Martha ist eine grazile, trotz der erkennbaren Falten bildschöne Puppe, die Puppenbauer Peter Lutz nach Ideen der Dramaturgin Florentina Tautu erschuf. „Martha, mit einer Puppe darzustellen, öffnet den größeren Spielraum“, erklärt Tautu von der Kulturbühne Spagat in München, vor Marthas Auftritt als kultivierte Puppendame in leuchtend rotem Kleid auf der Bühne des fast voll besetzten Stadttheaters. Marthas Demenzkrankheit ist erst bei genauerem Hinhören erkennbar.
Stephanie Tschunko, die Leiterin der Kulturbühne Spagat, die unter der Trägerschaft des gemeinnützigen Vereins Horizont steht, der sich um sozial benachteiligte Familien kümmert, stellt die Entstehungsgeschichte der Komödie mit Puppenspiel, das sich einfühlsam mit dem Thema des Älterwerdens auseinandersetzt, kurz vor. „Ich selbst lebe in einer Dreigenerationen-WG“, erzählt Tschunko. Die Romanvorlage „Mein Leben mit Martha“ von Martina Bergmann basiert auf einer wahren Geschichte, die eine individuelle Alternative zur klassischen Heimunterbringung oder Kurzzeitpflege als Beschäftigungstherapie mit Mittagessen aufzeigt.
Eine Pflegestufe hat Martha noch nicht, was die Aufnahme in eine entsprechende Einrichtung erschweren könnte. Einbeziehen statt ausgrenzen will die Buchhändlerin Martina, die sich entschloss, mit Martha in einer Wohngemeinschaft zu leben. Dabei entdeckt die eine bei sich neue Fähigkeiten, die andere verliert die ihren nach und nach, obwohl sie sich zuweilen durchaus geist- und einfallsreich äußert. In der Inszenierung der Kulturbühne hat Martha, die mit Puppenspielerin Julia Giesbert zur Gitarrenmusik auf einer Schaukel bis zu den Wolken fliegen kann, zwar vieles vergessen, manchmal auch, dass ihr Partner Heinrich nicht mehr lebt, ist aber noch in der Lage, zu artikulieren, was sie will. Wenn ihr das alleine nicht gelingt, versucht es ihr besonderes Bühnengefolge herauszufinden.
Julia Giesbert, die als Puppenspielerin ebenso glänzend agiert wie Susanne Schröder und Martin Schültke, sind alle Martha, wie auch Martina. En passant schlüpfen sie in die Rollen weiterer Personen, wie Kellner, Heimleiter, Heinrich, Gutachter, Pfleger, Therapeuten, Betreuer, was dem Publikum einiges an Konzentration abverlangt. Die mit vielen Büchern und Kartons zugestellte Bühne, ist nicht nur ein Buchladen, sondern auch Küche, Restaurant, öffentlicher Raum und etliches mehr. Es gibt Szenen, in denen herzhaft gelacht werden kann, aber auch solche, die betroffen machen, denn Altern ist etwas, das ausnahmslos alle betrifft.
Nach eigenen Angaben hat Martha mit 50 noch in Feminismus promoviert. Martha befinde sich in einer „poetischen Verfassung“, so habe es ihr Mann Heinrich formuliert. Bei Frau Doktor dauert eben alles ein wenig länger, die Mithilfe in der Küche, zu der sie überredet werden kann. Dafür sind die Tomaten dann exakt geschnitten. Unterwegs darf keine Eile geboten sein, denn Martha kann sich eine Weile intensiv mit einem herabgefallenen Blatt beschäftigen. Dann sind da noch die alles mit Argwohn beobachtenden Nachbarn, die von Rentnern gespielt und gefilmt, auf die Bühne projiziert werden. Es ist ihnen suspekt, dass Martina sich um Martha kümmert, noch dazu ohne mit ihr verwandt zu sein. Da kann doch nur Erbschleicherei dahinterstecken. Oder etwas ganz anderes, wenn Martha vor dem eifrigen Schlussapplaus zu Martina sagt: „Du kriegst gar nichts auf die Reihe ohne mich.“
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