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Konstantin Wecker im Interview: „Die Superreichen machen die Welt eklig“

Interview

Konstantin Wecker: „Die Milliardäre rauben uns den Atem und machen die Welt eklig“

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    Konstantin Wecker ist wieder auf Tour und präsentiert „Lieder meines Lebens“.
    Konstantin Wecker ist wieder auf Tour und präsentiert „Lieder meines Lebens“. Foto: Matthias Becker

    Servus Konstantin Wecker, Sie sind nach Ihrer Wirbelbruch-OP und Reha lange nicht mehr auf der Bühne gestanden. Sie waren zuletzt auf Reha in Thailand, im März begann jetzt die neue Tournee. Wie geht es Ihnen?
    KONSTANTIN WECKER: Der gebrochene Rückenwirbel ist inzwischen ganz gut geheilt. Wenn die politische Situation nicht so schrecklich wäre, könnte ich nicht groß klagen.

    Was sagen Sie angesichts der jüngsten zeitgeschichtlichen und politischen Entwicklungen in Deutschland?
    WECKER: Nach dieser erschreckenden Bundestagswahl habe ich ein kleines Statement geschrieben. Ich bin erfreut über den Zugewinn der Linken, aber als Künstler, Anarchist und Antifaschist halte ich dieses Wahlergebnis für bestürzend –auch wenn es zu erwarten war. Die neue Regierung mit einem ehemaligen sexistischen Blackrock-Manager als Bundeskanzler wird halt wieder auf soziale Ungerechtigkeit und rassistische, unmenschliche Migrationspolitik aus sein. Was mir Mut macht, sind 250.000 Menschen in München und die vielen Millionen im Land, die Barrikaden gegen die rassistische Hetze gebaut haben. Wir brauchen eine neue Bewegung! Und wir Künstler müssen unglaublich aufpassen. Wenn die AfD in irgendeiner Weise die Hoheit über die Kultur erlangt, dann ist das unser Ende.

    Und das ist ja nicht nur in Deutschland so, auch in vielen anderen Ländern und in den USA geht es ähnlich zu. Sind wir gerade wieder auf den Weg in eine Zeit des Faschismus und der autokratischen Strukturen?
    WECKER: Ja, leider. Ich glaube, das ist einfach nicht zu trennen vom Kapitalismus und der unglaublichen machtbesessenen Herrschaft der Superreichen weltweit. Sie haben natürlich die Möglichkeit, den Menschen alles Mögliche einzureden, dass die Geflüchteten schuld an allem Übel sind und so weiter. Im Grunde aber sind es die Milliardäre, die uns den Atem rauben und die Welt so eklig gemacht haben. Trotz dieser Lage lasse ich mir die Hoffnung auf Utopien nicht rauben. Im Kleinen sehe ich ja als Künstler, wie ich den Menschen Mut machen kann, zu sich selbst zu stehen und nicht irgendwelchen Ideologien hinterherzurennen. Das spiegelt sich auch im aktuellen Programm „Lieder meines Lebens“ wider. Ich selbst bin ja von unglaublichem Glück gesegnet gewesen, auch mit meinem Elternhaus. Dieses Glück habe ich mit den vielen Dummheiten, die ich im Laufe meines Lebens begangen habe, oft auf die Probe gestellt. Aber ich habe einigermaßen überlebt.

    Ich treffe immer mehr Menschen, die sagen, sie würden es in diesem Deutschland nicht mehr aushalten. Würden Sie auswandern, wenn die AfD 2029 oder 2033 an die Macht käme?
    WECKER: Vielleicht, wenn ich jünger wäre. Aber ich wüsste im Moment ja nicht einmal wohin. Ich bin zum Beispiel wahnsinnig gerne in Italien, aber da ist eine Frau Meloni am Drücker. Und mit fast 78 Jahren werde ich Deutschland wohl nicht mehr verlassen. Mir fällt aber jetzt umso mehr auf, wie unglaublich mutig die ganzen von mir verehrten Schriftsteller wie Stefan Zweig, Erich Mühsam oder Mascha Kaléko damals waren. Glücklicherweise sind wir noch nicht so weit wie damals. Ich kann hier ja immer noch auftreten, ohne verhaftet zu werden.

    Hätten Sie sich 1990 vorstellen können, wo der Zusammenschluss der beiden deutschen Länder politisch einmal enden würde? Denn die eingerissene Mauer wurde durch eine unsichtbare Mauer und der frühere Frust durch neuen Frust ersetzt.
    WECKER: Nein, nie. Ich habe mein Lied ‚Sage nein!‘ kurz nach der Wende geschrieben. Aber nie hätte ich gedacht, dass dieses Lied einmal so eine Bedeutung bekommen würde.

    Welche Fehler wurden gemacht, dass es zu so einer politischen Entwicklung kam, die vor allem im Osten Millionen in die Arme von Rechtspopulisten trieb?
    WECKER: Ich war kurz vor der Wende noch in Kontakt mit politischen Kämpfern der DDR. Die wollten zwar einen Sturz der SED-Diktatur, aber die wollten nicht, dass der Kapitalismus das Land so überrollte. In meinem ersten Konzert nach der Wende waren Pelzhändler draußen im Foyer und versuchten, Pelze zu verkaufen. Das muss man sich mal vorstellen. Die ersten, die die damalige DDR für sich vereinnahmt haben, waren Pelz- und Autohändler, Versicherungsvertreter und Zuhälter.

    Oskar Lafontaine hat damals gefordert, die DDR als eigenes Land zu entwickeln. Wäre das aus heutiger Sicht der bessere Weg gewesen?
    WECKER: (denkt lange nach) Das weiß ich nicht. Wir müssen heute einfach andere Wege finden, die Probleme zu lösen. Das macht die junge Linke gut, die sich vorgenommen hat, den wirtschaftlich Stehengelassenen den richtigen Weg zu zeigen. Das bedeutet, sich nicht nur auf das Migrationsthema zu beschränken, sondern das heißt vor allem, in diesem Land wieder Gerechtigkeit zu fördern, die wirklich Bedürftigen auch wieder zu unterstützen. Dieses Programm hat außer der Linken keine andere Partei im Sinn.

    Das mag daran liegen, dass die Parteien, die regieren, also an der Macht sind, sich damit angesichts der Finanzlage natürlich schwer tun?
    WECKER: Darum bin ich bekennender Anarcho. Es ist die Macht, die uns die Probleme bereitet. Politiker, die unbedingt an der Macht bleiben wollen, tun alles für ihren Machterhalt, aber nicht immer das Beste für die Menschen.

    Sie nennen sich einen Anarchisten. Was macht so einen Menschen aus Ihrer Sicht aus?
    WECKER: Ich muss noch dazu sagen, dass ich als 17-Jähriger bei Henry Miller gelesen habe, der wahre Künstler sei, ja, er habe sogar die Verpflichtung, Anarchist zu sein. Das hat mich schon geprägt. Dann habe ich mich intensiv mit der Münchner Räterepublik auseinandergesetzt. Da gab es so viele Dichter, die mich begeistert haben, vorneweg Erich Mühsam und Gustav Landauer. Dann habe ich mich immer mehr mit dem Thema Anarchie beschäftigt. Im Endeffekt geht es darum, dass wir eine herrschaftsfreie Welt anstreben. Diese Utopie, die uns alle immer wieder ausreden wollen, die tragen wir doch alle tief in unserem Herzen. Für einen Künstler wie mich ist es eine Verpflichtung, an dieser Utopie festzuhalten.

    Warum geben Sie trotz aller aktuellen Rückschläge Ihren Traum von einer freien Gesellschaft nicht auf? Denn die Masse rennt doch immer wieder denen hinterher, die andere ausgrenzen?
    WECKER: Ja, die meisten sind mit anderen Ideen vom Leben aufgewachsen. Mich selbst aber hat mein Elternhaus schon von Anfang an gerettet. Vor allem die frühe Beschäftigung mit Literatur und Poesie hat mich immer an der Idee der herrschaftsfreien Gesellschaft festhalten lassen. In diesem Zusammenhang ist es doch auch interessant, dass alle Despoten zuerst die freie Kultur abschaffen wollen.

    Weil die Kultur die Phantasie beflügelt und das für die Diktatoren gefährlich ist?
    WECKER: Und auch der Zugang zu seinem Innersten, zu den Gefühlen, zu den Emotionen ist für die Herrschenden gefährlich. In uns allen wohnt doch die Sehnsucht nach Liebe. Das dürfte bei Despoten nicht anders sein. Interessant ist, dass ich so vieles zu diesem Thema schon als junger Mann geschrieben habe, weil ich immer meiner Poesie vertraut habe. Die war immer viel klüger und weiser, als ich es selbst war. Es war ein Geschenk, ich musste mir das nicht erarbeiten.

    An dieser Stelle Mal einen Blick auf die deutsche Musikszene. Sie ist so bunt wie lange nicht mehr und es gibt auch wieder richtig viele Liedermacher beziehungsweise Singer-Songwriter. Wie gefällt Ihnen diese Entwicklung?
    WECKER: Ich halte die Entwicklung für ziemlich spannend. Ich merke allerdings, was alle merken: Die Leute kaufen keine CDs mehr, sondern streamen nur noch. Daran leiden heute viele Künstler, auch die meines Labels. Bei mir selbst geht das, denn ich habe ein gesetztes Publikum, das zum Teil noch CD-Player hat (er lacht).

    Es ist für die junge Generation schwierig, mit Musik den Lebensunterhalt zu finanzieren. Denn von den Streaming-Erlösen kann kaum einer leben.
    WECKER: Ja, das ist leider wahr. Das muss ein Umdenken stattfinden und neue Wege gefunden werden, mit denen sich Künstler finanzieren können, was heute ja vornehmlich über Konzerteinnahmen geschieht.

    Glauben Sie, dass die Liedermacherei oder Singer-Songwriting noch einmal so eine breite Wirkung hat wie in den 60er und 70er Jahren?
    WECKER: Ich glaube ja. Über andere Kanäle natürlich. Aber das Schöne an den meisten Liedermacherinnen und Liedermachern ist, dass sie getreu dem Motto meines Liedes „Ich singe, weil ich ein Lied hab“ unterwegs sind. Sie machen Musik nicht, um zu gefallen, sondern weil sie etwas ausdrücken wollen. Sie machen es aus Überzeugung. Die gieren nicht nach der Art von Bekanntheit, die man im Dschungelcamp bekommt.

    Und Sie selbst. Wie lange wollen Sie noch auf der Bühne stehen? Haben Sie sich da ein Ende gesetzt oder lassen Sie es sich offen?
    WECKER: Solange es geht, versuche ich – gerade in diesen Zeiten – zu bleiben. Vor ein paar Jahren hat mir eine Frau anonym einen Brief geschrieben. Darin heißt es: ‚Lieber Wecker, ich werde immer ausgelacht, weil ich mich in Flüchtlingsheimen engagiere – sogar von meiner eigenen Familie. Jetzt war ich in Ihrem Konzert und muss Ihnen sagen: Es hat mir Mut gemacht, und ich mache weiter.‘ Das ist für einen Sänger wie mich so eine schöne Nachricht. Das ist fast eine Verpflichtung, solange ich kann, auf der Bühne zu stehen, um den Leuten Mut zu machen.

    Zur Person

    Konstantin Wecker, 1947 in München geboren, ist ein deutscher Musiker, Liedermacher, Komponist, Schauspieler und Autor. Er gehört zu den bekanntesten deutschen Liedermachern. In den 1990er Jahren stand Wecker wegen seiner Drogensucht vor Gericht. Diese Erfahrungen verarbeitete er auch in Büchern. Zuletzt erschien von ihm das Album „Lieder meines Lebens“. Am 4. April tritt er im Rahmen seiner Tour in Neu-Ulm auf, am 5. April in Coburg, am 8. Mai in Friedrichshafen und am 12. Mai in München.

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