Wie neu ist das neue China?
Wirtschaftlich lief zuletzt alles glatt zwischen China und Deutschland. Das Handelsvolumen stieg und stieg – auf knapp 150 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. 30 Prozent des Warenaustausches zwischen China und der EU spielen sich in Wahrheit zwischen China und Deutschland ab. Aber es ziehen dunkle Wolken auf. Die von der EU angedrohten Strafzölle auf Solarmodule, die von Peking dank hoher Subventionen billig auf den Markt geworfen werden, drohen einen Handelskrieg zu provozieren.
Bei allem Ärger über Tricks und Kniffe, mit denen Regierungen ihrer Wirtschaft unbillige Wettbewerbsvorteile verschaffen – was übrigens nicht nur in China vorkommen soll: Zusätzliche Störungen in wirtschaftlich ohnehin nicht leichten Zeiten können beide Seiten nicht gebrauchen. Viel zu verlieren hätte vor allem Deutschland, das zwar der Euro-Krise bisher gut trotzen konnte, aber dennoch Wachstumsrisiken fürchten muss.
Nicht ohne Hintersinn hat der neue chinesische Premierminister Li Keqiang daher auf die Liste seiner Antrittsbesuche als einziges EU-Land Deutschland gesetzt. Das Kalkül ging auf: Bundeskanzlerin Angela Merkel fordert inzwischen eine Lösung des Wirtschaftskonflikts „durch möglichst viele Gespräche“. Wobei festzuhalten ist, dass der Streit um die billigen Solarmodule vor allem durch Klagen deutscher Unternehmen in Brüssel ausgelöst wurde. Es ist durchaus möglich, dass die EU jetzt einen Gang zurückschalten wird – auch bei dem von Brüssel eingeleiteten Anti-Dumping-Verfahren gegen chinesische Telekommunikationsausrüster.
Die Wirtschaftsbeziehungen waren und sind das Fundament des guten deutsch-chinesischen Verhältnisses. Beide Seiten ergänzen sich glänzend: Deutschland hat Spitzentechnologie im Angebot, China bietet einen gewaltigen Markt. Vor allem die deutsche Automobilindustrie konnte in den vergangenen Jahren mit Verkaufserfolgen in China den Rückgang der Absatzzahlen in Europa mehr als kompensieren.
Das gute Verhältnis spiegelte sich bisher auch im persönlichen Umgang zwischen den Regierungschefs wider. Merkel und Lis Vorgänger Wen Jiabao kamen bestens mitein-ander aus. Sie hoben ihre Kontakte 2010 sogar in den Rang von regelmäßigen Regierungskonsultationen. Auch Li, der 1990 schon einmal als Nachwuchs-Funktionär Deutschland bereist hat, scheint am Fortbestehen der guten Beziehungen interessiert zu sein.
Offenbar hörte er sich gestern auch geduldig die Vorhaltungen an, die ihm Merkel beim Thema Menschenrechte machte. Die dramatischen Schicksale von Dissidenten zeigen, dass das kommunistische Regime seinen Bürgern weiterhin Grundrechte vorenthält.
Die Nummer zwei der chinesischen Hierarchie wird wohl wissen, dass die aufstrebende Weltmacht ohne politische Reformen ihren wirtschaftlichen Erfolg aufs Spiel setzt. Ob und wann Li und der ebenfalls neue Staatschef Xi Jinping indes konkrete Schritte in diese Richtung tun werden, gehört zu den derzeit interessantesten Fragen der Weltpolitik. Die Zukunft wird zeigen, wie neu das neue China wirklich ist.
Ärgerliche Differenzen zwischen China und dem Westen bestehen auch in der Außenpolitik. Peking hat bisher zum Beispiel gemeinsam mit Russland jede Verurteilung des syrischen Machthabers Baschar al-Assad im Weltsicherheitsrat mit einem Veto verhindert. Längst geht es in der Syrien-Frage um mehr: um die Gestaltung eines Nach-Bürgerkriegs-Syriens. China sollte sich daran konstruktiv beteiligen.
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