Musikfans schenken sich in normalen Jahren gerne Konzertkarten zu Weihnachten. Doch für das Veranstaltungsjahr 2021 ist noch vieles unklar. Wie wäre es stattdessen mal wieder mit einer CD? Unsere Redakteure stellen ihre diesjährigen Favoriten aus den Bereichen Rock, Pop und Hip Hop vor.
Das sind unsere CD-Tipps für Rock, Pop und Hip Hop
AC/DC: Power up
Es gibt sie noch, die guten Dinge. Mit diesem Spruch wirbt das Warenhaus Manufactum für Edles, Haltbares und seit Jahrzehnten Bewährtes. Auch in der Rockmusik gibt es noch die unkaputtbaren Bands, die Musik wie aus dem Manufactum-Katalog schmieden. Das kann niemand so gut wie AC/DC. Die klangen mit ihrem bluesgetränkten, bis aufs Skelett abgemagerten Hardrock schon immer ein wenig wie aus der Zeit gefallen.
Und jetzt ist passiert, womit kaum jemand rechnen konnte: Die Band ist von den Toten auferstanden. Phil Rudd, weltbester Bumm-Zack-Trommler, war gefeuert worden, weil er angeblich einen Mord in Auftrag gegeben hatte, Sänger Brian Johnson drohte die Ertaubung, und Bassist Cliff Williams genoss die Rocker-Rente. Dennoch haben sich alle unter der Regie von Angus Young zusammengerauft und aus einem Berg alter Riff-Ideen das Album "Power Up" gebaut. Und? Ja, es gehört auf jeden Fall in den Manufactum-Katalog. Es ist überraschend vital, solide und liefert alles, was man an AC/DC schon immer lieben oder hassen konnte. Dass da Männer rocken, die ihre besten Jahre hinter sich haben, ist in keiner Minute zu hören. So klang das schon immer, so muss das auch sein. Selbst Zweitgitarrist Stevie Young, der den verstorbenen Malcolm Young ersetzt, fügt sich nahtlos ein. "Power Up" steht wie ein Bronzedenkmal in der Rocklandschaft.
AngelHeaded Hipster: Songs of Marc Bolan & T.Rex
Ein Poster von Marc Bolan gehörte in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zur Grundausstattung in jedem Kinderzimmer. Die älteren Geschwister rümpften die Nase. Der Chef von T. Rex - das war doch nur ein musikalisches Leichtgewicht. Ein Fehlurteil, das spätestens mit "AngelHeaded Hipster" revidiert werden muss. Rund zwei Dutzend Künstler, das Spektrum reicht von Superstars wie U2 und Elton John bis hin zu unbekannten Namen, nehmen sich hier populäre und obskure Bolan-Werke vor. Die wunderbare Tribute-Platte beweist, dass Bolan-Songs "erwachsen" interpretiert werden können. So macht Lucinda Williams "Life’s a Gas" zum düsteren Schleicher. Fröhlich elektropoppig "Solid Gold, Easy Action" von Peaches. Joan Jett und Nena bleiben dagegen nahe an den Originalen. Pfiffig der swingende "Belatane Walk" von Gaby Moreno. Herausragend aber wie Nick Cave "Cosmic Dancer" zur Piano-Ballade umdeutet.
Antilopen Gang: Abbruch Abbruch
Unter den Künstlernamen Koljah, Danger Dan und Panik Panzer erschuf die Antilopen Gang eine Hip-Hop-Platte (ihre dritte) für die Dauerschleife: "Abbruch Abbruch" zählt zu den bislang besten Scheiben des Jahres. Die Texte sind herrlich ehrlich und ehrlich keine öden, pointierten Zeilen. Dazu bekommt der Hörer viel Privates. In der Nummer "2013" verarbeiten sie intensiver als sonst den Tod ihres vierten Bandmitglieds vor einigen Jahren.
Gefühle und Selbstreflexion kommen aber auch an anderen Stellen auf der Platte zum Vorschein. Die nordrhein-westfälische Band gilt als Gegenpol zu den erfolgreichen deutschen Skandal-Rappern. Wer von ihnen textet schon ohne übertriebene Selbstdarstellung über Scham und auf sich wartende sexuelle Erfahrung ("Bang Bang")? Das Lied "Wünsch dir nix" glänzt mit starkem Intro und Bekenntnis zum Tote-Hosen-Label JKP.
Avett Brothers: The Third Gleam
Mit Produzentenstar Rick Rubin bewegten sich die Avett Brothers in den letzten zehn Jahren unüberhörbar in Richtung Pop-Rock-Mainstream. "Gleam III" geht nun einige Schritte zurück. Wie auf den vorigen Gleam-Platten (2006 und 2008) musizieren die Brüder Scott und Seth völlig stromlos, nur ab und an unterstützt von Bassist Bob Crawford. Entstanden ist so ein wundervoll reduziertes Acht-Songs-in-30-Minuten-Kleinod.
Auf dem es auch mal genügt, wenn die Melodie nur gepfiffen wird. Getreu der Liedzeile "I’m happier with nothing". Überhaupt: Es lohnt, auf die Texte zu hören (oder sie im Internet mitzulesen). Ob sentimental, versponnen, verschmitzt, naiv, traurig, humorvoll oder ernst - eines steckt in allen Liedern der Brüder aus North Carolina: Die Empathie, mit der sie ihren Mitmenschen gegenübertreten.
Benjamin Biolay: Grand Prix
Ist er nun ein "Enfant Terrible" oder "elegant", "leidenschaftlich", "romantisch"? Beide Charakterisierungen finden sich immer wieder, wenn es um das Schaffen von Benjamin Biolay geht - und tatsächlich stimmt beides: Denn der inzwischen 47-Jährige ist der derzeit wohl wichtigste Chanson-Sänger, weil er das Genre zugleich revolutioniert und die Tradition fortführt. Wie ihm das gelingt, zeigt auch sein neues Album "Grand Prix" mit, ja, wieder lauter eleganten, leidenschaftlichen und romantischen Liedern. Vor allem ist diese neunte Studioplatte des Franzosen seit dem grandiosen Debüt "Rose Kennedy" (2001) abermals ganz anders als die Vorgänger.
"Palermo Hollywood" (2016) war eine Liebeserklärung an die Wahlheimat Buenos Aires, "Volver" (2017) integrierte südamerikanische Sounds - nun, 2020, knüpft Benjamin Biolay Bezüge zu Synthie-Pop, Funk und New Wave, bei Kultbands aus England (The Smiths, New Order) und New York (Television, The Strokes). Natürlich immer mit dieser Gänsehaut-Note, die seine rauchige Bariton-Stimme vor allem in melancholischen Balladen wie "La roue tourne" garantieren. In seinem Geburtsland ist Biolay längst ein Aushängeschild, in Deutschland könnte er dem Chanson mit seiner grenzüberschreitenden Musik aus dem Nischendasein verhelfen. "Grand Prix" jedenfalls bricht lässig und virtuos mit allen Akkordeon-, Rotwein- und Baguette-Klischees.
Caribou: Suddenly
So hört es sich also an, wenn ein promovierter Mathematiker Musik macht? Nein, was aus Dr. Daniel Snaith alias Caribou herausströmt, ist kein nerdiges Gefrickel, aber dafür so ziemlich alles andere. Der Kanadier mixt gleich in den ersten Stücken seines neuen Albums Soul, 80ies Pop, Dubstep, Drum’n’Bass und ein bisschen Rap - und zwar so, dass sie teils im selben Song ineinanderfließen (herausragendes Beispiel: die Single "You and I").
Dass er Genre-Grenzen ignoriert, ist längst das wichtigste Merkmal von Snaith alias Caribou - anders als bei seinem zweiten Musikprojekt Daphni, wo der Fokus ganz klar auf staubtrockener Clubmusik liegt. Zusammengehalten wird "Suddenly" von der Leidenschaft Caribous für warme Synthesizer und seiner melancholischen, glasklaren Stimme, die aus all den Mixereien ein organisches, feinfühliges Ganzes macht.
Die Ärzte: Hell
Das Bohei war groß. Höhepunkt: Drei Herren in schwarzen Anzügen stimmen das Intro der "Tagesthemen" an und äußern sich dann staatstragend zur Lage der Kulturschaffenden. Das erste Werk der Ärzte nach acht Jahren Pause wurde dabei nur am Rande erwähnt. So bleibt die Frage: Was haben die Ü50-Punker musikalisch noch zu bieten?
Auf puren Punk ließen sich die Ärzte nie reduzieren, sie streunten gern durch die Stile, schreckten auch vor Schlagerhaftem nicht zurück. "Hell" ist jetzt vielseitig wie selten. Gelungen vielseitig. "Ich, am Strand" - Schnappschüsse eines Lebens ("Ich mit Nina, Hose beult, ich ohne Nina, schwer verheult"), unterlegt mit Reggae-Rhythmen. "Polyester" - könnte auch aus dem Fundus von Coldplay stammen. "Das letzte Lied des Sommers" - poppig-erwachsene Fortführung von "Westerland". "Liebe gegen Rechts" - sie können auch Country. "Woodburger" - ein etwas bemühtes politisches Statement. Natürlich, es gibt auch noch die punkigen Spaßstücke. "Plan B" - Anleitung für angehende Rockstars ("Immer vorn am Mikro stehen, dann hört man besser, wenn du schreist"). Aber es klingt auch so etwas wie Altersweisheit durch. Oder ist es neckisches Understatement? "Ich bin nichts als eine Sackgasse der Evolution, darum gebt mir bitte niemals eine Vorbildfunktion." Ein frommer Wunsch, der sich nicht mehr erfüllen lässt. Dazu ist es jetzt zu spät, zu spääääät.
Eminem: Music To Be Murdered By
Die Überraschung ist gelungen: ein neues Album von Eminem, inzwischen 47, nun mit Vollbart, dafür ohne Cap. Der Superstar erregt Aufsehen, weil er in der Single "Darkness" vom Las-Vegas-Killer erzählt und sich gegen das laxe US-Waffenrecht positioniert - und weil er in "Unaccommodating" auch auf den Terroranschlag beim Ariana-Grande-Konzert provokativ reimt. Aber ist auch das Album gelungen? Er serviert mit Verweis auf Alfred Hitchcock Mordgeschichten, teilweise in mordsmäßiger Rap-Geschwindigkeit.
Und er bleibt damit - trotz wieder einer Ed-Sheeran-Kooperation ("Those Kinda Nights") und Sängerinnen-Refrains ("Leaving Heaven") - diesmal fernab des Pop. "Music To Be Murdered By" ist ein eindrucksvoll wütendes Rap-Album samt Legenden-Verneigung ("Yah Yah"), persönlichen Abrechnungen ("Stepdad") und einem starken posthumen Auftritt von Juice WRLD ("Godzilla"). Bloß leider ist das letzte Viertel der 20 Tracks so überflüssig und schwach - kaum zu fassen, dass Eminem und Dr. Dre das so veröffentlicht haben.
Inga: Tears and Teeth
Die macht, was sie will. Singt mal mit viel Hall und ohne jede Pathosangst auf Französisch ein Chanson über eine verlorene Liebe, "Il A Fallu" - und macht auf Deutsch, "Frau Adolf", einfach mal einen Zahnarztbesuch zu einem Lied. Warum auch nicht, schließlich hat diese Inga, die ja auch wirklich so heißt und sonst halt als Filmbeleuchterin ihr Geld verdient und an der Akademie der Bildenden Künste studiert, diese Musik in Zeiten als Camper-Nomadin immer nur für sich gemacht und höchstens für Freunde gespielt? Jetzt, um die 40, wird die Münchnerin damit aber eben doch zur Entdeckung, samt Tränen und Zähnen, "Tears and Teeth", wie das so schöne wie schräge, also im besten Sinne eigenwillige Debütalbum eben heißt.
Morrissey: I am Not a Dog on a Chain
Ehrlich, es ist eine Freude. Denn bei den letzten Alben war es ja wirklich unmöglich geworden, diesen fast samt den Zeiten mit The Smiths schon legendären, jedenfalls begnadeten britischen Sänger zu genießen: Morrissey kehrte nicht nur unerträglich den Rechtspopulisten in sich raus, er vergaß bei all dem Wüten und Bekennen auch, interessante Musik zu machen. Und das ist in "I am Not a Dog on a Chain" eben anders.
Zwar geht es im Titelsong wieder darüber, dass er, inzwischen auch schon 60, keine Zeitungen lese, weil die alle nur Unruhestifter seien, und sich stattdessen die Freiheit nehme, selbst die Wahrheit zu sagen … Aber man vergisst eben schnell, was er da so singt. Morrissey belebt vieles Schöne und wagt einiges Neue auf diesem Album. Das geht gleich beim eigenwilligen Opener "Jim Jim falls" los, endet elegisch und wie im Nachhinein erklärend mit "My hurling Days are gone" und findet dazwischen zu vielen Höhepunkten, von pathetisch ("Bobby, don’t you think they know"?) bis schräg ("Knockabout World"). Stark.
The Killers: Imploding the Mirage
Es gibt Kritiker, die bezeichnen den Sound von The Killers noch immer als typisch amerikanisch. Warum auch immer. Bereits "Mr. Brightside" vor fast 20 Jahren kam ziemlich britisch daher. Auf dem neuen Album, "Imploding the Mirage", erinnern die vier Herrschaften aus Nevada erneut an die 60er und 70er Jahre im Königreich. Und das soll ein Kompliment sein. Wer Werke der früheren Kinks hört und anschließend Stücke wie "My Own Soul’s Warning", "Blowback" und eben "Imploding the Mirage", findet größere Ähnlichkeiten.
Auch stimmlich sind Sänger Brandon Flowers und Ray Davies nicht sehr weit entfernt. Jedenfalls haben die Killers fantastische Arbeit abgeliefert, es kommt so gut wie keine Langeweile auf, von Anfang an. Der Opener "My Own Soul’s Warning" beginnt mit einem balladenhaften Einstieg und entwickelt sich zu einer wuchtigen und rasanten Nummer. Sie macht schon Lust auf mehr.
The Pretty Things: Bare As Bone, Britght As Blood
Es war zumindest die auffälligste Band der frühen 60er, die langhaarigste Formation in diesen Zeiten des Rocks, allen voran Frontmann Phil May. Und auf der Bühne waren die Pretty Things damals Rüpel vor dem Herrn. Im Mai ist May an den Folgen eines Fahrradunfalls gestorben, mit 76 Jahren. Auf dem neuen Album "Bare as Bone, Bright as Blood" ist er zum letzten Mal zu hören. Kratzig und rau noch immer seine Stimme wie einst bei den Hits "Rosalyn" oder "Don’t bring me down".
Ein Vergleich bietet sich dennoch nicht an. Auch die Pretty Things haben sich weiterentwickelt. Alles noch ein bisschen bluesiger als einst. Ein letztes Mal in Hochform: "Aint no grave", "Bright as blood" oder "Love in Vain." Damit haben die Londoner noch ein schönes Vermächtnis hinterlassen. Denn dass die Pretty Things auch ohne May noch einmal zurückkommen, ist nur schwer denkbar.
The Weeknd: After Hours
The Weeknds neues Album "After Hours" ist besonders. Besonders, weil Abel Tesfaye, so The Weeknds bürgerlicher Name, den Longplayer im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern mitten in der Corona-Pandemie veröffentlicht hat. Besonders, weil das Album ohne Features auskommt. Besonders auch, weil der 30-jährige kanadische R&B-Star die melancholische Reise durch seine eigenen Abgründe in zum Teil poppige 80er-Sounds verpackt.
Der synthielastigen ersten Hälfte des Albums ist die frühere Zusammenarbeit mit Daft Punk anzumerken. Die zweite Hälfte besticht durch den Nummer-1-Hit "Blinding Lights" im 80er-Sound, durch die Pop-Nummer "Save Your Tears" sowie das Glanzstück "After Hours". Gesanglich ist The Weeknd, dessen Stimme oft mit der Michael Jacksons verglichen wird, gewohnt überzeugend. Ein klasse Album - nicht nur für einsame Quarantäne-Stunden.
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