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Paul Maar: „Die Sexszenen lasse ich bei Kinderbüchern besser weg“

Interview

Kinderbuchautor Paul Maar: „Irgendwann hört man auf, nachts zu weinen“

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    „Die Sexszenen lasse ich in meinen Kinderbüchern besser weg“, sagt der Schriftsteller Paul Maar.
    „Die Sexszenen lasse ich in meinen Kinderbüchern besser weg“, sagt der Schriftsteller Paul Maar. Foto: Daniel Vogl, dpa

    Wir treffen uns in Bamberg, Herr Maar, wo Sie seit Jahrzehnten leben. Hier lesen Sie nun zum ersten Mal aus „Lorna“, Ihrem neuen Buch, das Sie für Erwachsene geschrieben haben. Ist das etwas Besonderes für Sie?
    PAUL MAAR: Ja, ich bin ein wenig nervös, weil ich noch nicht weiß, wie es bei den Zuhörern ankommt. Wenn ich öfter aus einem Buch gelesen und die Beobachtung gemacht habe, dass bei einer Stelle viele gähnen, dann lasse ich das weg und suche eine andere Stelle. Es ist für mich auch etwas Besonderes, weil neben Familie und Bekannten Menschen hier sind, die mich zwar nicht persönlich kennen, aber doch von Begegnungen auf der Straße. Da bin ich etwas befangener.

    Sind Sie in Bamberg eine Berühmtheit, sprechen die Menschen Sie an?
    MAAR: Die Bamberger sind erfreulich diskret. Ich merke genau, dass sie mich erkennen. Da kommt dann eine Dame auf der Straße auf mich zu und auf gleicher Höhe lächelt sie, nickt und geht weiter, ohne mich anzusprechen. Die Bamberger lassen mich also in Ruhe. Das kommt mir sehr entgegen.

    Jetzt ist also Ihr Buch „Lorna“ erschienen, nach dem Roman über ihre Kindheit und Geschichten aus der Kindheit der erste Prosatext für Erwachsene. Damit sind Sie nun schon zum dritten Mal dem Verleger Friedrich Oetinger gegenüber wortbrüchig geworden, dem Sie versprechen mussten, dass Sie nur Kinderbücher schreiben würden, weil er Sie der Kinderliteratur erhalten wollte. Wie fühlen Sie sich damit?
    MAAR: Da der Verleger nicht mehr lebt und wahrscheinlich vom Himmel auf mich herabschaut, ist er bestimmt gnädig. Und ich bin glücklich damit, nicht nur als Kinderbuchautor erfolgreich zu sein. Deshalb freue ich mich jetzt, mit „Lorna“ noch einmal nachlegen zu können auf die beiden ersten Bücher.

    Paul Maar: Die Sexszenen lasse ich bei Kinderbüchern besser weg

    „Nur Kinderbuchautor“ – diese Formulierung aus Ihrem Mund erstaunt ein wenig. Das müssen Sie erklären.
    MAAR: Sehen Sie, bei Lesungen, auch jetzt bei denen für Erwachsene, werde ich immer auf meine Kinderbücher angesprochen, vor allem auf das Sams. Wann ich denn die nächste Fortsetzung schreibe, oder dass man die Bücher den Kindern so gerne vorgelesen hat. Und obwohl ich mich immer bemühe, auch für Kinder in einer guten Sprache und literarisch anspruchsvoll zu schreiben, wertet es mein Selbstbewusstsein auf, dass ich jetzt mit meinen Büchern auch ein erwachsenes Lesepublikum erreichen kann.

    Welchen Unterschied gibt es denn im Schreiben für Erwachsene?
    MAAR: Zum Beispiel die Sexszenen, die lasse ich bei Kinderbüchern besser weg (lacht).

    Paul Maar signiert eines seiner Bücher
    Paul Maar signiert eines seiner Bücher Foto: Daniel Vogl, dpa

    In „Lorna“ erzählen Sie von einer jungen faszinierenden Frau, „in die alle verliebt waren“, wie es heißt, die aber auch eine bipolare Störung hat. Was war der Anlass für diese Geschichte.
    MAAR: Mein Leben ist ja sehr geradlinig und konsequent verlaufen. Ich habe meine Frau schon in der Schule kennen gelernt, wir haben als Studenten geheiratet, weil unser erstes Kind unterwegs war und wir sind jetzt über 60 Jahre immer zusammen. Manchmal hat man da die Fantasie, welche Frauen hätte ich noch kennengelernt, wenn es nicht so gewesen wäre. Das hätte ich schön gefunden – und mich dann am Ende doch für meine Frau entschieden.

    Was hat Sie an Lorna so fasziniert?
    Sie ist eine selbstbewusste junge Frau, sehr einfühlsam, sie ist die Frau, die ich gerne kennengelernt hätte, wenn meine Jugend anders verlaufen wäre. Der Ausgangspunkt meines Buches war übrigens die Zeichnung einer Frau, die ich angefertigt habe. Von der würde ich gerne etwas erzählen, habe ich mir gedacht und über Google nach irischen Namen gesucht, weil sie so irisch aussah mit ihren roten Haaren und den Sommersprossen. Lorna hat nun einen irischen Vater, den sie aber nie kennengelernt hat.

    Vorbild für seine Romanfigur „Lorna“ war Maars Schwester

    Aber es gibt ja auch ein ganz konkretes Vorbild für Lorna, nämlich ihre Schwester Barbara, der Sie das Buch gewidmet haben.
    MAAR: Ja, sie war manisch-depressiv und hat Selbstmord begangen. Sie war wesentlich jünger als ich, nur ein wenig älter als mein Sohn Michael, ich habe sie fast als meine Tochter empfunden. Vieles von dem, was ich erzähle, zum Beispiel die Bedingungen in der Psychiatrie, kenne ich von meinen Besuchen bei Barbara. In ihrem Testament hat sie vermerkt: „Der einzige, der mich besucht hat, war mein Bruder Paul, und dafür bin ich dankbar“. Ich konnte ihr damit also zumindest Trost spenden. Und mit den Zigaretten, die ich ihr immer vorbeigebracht habe, denn, das verwende ich auch in meinem Buch, die waren damals die Währung in der Psychiatrie.

    Kritisieren Sie mit Ihrer Erzählung auch die Zustände in der Psychiatrie?
    MAAR: Ja, obwohl sich mittlerweile in diesem Bereich bestimmt auch viel verändert hat, meine Geschichte spielt in den 1970erJahren. Aber ich habe es bei meiner Schwester genauso erlebt, wie ich es jetzt schildere: Als sie sich geweigert hat, ihre Tabletten zu nehmen, wurde sie mit einer Depotspritze praktisch sediert, konnte dann auch nur noch ganz verschliffen sprechen. Ihre Persönlichkeit war nicht mehr zu erkennen. Meine Frau, die Psychologin war, stand mir zur Seite und meinte damals, dass Barbara eigentlich einen guten Therapeuten gebraucht hätte, dann wäre es gar nicht so weit gekommen.

    Unweigerlich denkt man bei der Lektüre von Lorna auch an die Situation, die Sie mit Ihrer seit sechs Jahren an Alzheimer erkrankten Frau erleben.
    MAAR: Ja, eine Szene, in der Lorna von einer Pflegerin gefüttert wird, ist eins zu eins ein Erlebnis mit meiner Frau.

    Es gibt viele Schriftsteller, die über die Alzheimer-Erkrankung des Partners oder eines anderen Verwandten derzeit Bücher schreiben. Tragen Sie sich auch mit diesem Gedanken?
    MAAR: Für Erwachsene gibt es schon sehr viele Bücher zu diesem Thema, wie zum Beispiel Arno Geigers „Der alte König“, das ich auch gelesen habe. Da wage ich mich nicht heran, es muss auch nicht sein. Aber ich habe ein Theaterstück für Kinder geschrieben, das ich jetzt zu einer Erzählung umgeschrieben habe, und das gerade von meinem Enkel Hannes illustriert wird. Es heißt „Opa Bär und die Menz“. Darin habe ich das Problem auf eine tierische Ebene verlagert, denn es gibt ja auch viele Kinder, die plötzlich feststellen, dass Ihre Großeltern merkwürdige Dinge tun. Der Untertitel lautet „die Schuhe im Kühlschrank“, denn man erlebt mit Demenzkranken auch sehr viele komische oder skurrile Momente.

    Wie gehen Sie mit Ihrer Situation um?
    MAAR: Irgendwann hört man auf, nachts zu weinen und nimmt es hin, wie es ist. Es ist ein Normalzustand, Nele erkennt mich nicht mehr und kann auch nichts mehr äußern, außer den Mund aufzumachen, als Zeichen dafür, dass sie Hunger hat. Ich kann dafür sorgen, dass meine Frau nicht in ein Heim kommt, das kann ich mir durch den Erfolg meiner „Sams“-Bücher leisten. Das versöhnt mich ein bisschen damit, für viele nur der „Sams“-Autor zu sein.

    Trotz des tragischen Lebens von Lorna kommt im Erzählton immer der Humor durch. Wie finden Sie zu diesem Ton?
    MAAR: Vielleicht ist es etwas, was ich mir durch das jahrelange Erzählen für Kinder erarbeitet habe, denn da geht es ja auch darum, etwas Schweres leicht zu erzählen. Ich möchte allerdings nicht, dass man sagt, das sei der typische Kinderbuchton von Paul Maar, das würde mich kränken, aber es ist mir wichtig, eine gewisse Leichtigkeit im Satzrhythmus zu erzeugen, ich liebe das. Ich spreche mir meine Texte auch immer laut vor, um zu hören, ob sie flüssig klingen.

    Welchen Blick haben Sie auf den Erzähler Markus, der ja auch einige Ähnlichkeiten mit Ihnen aufweist?
    MAAR: Das stimmt. Aber trotzdem habe ich eine gewisse Distanz zu ihm und am Schluss sogar ein wenig Verachtung für ihn, nachdem er so große Pläne hatte, ein berühmter Maler werden wollte. Und dann ist er ein saturierter Studienrat geworden, der sich eine Aktentasche schenken lässt. Deshalb ist der Schluss des Buches in meinen Augen fast ein wenig zynisch. Aber die Leser sollen sich ihr eigenes Urteil bilden.

    In Hallstadt entsteht das Paul-Maar-Museum

    Einige Kilometer entfernt, in Hallstadt, entsteht gerade ein Paul Maar-Museum. Warum gerade dort, und nicht in Bamberg, wo Sie leben?
    MAAR: Man weiß es ja, der Prophet gilt nichts im eigenen Land. Aber es gibt auch eine familiäre Beziehung zu diesem Ort: Aus Hallstadt stammt meine leibliche Mutter, die kurz nach meiner Geburt gestorben ist. Dort entsteht gerade ein sehr schönes Museum mit Theaterplakaten zu meinen Stücken, Originalillustrationen und internationalen Buchausgaben. Es gibt ja Übersetzungen meiner Bücher in bis zu 40 Sprachen. Auch viele Briefe, die mir Kinder geschickt haben im Laufe der Jahrzehnte, werden dort zu sehen sein, und ich habe auch Originalmanuskripte zur Verfügung gestellt. Zum Beispiel das Originalmanuskript von meinem ersten Buch „Der tätowierte Hund“, das ich noch handschriftlich mit dem Füller geschrieben habe. Da ist viel durchgestrichen und verbessert.

    Mit dem Computer lässt sich das heute leider nicht mehr so nachvollziehen.
    MAAR: Ja, der Schreibprozess war damals viel komplizierter, aber auch tiefgehender. Ich finde es sehr schade, dass auf die Handschrift heute in Schulen nicht mehr so großen Wert gelegt wird, denn es bildet Synapsen im Gehirn und formt die Persönlichkeit. Angeblich gibt es in den USA Kinder, die nur noch ihren Namen handschriftlich schreiben können, das finde ich schlimm. In meinem ersten Manuskript zeigt sich auf jeden Fall sehr gut die Persönlichkeit des 30-jährigen Autors, der ich damals war.

    Zur Person

    Paul Maar, geboren 1937 in Schweinfurt, ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten Kinderbuchautoren Deutschlands. Seine „Sams“-Reihe umfasst mittlerweile elf Bände und ist in über 40 Sprachen übersetzt. Sein neuestes Buch, die Novelle „Lorna“, ist im Fischer Verlag erschienen.

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