Genauso wie „Romeo und Julia“ als die Mutter aller Liebestragödien gilt, ist „Der Graf von Monte Christo“ so etwas wie die Ursuppe aller Rachegeschichten. Liebe und Eifersucht, Freundschaft und Verrat, Gefangenschaft und Befreiung, Seeabenteuer und Schatzsuche, unermesslicher Reichtum und grenzenlose Rache – Alexandre Dumas’ über 1000 Seiten starker Abenteuerroman verfügt über einen dramatischen Input, von dem sich heute eine Netflix-Serie über ein Dutzend Staffeln hinweg ernähren könnte.
„Der Graf von Monte Christo“ von Alexandre Dumas erschien als Fortsetzungsroman
Tatsächlich erschien „Der Graf von Monte Christo“, der neben „Die drei Musketiere“ zu den bekanntesten Werken des Autors zählt, zunächst zwischen 1884 und 1886 als Fortsetzungsroman in einer Zeitschrift und hielt mit seiner ausgefeilten, sich immer wieder überschlagenden Plotstruktur die Lesenden über zwei Jahre bei der Stange. Und natürlich hat sich das Kino schon mehrfach des klassischen Stoffs bemächtigt. Die erste Stummfilmfassung erschien im Jahr 1908, gefolgt von 27 weiteren Adaptionen für Film und Fernsehen aus Frankreich, den USA, Ägypten, der Sowjetunion oder Japan. Richard Chamberlain (1975), Gérard Depardieu (1998) und James Caviezel (2002) schlüpften schon in die Rolle des unnachgiebigen Rächers. Auf YouTube gibt es sogar eine elfminütige „To Go“-Fassung mit Playmobilfiguren. Weit entfernt von solch groben Verdichtungen ist die aktuelle Neuverfilmung von Alexandre de La Patellière und Matthieu Delaporte, die Dumas‘ Roman in einem Drei-Stunden-Format auf die Leinwand bringen. Mit einem Budget von 40 Millionen Euro ist dies die teuerste französische Produktion des vergangenen Jahres. Ein echtes Prestigeprojekt - und ein großzügiges cineastisches Vergnügen.
Das Verhängnis beginnt mit einer Heldentat auf offener See. Gegen den Willen des Kapitäns Danglars (Patrick Mille) stürzt sich der junge Schiffsoffizier Edmond Dantès (Pierre Niney) in die tosenden Fluten, um eine Schiffbrüchige zu retten. Aber als der Vorgesetzte ihn wegen Ungehorsams beim Reedereibesitzer anklagt, wird nicht Edmond, sondern Danglars entlassen – und der tapfere Offizier zum Kapitän befördert.
Mit dem neuen Posten kann Edmond, der aus ärmlichen Verhältnissen stammt, nun endlich seine Geliebte Mercédès (Anaïs Demoustier) heiraten. Aber bevor die beiden sich das Ja-Wort geben können, zerren Soldaten den Bräutigam vom Traualtar weg. Mit fingierten Beweisen wird Edmond wegen Landesverrats verurteilt, weil er eine Depesche Napoleons befördert haben soll, der sich gerade im Exil auf Elba befindet.
14 Jahre verbringt Edmond Dantès im Kerker
Der Verurteilte landet in den Kerkern der berüchtigten Gefängnisinsel Chateau d’If vor der Küste Marseilles. 14 Jahre verbringt er in einem unterirdischen Zellenloch, in das nur durch die Gitter an der Decke ein wenig Licht hineinscheint. Eindringlich inszenieren die Regisseure die klaustrophobische Einzelhaft, die mit den Weiten des tosenden Meeres effektvoll korrespondiert. Mithilfe des Mitgefangenen Abbé Faria (Pierfrancesco Favino) gelingt es Edmond, sich aus der Gefangenschaft zu befreien. Der Priester hatte ihm vor seinem Tod das Versteck des legendären Tempelritter-Schatzes verraten, der Edmond in seinem neuen Leben als mysteriöser Graf zu enormem Reichtum verhilft - genug Geld, um die ausgeklügelten Rachepläne, die er in den langen Gefängnisjahren geschmiedet hat, in die Tat umzusetzen.

Mit klarem Willen zum epischen Erzählen setzen Alexandre de La Patellière und Matthieu Delaporte den umfangreichen Plot von Dumas‘ legendären Roman in Szene. An spektakulären Locations wurde nicht gespart, ohne dass der Film im Prunk ertränkt wird. Im Zentrum bleibt die moralische Selbstdemontage des machtvollen Helden, der ein kunstvolles Intrigenspiel entwirft, aber selbst von den eigenen Rachegelüsten aufgefressen wird. Dass über drei Stunden der dramaturgische Sog aufrechterhalten werden kann, ist auch der brodelnden Präsenz von Hauptdarsteller Pierre Niney („Frantz“) zu verdanken, dessen zarte körperliche Gestalt in wirkungsvollem Kontrast zum eisernen Vergeltungswillen der Figur steht. Die Wandlung vom jungen Schiffskapitän, der voller Hoffnung in die Zukunft blickt, zum verzweifelten Häftling und schließlich zum toxischen Racheengel verkörpert Niney mit eleganter Intensität.
Dieser „Graf von Monte Christo” ist eine äußerst gelungene Klassikerverfilmung, die auf lästige Modernisierungen verzichtet, die Qualitäten der Vorlage auf geradezu haptische Weise visuell zelebriert und das Schmökergefühl der Romanvorlage lustvoll auf die Kinoleinwand überträgt.
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