Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten

Klaus Marschall im Interview: Steckt die Puppenkiste in der Krise?

Interview

„Ich spüre diese Zukunftssorgen“ – Klaus Marschall zur Lage der Puppenkiste

    • |
    • |
    • |
    Leiter der Puppenkiste: Klaus Marschall macht sich Sorgen um die Zukunft seines Marionettentheaters.
    Leiter der Puppenkiste: Klaus Marschall macht sich Sorgen um die Zukunft seines Marionettentheaters. Foto: Ulrich Wagner

    Herr Marschall, vor einigen Tagen haben Sie vor Gericht um Fördergelder für die Puppenkiste geklagt. Ohne Erfolg. Sie sprechen davon, dass Sie großen Sorgen um die Zukunft Ihres Theaters haben. Wie ernst steht es um die Puppenkiste?
    KLAUS MARSCHALL: Wir kämpfen seit 2019 gegen die immer weiter ausufernden Auflagen des Freistaats. Das gipfelte 2022 darin, dass uns die Regierung von Schwaben den Zuschuss komplett gestrichen hat. Wir sind überzeugt: Das kann doch nicht sein! Ich halte das nach wie vor für willkürlich, auch wenn das Gericht jetzt anderes geurteilt hat.

    Die Begründung lautete, dass Ihr Haushaltsplan, den Sie für den Förderantrag vorlegen mussten, nicht ausführlich genug war.
    MARSCHALL: Wir haben das ganze Jahr 2022 über wiederholt versucht, den Anforderungen der Regierung nachzukommen. Die Behördenakte hatte einen Umfang von 612 Seiten. Die gewünschten Daten und Informationen lagen der Regierung vollständig vor. Für 2023 haben wir dann wieder einen Zuschuss erhalten. Dem Antrag für 2023 lagen dieselben Daten und Informationen wie für 2022 zugrunde, nur mittels anderer Formblätter. Inhaltlich war es aber ein und dasselbe. Aus der Behördenakte haben wir auch erfahren, dass die Regierung von Schwaben dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft Mitte 2022 bereits einen Fördervorschlag unterbreitet hat. Dieser Zuschuss lag der Regierung auch vor. Aber uns hat man dann am 30. November den Zuschuss komplett versagt, mit der Begründung, dass wir nicht ausreichend mitgearbeitet hätten. So hat die Regierung das Geld einfach wieder ans Ministerium zurücküberwiesen, 220.000 Euro.

    Wie hart trifft das Ihren Betrieb?
    MARSCHALL: Wir haben in den letzten Jahren, wenn man es hochrechnet, ein gesamtes Minus aufgebaut von rund 350.000 Euro. Was ich dazu sagen muss: Wir haben aktuell kein Liquiditätsproblem, weil unsere Vorstellungen ein halbes Jahr im Voraus ausverkauft sind. Weil die Besucher das Vertrauen in uns haben, dass wir diese Vorstellungen spielen werden.

    Wie viele Vorstellungen sind es denn im Jahr?
    MARSCHALL: Etwa 370. Und das gibt uns die notwendige Liquidität. Aber das Problem ist: Am Ende meiner Dienstzeit werde ich mir überlegen müssen, wie es dann weitergeht. Da spüre ich diese Zukunftssorgen. Ich habe mir eigentlich vorgenommen, dass ich ein Unternehmen mit minus 400.000 Euro nicht an meine Kinder vererben werde. Das will doch keiner!

    Aber warum steht es so kritisch um die Kiste, wenn alle Vorstellungen ausverkauft sind?
    MARSCHALL: Weil die Einnahmen aus dem Eintrittskartenverkauf die Kosten nicht decken. Die Bekanntheit hilft uns da leider auch nicht weiter.

    Ihr Theater ist ja auch vor allem durch Film und Fernsehen so groß und beliebt geworden. Warum gibt es eigentlich keine neuen Kino- und TV-Produktionen von der Puppenkiste?
    MARSCHALL: Kinoproduktionen sind ohne entsprechende Investoren nicht möglich. Und das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat keine finanziellen Möglichkeiten mehr für solche aufwendigen Produktionen, wie wir sie damals geschafft haben. Diese Gelder gibt es nicht mehr für das Kinderprogramm und in den Redaktionen hieß es zuletzt: Puppentheater ist nicht mehr zeitgemäß.

    Auf welchen Wegen versuchen Sie dann, das Theater fit für die Zukunft zu machen?
    MARSCHALL: Ich versuche gerade, die kaufmännische Leitung abzugeben, weil wir Strukturen für die Zukunft finden müssen. Die Aufgaben werden immer mehr, die Anforderungen der Bürokratie immer umfangreicher und neue Verwaltungsmitarbeiter können wir uns nicht leisten. Neben meinen künstlerischen Tätigkeiten muss ich Wirtschaftspläne für die Zuschussanträge erstellen, Verwendungsnachweise einreichen, die Vorgaben der Berufsgenossenschaft erfüllen und was kommt als Nächstes? Ich müsste mich um die Zukunftsplanung kümmern.

    Würden Sie sagen, dass freies Theater, sei es Schauspiel oder auch ein Puppentheater, ohne Förderung nicht machbar ist?
    MARSCHALL: Private Theater werden in Deutschland mit durchschnittlich 27,17 Euro bezuschusst. Das müsste dann auf die Zuschauer umgelegt werden. Wissen Sie, was heute ein Ticket ins Musicaltheater kostet? Diese Theater sind staatlich nicht finanziert, die müssen sich selber über Wasser halten. Das führt dazu, dass Eintrittskarten zwischen 90 und 120 Euro kosten.

    Und das wollen Sie mit der Puppenkiste auf jeden Fall vermeiden.
    MARSCHALL: So ist es.  Wir liegen im Moment bei einem Anteil von 7,04 Euro an Förderung pro Ticket. Die Alternative ist: Diese 7,04 Euro schlage ich auf den Preis. Dann wäre ich aber nachmittags bei 24 bis 25 Euro, für den Kinderpreis.

    Und das würde sich dann nur ein elitäres Publikum leisten können.
    MARSCHALL: Ja natürlich, ich muss ja meinen Betrieb finanzieren, da hängt ein Team von 40 Menschen mit dran. Rund 75 Prozent unserer Kosten sind Personalkosten. Wir beantragen deshalb auch regelmäßig deutlich mehr Geld und kriegen es nicht. Die Zuschüsse für uns seitens der Stadt Augsburg liegen bei 320.000 Euro, aber diese Summe haben wir schon 2009 bekommen, die hat sich seitdem nicht mehr gesteigert. Während alle Kostenpunkte steigen. Allein durch die Einigung der GDBA (Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger) und dem Deutschen Bühnenverein in den Verhandlungen zum Tarifvertrag, ist das Einstiegsgehalt für künstlerische Mitarbeiter im Vergleich zu 2019 um 35,8 Prozent tariflich gestiegen. Das fange ich jetzt auf, indem ich als Privatmann ins Risiko gehe. Ich hoffe, das Minus baut sich irgendwann wieder ab.

    Und wie? Haben Sie da einen Plan vor Augen?
    MARSCHALL: Ich werde nicht drumherum kommen, irgendwann zu sagen: Ich brauche jetzt einen Sonderzuschuss, oder ein Crowdfunding, damit wir die Puppenkiste überhaupt in die Zukunft bringen können.

    Wir erleben gerade turbulente Zeiten, politisch und ökonomisch. Was erhoffen Sie sich von der Politik? Was müsste sich ändern?
    MARSCHALL: Das Problem ist, die Förderungen müssten berechenbarer sein. Mit dem jetzigen Urteil sind sie ja viel, viel unberechenbarer geworden.

    Seit wie vielen Jahren hatten Sie diesen Zuschuss vom Staat bekommen?
    MARSCHALL: Diese Förderung bekommen wir schon seit den 80er-Jahren, seit mindestens 45 Jahren. Und dann fiel sie für das Jahr 2022 auf einmal weg.

    Was antworten Sie auf die Kritik, dass diese Kulturfördergelder aber nur freiwillige Leistungen sind?
    MARSCHALL: Natürlich ist das nach dem Gesetz eine freiwillige, finanzielle Leistung. Allerdings darf ich doch darauf vertrauen, dass mir der Staat nach 45 Jahren regelmäßiger Unterstützung eine Förderung zukommen lässt. Und dann muss man sich fragen, wie viel ist mir Kultur als Staat denn wert? Das ist eine politische Entscheidung. Herr Söder hat anlässlich seines Besuchs in der Puppenkiste gesagt, die Puppenkiste sei für Bayern so wichtig wie das Schloss Neuschwanstein! Schön! Offensichtlich ist die Regierung von Schwaben im Jahr 2022 da anderer Meinung gewesen.  Und bei der Stadt Augsburg werde ich ständig mit dem Argument konfrontiert: Sie bekommen ja schon den höchsten Einzelzuschuss von uns. Das mag ja sein. Aber das Verhältnis stimmt nicht. Wenn ich bei uns jährlich 90.000 Besucher zähle, bei 40 Mitarbeitern, steht da eine ganz andere Leistung dahinter. Natürlich hinkt der Vergleich mit den öffentlich geführten Theatern in Deutschland, aber dort wird jedes Ticket mit durchschnittlich 191 Euro gefördert, wir erhalten 7,04 Euro.

    Bei allen Turbulenzen: Sie scheinen es trotzdem zu schaffen, den Familienbetrieb aufrechtzuerhalten, die nächste Generation von Kindern, Schwiegersöhnen und Schwiegertöchtern arbeitet mit. Wie schaffen Sie es, die Stimmung hinter den Kulissen hochzuhalten?
    MARSCHALL: Ich versuche, im Ensemble die Situation wegzulächeln. Natürlich halte ich das Team auf dem Laufenden, natürlich ist es informiert. Aber solange ich für das Theater als Privatmann einstehe, kann ich sagen: Das kriegen wir schon hin. Vielleicht wird die Situation aber auch auf eine andere Lösung herauslaufen. Vielleicht findet sich ein Mäzen, der größer einsteigt? Wir haben zum Beispiel auch eine tolle Stiftung an der Hand, die Stumpf-Stiftung. Die hat unsere komplette Bühnenbeleuchtung neu finanziert. Scheinwerfer, die über 30 Jahre alt waren, haben wir austauschen können, das wäre sonst nicht möglich gewesen.

    Was hält Sie selbst motiviert, Herr Marschall? Bremst die Krisenlage Ihre künstlerische Motivation und Inspiration?
    MARSCHALL: Das versuchen wir nicht an uns heranzukommen zu lassen. Uns macht das Theater nach wie vor Spaß. Und nicht nur uns, sondern vielen Menschen, wir dürfen das jedes Mal aufs Neue erleben. Wir haben einen direkten Kontakt zum Publikum. Ja, es gibt immer Zuschauer, die etwas schräg oder altbacken finden, und das ist ja nicht schlimm. Aber der größte Teil des Publikums hat einen Riesenspaß. Wenn wir in Kindervorstellungen sehen, wie die Kleinen begeistert mitgehen, dann denke ich mir immer, wie wichtig das ist, was wir hier machen. Denn was den Kindern sonst an Unterhaltung vorgesetzt wird, über andere Medien, ist teilweise mehr als bedenklich. Ich glaube nicht, dass das meiste, was man da heute im Kinderfernsehen präsentiert, für Kinder geeignet ist. Wir erzählen dagegen Geschichten in ruhigen, manchmal auch langsamen Bildern. Mit schnellen Schnitten und grellen, bunten Bildern kann man Kinder zwar ablenken, aber nicht wirklich unterhalten. Ich habe immer provokativ gesagt: Wir wackeln nur mit einem Stück Holz und sagen dem Zuschauer, dass es lebt. Und es funktioniert nach wie vor. Ich halte so eine Erfahrung für unheimlich wichtig, für die Entwicklung der Kreativität. Wir wissen, wie das Buch auch auf dem Rückgang ist, gerade bei Kindern. Dabei wäre es so wichtig, aus diesem drögen Buchstaben sich seine eigenen Bilder zu formen. Dieses Kino im Kopf. Wir erleichtern das, indem wir im Figurentheater ein Sprungbrett anbieten, mit Puppen und Kulissen.

    Wird das auch noch in 10, 20, 30 Jahren wirken?
    MARSCHALL: Die digitale Welt wird uns nicht abnehmen, eine eigene Kreativität zu entwickeln. Auch nicht in 20, 30 Jahren.

    Zur Person

    Klaus Marschall, geboren 1961, leitet seit 1992 die Augsburger Puppenkiste. Seine Großeltern Rose und Walter Oehmichen hatten das berühmte Marionettentheater 1948 gegründet. Im Jahr 1973 übernahm deren Tochter Hannelore Marschall-Oehmichen mit ihrem Mann Hanns-Joachim Marschall die Leitung der Bühne. Anfang der 1980er-Jahre begann deren Sohn Klaus Marschall im Theater mitzuarbeiten; bei mehreren Fernsehproduktionen (unter anderem „Kater Mikesch“, 1985, und „Was kommt vor im Ofenrohr“, 1990) fungierte er als Puppenspieler. Seit 1991 führt er auch bei Bühnenaufführungen Regie.

    Diskutieren Sie mit
    1 Kommentar
    Martin Müller

    Ziehen sie mit der Puppenkiste ins Theaterviertel um, dann regelt sich das mit den Zuschüssen der Stadt von selbst. Am jetzigen Standort passen sie schlicht nicht in das aktuelle Politikmärchen - internationales Markenzeichen für Augsburg hin oder her. Im Übrigen Chapeau für ihre Zahlen: 90.000 Zuschauer pro Jahr bei 40 Mitarbeitern vs 180.000 Besucher pro Jahr bei etwa 450 Mitarbeitern im Staatstheater. Der Vergleich hinkt natürlich, aber zur Größeneinordnung der guten Leistung der Puppenkiste taugt er allemal.

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden