetragen, die Prinzipien des historisch informierten Musizierens zum Standard nicht nur der Musik des Barock zu machen, sondern auch des Zeitalters der Wiener Klassik, Mozart vorneweg. Heute darf Harnoncourts Vorstellung von der "Musik als Klangrede" als durchgesetzt gelten, einer der ganz großen Mozart-Interpreten ist er sowieso. Doch das war nicht von Anfang an so, lange Zeit schlug den Überzeugungen des Dirigenten erbitterte Ablehnung entgegen.
Jetzt ist beim Label Belvedere (Naxos) ein CD-Paket erschienen, das Harnoncourts Vorstoß in das Zentrum der Mozartpflege dokumentiert: Sein im Jahr 1980 erfolgtes Debüt bei der Mozartwoche Salzburg, natürlich mit einem ganz dem Komponisten gewidmeten Programm. Die auf Initiative der Stiftung Mozarteum Salzburg erstmals auf Tonträger veröffentlichten Aufnahmen richten den Blick zurück in eine Zeit, als nicht nur am Nabel der Mozartwelt noch ein anderes Bild des Komponisten gegolten hatte. Der Dirigent Karl Böhm war damals der Maßstab in Sachen Mozart, und tatsächlich gab der seinerzeit 85-Jährige unmittelbar nach Harnoncourt wieder mal ein Sinfoniekonzert in Salzburg, ein allseits gefeierter Auftritt.
Harnoncourts Gegenentwurf zum Mozart von Karl Böhm
Drei Tage zuvor, am 29. Januar 1980, stand im Großen Festspielhaus Harnoncourt am Pult des Concertgebouw Orchesters Amsterdam, damals das bevorzugte Orchester des Dirigenten für die sinfonischen Werke Mozarts. Der Auftritt wurde mitgeschnitten, und schon nach den ersten Takten der "Zauberflöten"-Ouvertüre ist klar, dass da ein ganz anderes Mozartbild entworfen wird als bei Böhm und anderen Dirigenten seiner Generation. War es diesen Interpreten vordringlich, Mozart als Melodiker zu zeigen, wohinter die übrige Partitur als harmonische Stütze zurückzutreten habe, stellt Harnoncourt diese Verhältnisse geradezu auf den Kopf. Mittelstimmen treten auf einmal hervor wie in der Ouvertüre zur "Zauberflöte", jenes beharrliche Seufzermotiv, welches das quirlige Allegro immer wieder zu bremsen scheint, die knackig kurz gespielten Paukenschläge wettern gegen jedes Schönklangideal und die signifikanten punktierten Bläserakkorde sind weit davon entfernt, gravitätisch tönen zu wollen, sondern erzeugen durch die kurz angerissene Achtelnote vor allem eines: Spannung.

So geht es weiter im Programm mit der C-Dur-Sinfonie KV 338 und ihrer von Harnoncourt geradezu militärisch herausgestellten Marschrhythmik, mit Mozarts Oboenkonzert (Solist Werner Herbers) und seinem tanzkapellenhaft schunkelnden Finalrondo, mit der "Haffner"-Sinfonie schließlich und ihren erneut ungemein scharfkantig zugeschliffenen Punktierungen. Und wie reagiert das Publikum? Es applaudierte, wie zu hören, und keineswegs dünn. Die Kritik freilich, klärt das Booklet auf, reagierte gemischt. Neben vorsichtig wägender Zustimmung gab es auch irritierte Kommentare und manch saftigen Verriss.
CD gibt Einblick in Harnoncourts Mozart-Interpretation
Dem Mitschnitt von Harnoncourts Mozartwochen-Debüt sind zwei weitere CDs beigegeben, die weit über den Status des Bonusmaterials hinausgehen. Sie dokumentieren einen öffentliche Workshop, den Harnoncourt mit der Camerata Salzburg 2006 im Mozarteum gab. Harnoncourts Sicht auf die Interpretation von Mozarts Musik war inzwischen etabliert, und doch gab der Dirigent am Beispiel der "kleinen" g-moll-Sinfonie einen weiteren, eloquent-instruktiven Grundkurs seines Interpretationsverständnisses. Wer hinter die Kulissen der Musik blicken, wer wissen will, warum die notierte "Werkpartitur" keineswegs als Eins-zu-eins-Spielanweisung zu gelten und weshalb Mozart die so fundamentale Artikulation eben meist nicht ins Notenbild geschrieben hat, der wird hier ungemein kundig belehrt, ach was, beschenkt. Harnoncourts Workshop ist die eigentliche Sensation dieses Mozart-Schatzes auf CD.
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