Richard Wagner als Person: Sich eine Vorstellung von diesem Menschen in seiner Alltagsrealität zu machen, ist nicht einfach, denn die Person ist umstellt vom Mythos Wagner. Vom wegweisenden Schöpfer des Musikdramas, genialen Komponisten, Erneuerer der Kunst … Wagner hat zu Lebzeiten fleißig mitgewirkt an der Inszenierung seiner selbst, und seine Anhänger ließen nicht nach im Bemühen, das Bild vom „Meister“ als einem geradezu übermenschlich Wirkenden zu verbreiten. Doch wie war er denn eigentlich, der „Mensch Wagner“?
Unter diesem Titel versucht das Bayreuther Richard-Wagner-Museum eine Annäherung in einer Sonderausstellung, passend positioniert während der Festspielzeit im Museums-Neubau neben Haus Wahnfried, Wagners Wohnort. Naturgemäß muss ein Unternehmen, welches eine so komplexe, vielfach widersprüchliche Figur in ihrem „Mensch“-Sein zeigen will, ausschnitthaft bleiben. Doch das nimmt dem Projekt nichts von seiner Qualität, einmal ein vorzugsweise privates Bild von Wagner zu liefern.
Zum Geldtransport waren „2 Fiaker“ notwendig
Wenig bestimmt die alltägliche Existenz mehr als das Geld. Das galt schon im 19. Jahrhundert, dem Lebenszeitalter Wagners mit seinem explodierenden Kapitalismus, den der Zeitgenosse Marx so hellsichtig analysierte. Wagner, als desillusionierter Revolutionär überzeugt von der Bedeutung eines der Kunst gewidmeten Lebensmodells, vertrat beim Thema Soll und Haben die Ansicht: „Die Welt schuldet mir, was ich brauche.“ Und Wagner hatte keine Skrupel, nachdem er Jahre, Jahrzehnte sich als „Pump-Genie“ beschaffte, was er brauchte, vom scheinbar unerschöpflichen Mäzenatentum eines Königs, als der in sein Leben trat, gebührend Gebrauch zu machen. Es ist denn auch eine typische Wagner-Geschichte, die sich da um eine in der Ausstellung gezeigte Vollmacht Wagners für Cosima von Bülow (und nachmalige Ehefrau Wagner) entspinnt. Das Schriftstück ermächtigt Cosima, eine Geldzuwendung des bayerischen Königs Ludwig II. in bar entgegenzunehmen – satte 40.000 Gulden, nach heutigem Wert etwa 750.000 Euro. Auf dem Papier haben die mit dem Vorgang befassten Hofbeamten einen Vermerk hinterlassen: Dass nämlich zum Abtransport des Batzens „viribus unitis“, vereinte Kräfte, und „2 Fiaker“ notwendig gewesen seien.
Seinem Selbstverständnis entsprechend lebte Wagner auf großem Fuß. Das galt nicht zuletzt fürs leibliche Wohl. Gerne verzehrte er Fleisch („am liebsten Roast Beef“, wie es heißt), war auch dem Fisch nicht abgeneigt („sehr gerne Hering“) und liebte es gut gewürzt („Senf, Meerrettich und Salz“). Seiner Vorliebe für Champagner kam entgegen, dass einer seiner Freunde ihn als Inhaber eines Champagnerhauses kontinuierlich mit Lieferungen bedachte. Doch wie so vieles bei Wagner war für ihn auch der Genuss ein ambivalentes Thema. Zeitlebens plagten ihn Verdauungsstörungen, was regelmäßige Kuraufenthalte bei Wasser und Schonkost mit sich brachte.
Richard Wagner wollte Herr über sein Bild bleiben
Richard Wagner ist im allgemeinen Bildgedächtnis hinreichend präsent, an Fotografien, die ihn zeigen, herrscht kein Mangel. Fast immer aber handelt es sich um Bilder, die einem Inszenierungswillen entsprechen; Fotografien, die Wagner in ganz privat-alltäglichen Situationen zeigen, gibt es kaum. Eine Ausnahme bildet jenes Motiv, das ihn in sichtlich gelöster Stimmung mit Tochter Eva auf dem Schoß zeigt. Wagner zog das noch relativ neue Medium den herkömmlichen Bildgattungen vor, hatte er doch erkannt, hier in größerem Maße Herr über das eigene Bild zu sein. Tatsächlich gibt es keine Fotografie, die Wagner mit Brille zeigen würde – Zeichnungen Wagners mit einer Sehhilfe auf der Nase gibt es sehr wohl, unter anderem jene von Adolph von Menzel aus dem Jahr 1875, die den Komponisten bei den Proben zum ersten „Ring“ im Festspielhaus zeigt. Der nicht uneitle Wagner misstraute auch der mit Stift und Pinsel ausgeführten Porträtkunst, wie seine Bemerkung über eine farbige Porträtskizze aus der Hand des Malers Pierre-Auguste Renoir zeigt. „Ich sehe aus wie der Embryo eines Engels, als Auster von einem Epikuräer verschluckt.“ So jedenfalls gibt Cosima die Einschätzung ihres Mannes wieder. Wie überhaupt der bedeutendste Teil der Erkenntnisse über den Menschen Wagner sich den Tagebuch-Aufzeichnungen Cosimas verdankt, welche diese in den Jahren zwischen 1869 und 1883 niederschrieb.
Durch Cosimas Notate haben sich auch mehr als 400 „oft sehr detailliert beschriebene“ nächtliche Träume Wagners erhalten. Die Ausstellungsmacher behaupten sogar, von keiner anderen Persönlichkeit der Geschichte seien so viele Träume bekannt. Dass diese nicht nur dem Träumer selbst, sondern mehr noch dem Unbeteiligten oft abstrus vorkommen, gehört zum entstellenden Wesen des Traums. Ein Beispiel aus der Traumproduktion Wagners: Dem gaukelte es einmal im Schlaf, dass ihm Franz Liszt begegnete in der Gestalt des Kaisers von Brasilien, während der Papst wiederum aussah wie Anton Bruckner. Und als Wagner die Hand seiner Heiligkeit küssen wollte, küsste jene die seine, um dann – die Rede ist anhaltend von Bruckner – nach einer Flasche Cognac zu greifen.
Naturgemäß bleibt beim Stichwort „Wagners Träume“ die Zahl der Exponate schmal, beschränkt sich im konkreten Fall auf ein einziges Blatt Papier, das einen mit Stift gezeichneten Kreis, eine gestrichelte Linie und einen Kreis vorstellt. Am Rand des Blattes vermerkt die Handschrift das „Märchen von Grimm vom Hasen u. den beiden Swinegels“. Die Ausstellungsmacher sinnieren, was das alles wohl im Kontext Wagners zu bedeuten habe - und kommen zu dem Befund, dass das „noch nicht geklärt werden konnte“.
In mancher Hinsicht also bleibt der viel erforschte Wagner nach wie vor ein Rätsel. Man wird sich weiterhin, gerne auch in solchen nicht nur den Horizont von Wagner-Fans erweiternden Ausstellungen, mit ihm beschäftigen müssen.
Mensch Wagner. Bis 6. Oktober im Richard-Wagner-Museum Bayreuth. Im August täglich geöffnet von 10 bis 18 Uhr, danach Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr.
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