Das Superwahljahr und der Abzug der Truppen
Szenarien für Afghanistan
Richard Holbrooke, der in der Nacht zum Dienstag überraschend starb, versuchte zuletzt, die Logik des Krieges in Afghanistan zugunsten eines eher auf zivile Ziele gerichteten Konzeptes zu durchbrechen. Doch von einem Erfolg war der renommierte US-Diplomat am Ende, trotz seines allseits gerühmten Verhandlungsgeschicks, meilenweit entfernt.
Auch ein Grund dafür, dass die Diskussion um Szenarien für den Abzug wieder entbrannt ist. Sie wird begleitet von ärgerlichen Versuchen, die Lage am Hindukusch schönzureden. Das altbekannte Muster: Politiker sprechen von einer greifbaren Wende zum Guten, während parallel dazu Berichte ans Tageslicht kommen, die solche Reden ad absurdum führen.
So wie die aktuelle Bilanz des deutschen Einsatzes, der seltsamerweise „Fortschrittsbericht“ heißt, aber wirkliche Fortschritte nur punktuell aufführt. Noch düsterer ist die Tonlage in vertraulichen Dokumenten der US-Geheimdienste, die von US-Medien veröffentlicht wurden. Dort wird schonungslos dargelegt, dass die Taliban ihre Attacken weiterhin unbehelligt von Pakistan aus planen und umsetzen können. Holbrooke war es, der die katastrophalen Auswirkungen erkannte, die der Krisenherd Pakistan auf den Afghanistan-Konflikt hat. Ebenfalls aus den USA stammt eine aktuelle Analyse, die besagt, dass gerade die Situation in der Region Kundus immer prekärer werde. Zuständig ist dort die Bundeswehr. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist der afghanische Präsident Hamid Karsai, dessen politisches Ende von vielen westlichen Politikern herbeigewünscht wird. Karsai steht für Korruption – doch wofür ein möglicher Nachfolger stehen würde, ist völlig offen.
In Deutschland hat indes ein Geschacher um Abzugsfahrpläne begonnen. Das ist schon deshalb unseriös, weil kein Mensch in der Lage ist, vorherzusehen, wie sich die Situation in Afghanistan entwickelt. Die SPD will ihre Zustimmung zu einer Verlängerung des Bundeswehrmandats an einen verbindlichen Termin für den Beginn des Abzugs koppeln. Dabei schielt sie auf eine gute Ausgangsposition für das Superwahljahr 2011. Die FDP und Teile der Union scheinen da gerne mitspielen zu wollen. Eine gefährliche Taktik. Einmal haben frühzeitig verkündete Termine den Effekt, dass den Taliban signalisiert wird, wie lange sie noch durchhalten müssen, bis der Endkampf um Kabul beginnt. Andererseits droht den Deutschen eine weitere Enttäuschung, sollte der Zeitplan erneut keinen Bestand haben.
Mit dem Abzug sollte dann begonnen werden, wenn die Umstände in Afghanistan ihn verantwortbar erscheinen lassen. Wann das sein wird, kann heute niemand sagen. Das hören Wahlkämpfer nicht gerne, aber es ist ehrlich.
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