Jahrelang koordinierte Dr. Wolfgang Weisensee als Obmann die Notärzte am Standort Landsberg. Nun will der 63-Jährige zwar weiter Einsätze fahren, das Ehrenamt gibt er aber an seinen Nachfolger Dr. Philip von der Borch ab. Unsere Redaktion hat sich mit den Medizinern zum Gespräch getroffen. Über einen Job, der viel Herzblut erfordert – und in dem es immer mehr Unwägbarkeiten gibt.
Dr. Weisensee fährt seit 35 Jahren Einsätze als Notarzt. Eine Aufgabe, die „wie eine Sucht“ sei. „Man findet schnell einen Zugang zu den Menschen, kann ihnen oft helfen und die Angst nehmen.“ Als ehrenamtlicher Obmann in Landsberg war er in den vergangenen 20 Jahren im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) dafür zuständig, dass zwischen 16 und 8 Uhr, an Wochenenden und Feiertagen der Standort möglichst immer mit einem Notarzt besetzt ist. Werktags zwischen 8 und 16 Uhr kümmert sich das Klinikum um die Besetzung.
Der Obmann der Notärzte hat viele Aufgaben
Dr. Wolfgang Weisensee war auch das „Bindeglied“ zwischen den Notärztinnen und -ärzten und dem Rettungsdienst, den Feuerwehren oder der Polizei. Er organisierte Fortbildungen, informierte seine Kolleginnen und Kollegen über Neuerungen und erstellte den Dienstplan. Letztere Aufgabe sei längst kein einfaches Unterfangen mehr, sagt Weisensee, der in seiner Haupttätigkeit im Klinikum als Anästhesist beschäftigt ist. Es gebe zu wenige Medizinerinnen und Mediziner, die sich als Notärzte engagieren könnten. „Ich war zuletzt froh, wenn überhaupt jemand angerufen hat. Früher hatte ich eine ellenlange Warteliste für den Notarztdienst.“
Die Entwicklung sei darauf zurückzuführen, dass die Ausbildung relativ lange dauere und die Bezahlung „keinen hinter dem Tisch hervorlockt“. Zudem hätten die Ärztinnen und Ärzte einer Haupttätigkeit nachzugehen. „Es gibt da schon prekäre Tage. Wenn ich nach einer Schicht mit mehreren Einsätzen am nächsten Tag in der Praxis oder in der Klinik arbeiten muss, ist das anstrengend.“ Oft bekämen angestellte Mediziner von der Chefin oder dem Chef nicht die Erlaubnis für eine freiberufliche Tätigkeit als Notarzt. Dem Landsberger Obmann stehen auf dem Papier zwar zwölf Notärzte zur Verfügung, doch nur neun sind momentan aktiv. In seiner Amtszeit habe Dr. Wolfgang Weisensee stets den Ehrgeiz gehabt, keine Lücken im Dienstplan entstehen zu lassen und deswegen selbst oft „unbeliebtere Schichten“ übernommen. „In 20 Jahren habe ich 15 Mal an Weihnachten als Notarzt gearbeitet.“ Wenn der Standort Landsberg nicht besetzt sei, werde der nächstgelegene alarmiert – beispielsweise aus Buchloe oder Schongau. „Sofern diese Standorte denn besetzt sind“, schränkt Weisensee ein.
Die Zahl und die Frequenz der Einsätze steigt
Die Notärzte und Rettungsdienste bekämen „draußen“ zu spüren, dass das System auf schwarze Zahlen getrimmt sei. Auch in akuten Notfällen führe die zu knappe Anzahl an Überwachungs- und Intensivbetten oft dazu, dass die nächste Klinik oft keine Patientinnen und Patienten mehr aufnehmen könne und weitere Wege in Kauf genommen werden müssten. Generell sei die Zahl und Frequenz der Einsätze zuletzt gestiegen: „Die Hemmschwelle, den Notarzt zu rufen, ist gesunken. Dr. Google ist dafür verantwortlich“, berichtet Weisensee. Unlängst habe etwa eine Frau angerufen, weil ihr nachts die Blutdrucktabletten ausgegangen seien. Der Landsberger spricht von vier Einsätzen werktags und acht Einsätzen an Wochenenden pro Schicht – Tendenz steigend. Und auch gegenüber Notärzten werde der Ton rauer: „Frauen schicken wir als Konsequenz nur noch mit einem Fahrer los“, sagt Weisensee.
Dr. Weisensee spielte schon länger mit dem Gedanken, kürzer zu treten. Er ist froh, mit Dr. Philip von der Borch (40) einen Nachfolger als Obmann gefunden zu haben. Der Facharzt für Innere Medizin kommt ursprünglich aus München und ist zweifacher Familienvater. Er arbeitet in der Landsberger Hausarztpraxis seiner Ehefrau Dr. Michaela von der Borch.
Dr. Philip von der Broch: Das Notarztdasein als "Leidenschaft"
Er hege eine große Leidenschaft für das Notarztdasein, sagt der 40-Jährige. Die Verwaltungsaufgaben hielten sich – im Gegensatz zur Tätigkeit in einer Klinik – in einem überschaubarem Rahmen. „Man ist in erster Linie damit befasst, Menschen tatsächlich zu helfen und ihnen in kritischen Situationen Gutes zu tun.“
Auch von der Borch merkt an, dass nicht viel Geld im Rettungssystem stecke. In Deutschland fuhren Ärzte zwar tatsächlich noch nach „draußen“. Allerdings würde gleichzeitig vermehrt auf Notfallsanitäter gesetzt – und die Notärzte vor allem in lebensbedrohlichen Lagen gerufen. „Wir tun uns ein bisschen schwer, uns zu entscheiden, was wir eigentlich wollen.“ In Dr. Philip von der Borchs Idealvorstellung würde das Notarztwesen ausschließlich aus hauptamtlichen – und dafür noch höher qualifizierten – Notfallmedizinern bestehen.
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