Auch Tage später ist Geigenbaumeister Martin Schleske die Freude über die Uraufführung des Oratoriums „Beatitudines. Die Seligpreisungen – in zeitloser Wahrheit“ im Münchener Dom anzumerken. Neben Chor und Orchester war Bestandteil des klanglichen Erlebnisses mit Gänsehautmomenten, wie es viele der Besucherinnen und Besucher anschließend schilderten, die Geige Schleske Op.361, gespielt von Stargeiger Ingolf Turban. Das Besondere daran: Schleske fertigte sie aus 50.000 Jahre altem Holz eines Kauri-Baumes, der in einem Neuseeländischen Hochmoor entdeckt worden war. Der Stamm wurde inzwischen zum Weltkulturerbe erklärt.
Kauri-Bäume gehören zur Familie der Araukarien. Sie haben immergrünes Blattwerk und Zapfen und können gewaltige Wuchshöhen von über 50 Metern und große Stammdurchmesser entwickeln, früher noch mehr wie heute. Und so schätzt auch Martin Schleske den Durchmesser auf mindestens sieben Meter. Heute dürfen Kauri-Bäume nur noch für rituelle Zwecke von den Maori gefällt werden. Umso größer ist die glückliche Fügung zu bewerten, die das Holz ans Tageslicht und einen Teil davon in das Haus am Georg-Hellmair-Platz 382 in Landsberg gebracht hat. Wie das vonstattenging, schildert Schleske im Gespräch mit unserer Redaktion.
Eines der Instrumente erwirbt der Stargeiger Ingolf Turban
Ein Kunde, Amateurgeiger und Extremreisender, stieß in Neuseeland auf das Holz aus dem Moor. Er konnte ein Stück davon erwerben und brachte es zu Schleske, um sich eine zweite Geige von ihm bauen zu lassen. Mittels Anisotrophie und Dichtemessung ermittelte dieser zuerst, ob sich das Holz dafür eignete – mit positivem Ergebnis. „Der größte Teil des Stammes stand zu dieser Zeit schon nicht mehr zum Verkauf, jedoch gelang es, noch einige Stücke zu erwerben“, berichtet Schleske mit Blick auf den separaten Stapel hellen Holzes mit einem leicht rosafarbenen Schimmer neben seinem Holzregal. Leider seien nur etwa 20 Prozent davon verwendbar, bedauert Schleske. Für einige Geigen wird es jedoch ausreichen. Drei Instrumente hat er inzwischen daraus gefertigt, zwei Geigen und eine Bratsche. Die zweite Geige erwarb Geiger Ingolf Turban, der neben seiner Stradivari aus dem Jahr 1721 bereits seit 2010 eine Geige aus der Schleske-Werkstatt spielt.
Spricht der Geigenbaumeister und Physiker Schleske über Geigen, bekommen sie menschliche Züge. So beschreibt er die Geige von 2010 als „leidenschaftliche, schwarzhaarige Schönheit, die zum Kampf animiert und demjenigen alles gibt, der sie besiegt.“ Ganz anders die neue aus dem uralten Holz, das härter und edler wurde durch den Prozess der Mineralisierung – und das bei der Fertigung deshalb auch so manches Werkzeug stumpf werden ließ. „Sie ist eine Königin, die Respekt verlangt. Sie lässt den Geiger ernsthafter werden, und sie lässt ihn merken, dass es nicht um sein Ego geht, sondern darum, dem Instrument zu dienen“, so Schleske. Erst als Turban die Geige zum ersten Mal im kapellenartigen Raum unterm Dach der Geigenwerkstatt spielte, „habe ich begriffen, was für ein Instrument das ist“, blickt Schleske zurück und spricht von Qualitäten wie Autorität und Unbestechlichkeit: „Das außergewöhnliche Holz bringt starke Ressonanzen hervor.“ Diese stören den Geiger beim Spielen und müssen beherrscht werden, jedoch sind sie auch die Ursache für die Schönheit des Klangs.
„Ein fesselnder Ton von unglaublicher Intensität und Magie“
Ein Instrument also, das nur jemand mit großer Erfahrung spielen kann und das, wie Schleske berichtet, wunderbar zur Komposition von Enjott Schneiders Oratorium passte. Schneider, der im Dom neben Schleske saß, fand dazu folgende Worte: „Ein bezaubernder und fesselnder Ton von unglaublicher Intensität und Magie“, zitiert Schleske.
Nur eine Woche hatte Stargeiger Ingolf Turban Zeit, sein neues Instrument kennenzulernen. „Das ist ein Drahtseilakt ohne Netz“, beschreibt Schleske diesen Mut, und dass gerade er es war, der sich ins Spiel und auf das Publikum übertragen habe, das über den Klang regelrecht erschrocken sei.
Mut braucht es auch von seiten des Geigenbauers, sich jedes Mal aufs Neue der Aufgabe zu stellen, ein noch besseres Instrument als das vorhergehende zu erschaffen. „Es ist zuerst einmal eine Überforderung. Ich kann das nicht machen, sondern mich nur zur Verfügung stellen“, schildert Schleske den Beginn. Kraft dafür findet er bei den Pferden, seinen großen Seelenwesen, und der Spiritualität. Rund zwölf Wochen hat er an dem „klanglichen Weltkulturerbe“ gearbeitet, wobei dies nur gelingt „wenn die Hände im richtigen Modus sind“. Sprich: Wenn das Denken endet und das Spüren beginnt. Wenn der Hobel die Hand führt und nicht umgekehrt. „Wenn ich das Gefühl habe, ich schaue mir beim Arbeiten zu.“ Selbstvergessenheit, wie auch Musiker sie kennen, die mit ihrem Spiel nicht beeindrucken wollen, sondern die Herzen berühren.
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