Am 27. Mai 1945 fanden sich jüdische Musikerinnen und Musiker, die den Holocaust in verschiedenen Konzentrationslagern überlebt hatten, zusammen und spielten für die Kranken und Pflegenden im DP-Hospital in St. Ottilien ein Befreiungskonzert. Auf den Tag genau 80 Jahre später gab es im Rahmen des Klassikfestivals Ammerseerenade, organisiert vom Verein Kultur am Ammersee, die Neuauflage dieses Befreiungskonzerts mit Stücken aus dem Originalprogramm, die um zeitgenössische Musik erweitert wurden und damit eine Verbindung schufen zum Heute und in die Zukunft.

Der Originalschauplatz von vor 80 Jahren konnte es wegen ungünstiger Witterung nicht werden. Die Seminarkirche St. Michael mit den großen Fenstern zu dieser Wiese zwischen der Kirche und dem Tagesheim war jedoch mehr als adäquater Ersatz. Erinnern sei keine leichte Übung, sagte Erzabt Wolfgang Öxler bei seiner Begrüßung der Gäste in der restlos vollen Seminarkirche, darunter auch Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern sowie seit Jahren Schirmherrin der Ammerseerenade. „Aber wir müssen die Erinnerung wachhalten für die junge Generation.“ Das Konzert sei ein Aufruf, für die Werte der Würde des Menschen einzustehen.
Heino Ferch liest aus den Erinnerungen eines US-amerikanischen Soldaten an das Befreiungskonzert
Auch Regierungspräsident Dr. Konrad Schober, der in dieser Funktion den Ministerpräsidenten vertrat, betonte, wie wichtig Erinnerung sei. Sie helfe, um nicht die Fehler der Weimarer Republik zu wiederholen.

„Das Konzert soll eine Verbindung schaffen von damals zu heute“, sagte Doris Pospischil, Zweite Vorsitzende des Vereins Kultur am Ammersee über die Programmzusammenstellung. Und die darf als sehr gelungen bezeichnet werden. Zunächst las der Schauspieler Heino Ferch einen Text aus dem Buch „Von den Befreiern vergessen“, mit dem Autor Robert L. Hilliard seine Eindrücke als amerikanischer Soldat beim Befreiungskonzert in St. Ottilien schildert. Leise setzten die Musiker Soyoung Kim und Traudi Pauer (Violinen), Tilo Widenmayer (Viola) und Clemens Müllner (Violoncello) ein, begleiteten Ferchs Worte mit dem Adagio in g-Moll von Tomaso Albinoni, das auch 1945 zur Aufführung kam.
Ferch zog sich zurück, machte Platz für Thomas Jauch (Kontrabass). Die folgende sehr bekannte, mitreißende Farandole aus der L’Arlesienne Suite von Georges Bizet und ebenfalls ein Originalstück von 1945 zeigte, wie viel Hoffnung auf eine bessere Zeit in dem Konzert vor 80 Jahren mitschwang. Mit Solveigs Lied aus der Peer Gynt Suite von Edvard Grieg wurde es sehr emotional. Dazu trug auch Sängerin Teresa Boning, ehemalige Schülerin des Rhabanus-Maurus-Gymnasiums, bei, die ihren warmen weichen Sopran in höchsten Höhen führen und dort zart verklingen lassen konnte. Mit George Gershwins „Rhapsodie in Blue“, hervorragend interpretiert von Alexandra Troussova (Klavier) und Martin Fuchs (Klarinette), ging das Konzert in das Hier und Heute über.
Am Ende des Befreiungskonzerts erklingt das Widderhorn
Der junge Eliav Kohl hat 2021 als Artist in Residence in und für St. Ottilien „Liberation“ komponiert. Dieses Stück, das sehr gut das Grauen, die Befreiung, das Ankommen im Hospital, Hoffnung und auch Zweifel beschreibt und dabei keine einfache, glatte Musik ist, spielten die Musiker mit wunderbarem Einfühlungsvermögen. Abschluss war das „Kol Nidrei“ von Max Bruch, für Violoncello und arrangiert für die kleine Besetzung des Befreiungskonzerts. Solist war der bekannte, vielfach preisgekrönte Maximilian Hornung, der den Klang seines Cellos – sanft, dabei volltönend – dem besonderen Anlass angepasst zu haben schien.

Der geplante Gang zum jüdischen Friedhof musste ebenfalls wetterbedingt ausfallen. Der große Schulchor (Leitung Johannes Gruber) sang deshalb begleitet vom Schulorchester (Einstudierung Simone Komann) ebenfalls in der Seminarkirche „Verleih uns Frieden“ in der musikalischen Fassung von Felix Mendelssohn Bartholdy und als passende Beigabe „If ye love me“ des Renaissance-Komponisten Thomas Tallis. Zum würdigen, dem besonderen Anlass entsprechenden Abschluss ließ der in Berlin lebende Hornist Bar Zemach das Schofar zum Gebet erklingen. Schofar, das ist ein unverfälschtes Widderhorn, das Zemach ohne Mundstück spielt. Respekt!
Gäste, die dann noch Zeit erübrigen konnten, waren eingeladen, sich mit einer lebenden Installation der Fünftklässler zum Thema auseinanderzusetzen.

Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden