Ein neuer Kanzler ist immer auch Anlass für neue politische Bücher. Friedrich Merz macht da keine Ausnahme. Gleich zwei gut vernetzte Hauptstadtjournalisten beschäftigen sich mit dem neuen Mann im Kanzleramt. von der Zeit nähert sich Merz in mehreren thematischen Essays, Robin Alexander, Welt-Vizechef und Autor des wohl einflussreichsten Buches zur Flüchtlingskrise („Die Getriebenen“) legt einen dicken Band über das Scheitern der Ampel vor – und den Lehren, die Merz daraus ziehen sollte.
Es geht, bei Alexander, um Regieren in einer Ausnahmezeit, und bei Lau, um die Frage, ob der neue Kanzler diesen Ausnahme-Herausforderungen gewachsen ist. Für die Leserinnen und Leser ist gerade die Kombination beider Bücher ein Glück. Beide, Alexander und Lau kennen Merz persönlich, sie sind mit den Abläufen im politischen Berlin bestens vertraut und schreiben spannend. Bei allen Sparrunden, die auch am Hauptstadtjournalismus nicht spurlos vorbeigehen, zeigen Lau wie Alexander, was journalistisch saubere Arbeit leisten kann.
Man erfährt Neues über Friedrich Merz und bekommt Einblick in das politische Handeln
Ihre Methoden sind unterschiedlich, Lau argumentiert, Alexander rekonstruiert. In der Analyse aber sind die Autoren einig: Beide sehen in der Regierung Merz die womöglich „letzte Chance“ (Alexander) der „verlorenen Mitte“ (Lau), den Aufstieg der AfD zu stoppen.
Mehr Neues über Merz persönlich erfährt man bei Lau, etwa die seit 2004 eher vergrabene Geschichte über seinen anfangs vorsichtig gesagt ungelenken Umgang mit den Nazi-Sympathien seines Großvaters. Mehr exklusiven Einblick in das Handeln von Regierung und Opposition, vor allem in der Endphase der Ampelzeit, gibt es bei Alexander. Der Hinweis etwa, dass Merz bei einem Ex-Verfassungsrichter ein Gutachten bestellte, um zu klären, wie man die Schuldenbremse noch mit den Mehrheiten des alten Bundestages ändern könnte, während er im Wahlkampf heftig gegen neue Schulden wetterte, wirft ein neues Licht auf den frappierenden Kurswechsel des CDU-Chefs umgehend nach der Bundestagswahl.
Man wird bestens versorgt mit Details aus Treffen hinter verschlossenen Türen
Wer die zum Teil schmerzhaften Ampeljahre noch einmal im Detail nachlesen will, wird bei Alexander bestens bedient. Wie schon bei „Die Getriebenen“ rekonstruiert Alexander die Ampeldämmerung in der Manier Bob Woodwards. Der Mit-Enthüller des Watergate-Skandals der frühen 1970er Jahre reiht mit seinen Reports aus der Schlüsselloch-Perspektive bis heute Beststeller an Bestseller.
Auch Alexander ist bestens versorgt mit Details aus Treffen hinter verschlossenen Türen und Whats-App-Nachrichten, die zwischen dem handelnden Personal der Ampel hin und her fliegen. Alexander zitiert, ungerührt inklusiver aller Tippfehler. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass hier nicht der krimiwürdige Einbruch der Republikaner die Wahlkampfzentrale der Demokraten rekonstruiert wird (oder die teils dramatischen Kapitel in Angela Merkels Flüchtlingspolitik), sondern der Dauerstreit einer Regierung, die letztlich nie zueinander gefunden hat und der auch in der Nacherzählung hin und wieder zermürbend sein kann.
Freilich, so manche Passage liest sich herrlich süffisant, etwa der Insiderblick auf den sage und schreibe 49-stündigen Koalitionsausschuss zu Tankrabatt und Klimaschutz im März 2022 – unterbrochen nur von einem kurzen Abstecher zu Regierungsgesprächen in den Niederlanden. Im Kanzleramt wurde offenbar Alkohol in großen Mengen zurate gezogen, um 4 Uhr überkam Finanzminister Christian Lindner der Hunger, ein Bodyguard trieb Burger bei McDonald´s auf. Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt gibt „der Küche des Kanzleramts daraufhin einen Wink, dass bei späteren Koalitionsausschüssen kein Alkohol mehr bereitsteht“, schreibt Alexander trocken.
Auch die „Höllenwoche“ von Friedrich Merz wird beschrieben
Genutzt hat es nichts, die Ampel findet kein funktionierendes Machtzentrum, die Koalitionspartner gönnen sich nicht mal kleinste Erfolge. Dazu kommt Putins Überfall auf die Ukraine. Zwar habe Scholz mutig von einer „Zeitenwende“ gesprochen, diese aber im Regierungshandeln nie vollzogen, so Alexander. Im Gegenteil: während längst klar war, dass schnell zusammengekauftes Gas, militärisches Gerät für die Ukraine und Bürgergeld für Flüchtlinge aus dem Kriegsland Milliarden verschlingen würden, tat Scholz noch immer so, als ob das auf Bürgergeld, Straßenbau und Strompreise keinen Einfluss haben würde. „Er hat die historische Gelegenheit zwar entschlossen ergriffen“ schreibt Alexander, „lässt sie dann aber wieder entgleiten“.
Besonders stark sind Lau wie Alexander, bei den Schilderungen und Einordnungen der wohl dramatischsten Woche des Wahlkampfes – es geht um Ende Januar, als Merz nach dem Messerattentat von Aschaffenburg seine Ideen zur Flüchtlingspolitik notfalls gemeinsam mit der AfD durch den Bundestag peitschen wollte. Lau schreibt, selbst emotional, von einer „Höllenwoche“ und wer würde ihr widersprechen? „Friedrich Merz opferte in dieser Woche die kostbarste Ressource, die ein Konservativer hat - sein Ehrenwort“. Alexander verdichtet Detail um Detail aus dem Unions-Führungskreis, bis der Eindruck entsteht, Hardliner in CDU und CSU hätten Merz mit immer neuen Schilderungen des abscheulichen Messerangriffs gezielt in eine Art emotionalen Ausnahmezustand versetzt – mit dem Ziel, eine härtere Migrationspolitik zu ermöglichen, und zwar um jeden Preis.
Es mag auch an diesem Tabubruch liegen, dass Lau, die Merz an vielen Stellen durchaus mit Sympathie begegnet, dem oft sprunghaften Kanzler am Ende nichts schenkt. „Man könnte fast von einem „Morbus Merz“ sprechen“, schreibt sie, „einem Ressentiment einfach mal Luft machen, dann bei Gegenwind zunächst rhetorisch eskalieren, um schließlich irgendwann einlenken zu müssen.“
Mariam Lau: Merz. Auf der Suche nach der Mitte; Ullstein Verlag; 336 Seiten; 24,99 Euro; Robin Alexander: Letzte Chance. Der neue Kanzler und der Kampf um die Demokratie; Siedler Verlag; 384 Seiten; 25 Euro
Hochinteressant, der Artikel von Peter Müller, der die Recherchen von Robin Alexander und Miriam Lau "aufarbeitet". Merz hat als Oppositionsführer versprochen, die AfD halbieren zu wollen. Das Gegenteil ist eingetreten : die AfD wurde immer stärker und ist jetzt mit 23-24 % zweitstärkste Partei, im Osten Deutschlands steht sie bei 30 %. Und dies, obwohl Kanzler Merz mit Dobrindt einen Innenminister hat, der die deutschen Grenzen durch einen riesigen Polizeiinsatz abriegeln will. Der Rechtsruck in der Union von Merz, Dobrindt und Spahn kommt offenbar bei vielen Menschen an, wählen tun sie aber dann doch lieber das "rechtsradikale Original", die AfD.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden