Salto mit Pathos
Angela Merkel wirbt im Bundestag für den Atomausstieg. Ihre Atomwende stellt alles auf den Kopf, was die CDU bislang vertreten hat.
Wenn Angela Merkel, die sonst so kühle und nüchterne Doktorin der Physik, tief in die Kiste des Pathos greift und einen Einblick in ihr privates Gefühlsleben gewährt, dann brennt es politisch lichterloh. So ist es auch bei ihrer 180-Grad-Wende in der Atompolitik innerhalb eines halben Jahres. Mit belegter Stimme schildert sie vor dem Bundestag, wie die Katastrophe von Fukushima ihre Überzeugungen erschüttert habe.
Die Bevölkerung muss Angela Merkel nicht überzeugen. Die war mit großer Mehrheit schon immer gegen die Kernkraft. Nein, Merkel braucht die Extra-Portion Pathos, um ihre eigene Partei, ihre eigene Fraktion, ihre eigene Koalition auf Kurs zu bringen. Plötzlich müssen die Christdemokraten für etwas sein, was sie Jahrzehnte lang nicht nur als falsch abgelehnt, sondern auch aus tiefster Überzeugung bekämpft haben – den Ausstieg aus der Atomkraft. Dieser von oben verordnete und im Rekordtempo vollzogene Salto rückwärts überfordert nicht nur die CDU-Abgeordneten, sondern auch die Mitglieder.
Merkels Rede im Bundestag ist daher vor allem ein eindringlicher Appell an die eigene Truppe, ihre Wende in der Energiepolitik mitzutragen und ihrem Kurs zu folgen. Noch besser wäre es allerdings, die Parteichefin würde nach dem Vorbild der Grünen einen Parteitag einberufen oder sich auf Regionalkonferenzen der Basis stellen, um auch die einfachen Mitglieder einzubinden und ihre Bedenken ernst zu nehmen.
Merkels Atomwende stellt alles auf den Kopf, was die CDU bislang vertreten hat. Gute Gründe, diesen Weg zu gehen, gibt es viele. Die Basis will sie erklärt bekommen, will wissen, warum plötzlich richtig ist, was bislang falsch war und was noch das Alleinstellungsmerkmal der CDU ist. Eine Dosis Pathos im Bundestag ist da zu wenig.
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