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Nachruf: Der Überpianist Alfred Brendel ist im Alter von 94 Jahren gestorben

Nachruf

Der Überpianist Alfred Brendel ist tot

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    2008 gab Alfred Brendel sein Abschiedskonzert in Paris.
    2008 gab Alfred Brendel sein Abschiedskonzert in Paris. Foto: Marion Kalter/akg images, dpa

    Er gilt als der Denker und als der Philosoph unter den Pianisten. Nicht zuletzt, weil er die Gründe, die zu seinen Interpretationen vor allem der Wiener Klassik mit Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert führten, schriftlich niederlegte. Aber auch, weil er den Komponisten, denen er dienen wollte, auf die Spur kommen mochte – und diese Spur dann seinen Klavierschülern weitergeben wollte. Und dennoch nahm auch die künstlerisch-musikalische Intuition einen großen Raum ein in seinem Spiel. Am Dienstag nun ist Alfred Brendel, dieser Über-Pianist vor allem der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, 94-jährig in seiner Wahlheimat London gestorben.

    Beethovens Klaviersonaten spielte Alfred Brendel dreimal ein

    Auf weit über 100 CDs ist das Archiv zu Brendels Interpretationskunst angewachsen, was auch damit zu tun hat, dass er viele Kompositionen immer wieder, immer weiter vertiefend aufnahm: Beethovens 32 Klaviersonaten spielte er dreimal ein, dessen fünf Klavierkonzerte gar viermal, zuletzt referenzhaft 1997 mit Simon Rattle. Ernst, Sorgfalt, Akribie und Werktreue waren ihm heilig; Spektakel und Spekulation aber zuwider. Schelmisch erklärte er 2008 anlässlich seines Abschieds von der Bühne: „Es wäre schön, wenn die eine oder andere meiner Aufnahmen auch in Zukunft ihre Hörer fände.“ Das britische Understatement: Alfred Brendel hatte es in 50 Jahren Londoner Heimat verinnerlicht – und dazu den hintersinnigen, skurrilen britischen Humor. Doch davon später.

    Nicht nur die Wiener Klassik, die er formvollendet und auswendig beherrschte, gehörte zu Alfred Brendels Repertoire, auch Johann Sebastian Bach sowie Franz Liszt, dessen Virtuosität, oft genug nur Anlass zur pianistischen Selbstdarstellung, er so intellektuell-seriös wie farbenreich begegnete. Inmitten schwierigster Passagen konnte es da schon vorkommen, dass sich Brendel dem Publikum mit tadelndem Blick zuwandte, wenn Huster überhandnahmen.

    Brendel ging seine ersten musikalischen Schritte in Wien

    Geboren wurde Alfred Brendel 1931 im nordmährischen, heute tschechischen Wiesenberg, aufgewachsen ist er zeitweise auch in Kroatien an der Adria. Die entscheidenden musikalischen Schritte erfolgten dann aber in Wien, wo er beharrlich seine Karriere aufbaute – ohne Wunderkind-Status, ohne Überlehrer(in). Dass die Schallplatte in den 1950er- und 1960er-Jahren boomte, half Brendel gewiss; die Ursache seines Erfolgs war sie gleichwohl nicht. Diese lag in harter, steter, demutsvoller Arbeit am Flügel. Auch als Liederabend-Begleiter unter anderem von Hermann Prey und Dietrich Fischer-Dieskau. Stets waren die hohen Ansprüche, die Brendel an sich selbst stellte, der Motor seiner Arbeit.

    Brendel, auch ein Kunstsammler im Übrigen, darf man augenzwinkernd eine Persönlichkeitsspaltung unterstellen: So seriös er am Flügel agierte, so unerhört humoristisch äußerte er sich als Lyriker in mehreren Gedichtbänden. Die ganz feine Ironie, die Kauzigkeit und Schrulligkeit waren ihm wie das Wasser dem Fisch. Und so sei er auch – ein wenig verkürzt – zitiert mit ein paar Zeilen, die jetzt nach seinem Tod einen besonderen Sinn ergeben. Pathosverliebt und der Rührungsästhetik anheimgefallen, war Brendel nie.

    „Vielleicht ist Ihnen aufgefallen
    daß man neuerdings nur mehr Engel sieht
    Künstler Päpste Polizisten
    selbst Hühner
    nichts als Engel.
    ...die hoheitsvoll aneinander vorbeirauschen
    Verkündigen
    in Jubelchöre ausbrechen mir zu Ehren.“

    Ein großer Musiker, ein hervorstechender Pianist ist von uns gegangen. Die Musik trägt Trauer.

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