Ob der 1776 geborene Schriftsteller E.T.A. Hoffmann geahnt hat, dass er mit seiner Novelle „Das Fräulein von Scuderi“ den ersten Kriminalfall der Literaturgeschichte schaffen würde? Vermutlich nicht. Ebenso wenig konnten die 35 Schülerinnen und Schüler der 8. Klasse der Freien Waldorfschule Landsberg zu Beginn ihrer Proben absehen, welches intensive Abenteuer sie erwartete, als sie sich drei Wochen lang der intensiven Theaterarbeit widmeten. In einer aufwändigen Inszenierung mit barocken Kostümen, hohen Perücken, live begleiteter Klaviermusik, Fechtszenen und geheimnisvollen Schattenspielen schuf die Klasse an drei Abenden eine ebenso spannende wie professionell beeindruckende Aufführung.
Das Bühnenbild ist ein Blickfang
Ein Blickfang war das Bühnenbild: Kulissen, die das historische Paris eindrucksvoll zum Leben erweckten. Zu sehen waren abwechselnd ein Marktplatz, düstere Gassen, die Werkstatt des Goldschmieds René Cardillac, der prunkvolle Königssaal sowie die gemütliche Schreibstube des Fräuleins von Scuderi – ein Ort der Reflexion und Aufklärung. Bemerkenswert war die flexible Gestaltung: Mit wenigen, gezielt eingesetzten Requisiten ließen sich die Schauplätze schnell und wirkungsvoll verändern. Die fließenden Übergänge zwischen den Szenen zeugten von einer durchdachten Regie und viel Teamarbeit – getragen von Schülerinnen, Schülern, Lehrkräften und Eltern.

Die Geschichte selbst zog das Publikum sofort in ihren Bann: Wer steckt hinter der brutalen Mörderbande, die Paris in Angst versetzt? Welches Geheimnis umgibt den hochgeschätzten Goldschmied Cardillac? Und ist sein Gehilfe Olivier tatsächlich der Täter? Die Handlung nimmt eine überraschende Wendung, als das kluge, angesehene Fräulein von Scuderi in einen Strudel aus dunklen Intrigen hineingezogen. Sie beginnt, eigene Nachforschungen anzustellen – und bringt den Fall schließlich vor den König.
Mehr als ein gelungenes Schulprojekt an der Freien Waldorfschule Landsberg
Fast jede Schülerin und jeder Schüler war zusätzlich in organisatorische Aufgaben eingebunden – ob Regieassistenz, Bühnenbau, Maske, Technik, Öffentlichkeitsarbeit oder Sponsoring. Unterstützt wurden sie von Lehrkräften und Eltern. Am Ende steht mehr als ein gelungenes Schulprojekt. E.T.A. Hoffmann, der auch als Jurist sein Geld verdiente, stellt mit seiner Novelle eine Frage, die bis heute aktuell ist: Welche Werte und Tugenden liegen der Rechtsprechung zugrunde? In einer Zeit, in der Paragrafen oft mehr zählen als Menschlichkeit, wirkt seine Novelle wie ein leiser, aber eindringlicher Appell: Gnade und Gerechtigkeit sollten nicht nur ideale Werte sein, sondern Maßstab unseres Handelns – vor Gericht und im Alltag. (AZ)
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