Die Fähigkeit zur Krisenabwehr hat angesichts lähmender Strukturen und Mentalitäten eine bedenkliche Schwäche erreicht. Nicht nur die Politik muss umdenken.
Angela Merkel wird fraglos als Krisenkanzlerin in die bundesrepublikanische Geschichte eingehen. Ähnlich wie einst Helmut Schmidt, auch wenn der Sozialdemokrat mit gänzlich anderem Regierungsstil seinen Ruf als exzellenter Krisenmanager erwarb, sei es bei der Hamburger Sturmflut, der Ölkrise oder dem linksextremen RAF-Terror der Siebzigerjahre. Angela Merkel erwarb sich ihren Nimbus in der Finanzkrise 2008: Die CDU-Kanzlerin gab an der Seite ihres SPD-Ministers Peer Steinbrück eine Staatsgarantie für die Spareinlagen der Bürger und verhinderte damit ein völlig unkontrollierbares Übergreifen der US-Krise auf die deutsche Wirtschaft.
Im Corona-Modus wäre Deutschland früher gescheitert
Merkels Regierung zeichnete damit eine Blaupause, die in der nächsten Krise die Kanzlerin selbst aus einer verfahrenen Situation rettete. Die Finanzkrise löste die Euro-Schuldenkrise aus. Vier Jahre nach Merkel war es dann EZB-Chef Mario Draghi, der mit einer ähnlichen Garantie die Krise unter Kontrolle brachte. Sein „Was auch immer nötig ist“ – „What ever it takes“ – rettete wohl den Euro.
Man stelle sich vor, Merkel und Steinbrück hätten vor ihrem Auftritt zweiwöchentlich in neunstündigen Konferenzen alle 16 Finanzminister und Ministerpräsidenten um Zustimmung oder um Kompromisse bitten müssen: Die Finanzkrise hätte wohl mit verheerenden Folgen Deutschlands Wirtschaft verwüstet.
Auch in der EU ist das Scheitern längst System
Es geht aber nicht nur um Bundes- oder Länderkompetenzen. Die Bundeszuständigkeit rettete Merkel nicht davor, dass ihr Nimbus in der Flüchtlingskrise Schaden nahm. Statt in Länderkonferenzen scheiterte sie in vergleichbaren Runden der EU-Regierungschefs. Koalitionen aus 16, 27 oder 28 Partnern sind schon in normalen Zeiten schwer handlungsfähig, in Krisen drohen sie selbst zur politischen Katastrophe zu werden. Vom Asylstreit hat sich Europa bis heute nicht erholt. Das lebensgefährliche europäische Impfversagen ist eine Folge von Konferenzen der EU-Mitgliedstaaten, so wie die Bund-Länder-Runden Deutschlands verheerender zweiter Corona-Welle zu wenig entgegensetzen konnten.
Im Kalten Krieg setzte Deutschland angesichts unkalkulierbarer Gefahren militärischer Konflikte auf einen zentralen Bundeskatastrophenschutz. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sparte sich die Bundesrepublik den einheitlichen Zivilschutz. Die Annahme lautete, Naturkatastrophen treten regional auf. Dies entlarvte Corona als Trugschluss. Ähnliches könnte mit dem Klimawandel drohen.
Abneigung gegen Militärisches rächt sich
Ein bundesweiter Katastrophenschutz-Stab wäre in der Pandemie vermutlich hilfreich gewesen. Eine Garantie dafür besteht nicht, wie die Versäumnisse der Bundespolitik zeigen. Der Bund lieferte beispielsweise weder verbindliche Schutzkonzepte für Seniorenheime noch vorausschauende Krisenpläne für die zweite Welle.
Doch ein ähnlich großes Problem wie die mangelhaften Strukturen und Föderalismus-Zersplitterungen stellt auch die politische Mentalität dar. Die Deutschen blicken beim Impfen mit Neid auf Israel, die USA und Großbritannien. Alles Staaten, die hohen Respekt statt Abneigung gegenüber ihrem Militär hegen und großen Wert auf dessen Ressourcen legen, die sie nun im Krisenfall für den Zivilschutz ausspielen.
Deutschland scheint sich lieber auf Ethikräte und Kommissionen als seine kaputtgesparte Bundeswehr zu verlassen. Man wundert sich über logistisches und organisatorisches Unvermögen, das so gar nicht zum gefühlten Weltmeister-Image passt. Angesichts der unberechenbarer werdenden Weltlage kann man nur hoffen, dass kein größerer Ernstfall über das Land hereinbricht als eine Pandemie.
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