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Darum kommen die Grünen nicht mehr in Schwung

Kommentar

Das grüne Dilemma: Wo geht es hin für die Ökopartei?

Rudi Wais
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    Noch auf der Höhe der Zeit? Die Grünen haben mehr Probleme, als ihnen lieb sein kann.
    Noch auf der Höhe der Zeit? Die Grünen haben mehr Probleme, als ihnen lieb sein kann. Foto: Moritz Frankenberg, dpa

    Trocknet das grüne Biotop allmählich aus? Annalena Baerbock hat sich zu den Vereinten Nationen verabschiedet, Robert Habeck steht ebenfalls vor einem Umzug in die USA, wo er Studenten in Kalifornien über die Krisen der Welt belehren will - und Cem Özdemir, der dritte Grüne mit einem Namen, der auch über die eigene Partei hinaus reicht, ist mit unsicheren Erfolgsaussichten in die baden-württembergische Landespolitik gewechselt. Würde jetzt außer der Reihe ein neuer Bundestag gewählt: Die Grünen hätten große Schwierigkeiten, einen zugkräftigen Spitzenkandidaten und/oder eine Spitzenkandidatin zu finden.

    Die drei Ampeljahre haben sie, vor allem aus eigenem Verschulden, mehr an Kraft und Ansehen gekostet, als sie es bis heute wahrhaben wollen. An der Spitze von Partei und Bundestagfraktion stehen drei Frauen und ein Mann, deren Strahlkraft außerhalb des eigenen Milieus begrenzt ist, um es vorsichtig zu formulieren. In den Umfragen hat die Linkspartei fast gleichgezogen, weil sie mit ihrer schrillen, auf Klassenkampf geeichten Heldin Heidi Reichinnek vor allem bei den jüngeren Wählern punktet, die lange Zeit eine grüne Bank waren. Dazu kommt eine Bundesregierung, die bisher vergleichsweise friktionsfrei arbeitet und der Opposition wenig Angriffsfläche bietet - einer Opposition überdies, in der die Grünen wie eingeklemmt zwischen den Linken und der AfD sitzen, staatstragender als die Konkurrenz, nicht so populistisch und damit im Kampf um Aufmerksamkeit im Nachteil.

    Die Grüne Jugend wird zum politischen Sicherheitsrisiko

    Um bei der nächsten Bundestagswahl auch nur in die Nähe einer Regierungsbeteiligung zu kommen, werden die Grünen einige alte Gewissheiten überprüfen müssen. Ihr Parteinachwuchs zum Beispiel, angeführt von der irrlichternden Jette Nietzard, die Polizisten beleidigt und die Massaker der Hamas in Israel verharmlost, ist für die Partei kein Jungbrunnen mehr, der Talente in die Parlamente spült, sondern ein politisches Sicherheitsrisiko. Die Affäre um den mit erfundenen Belästigungsvorwürfen ausgebooteten Ex-Abgeordneten Stefan Gelbhaar wirft kein gutes Licht auf das Problembewusstsein der Parteispitze. Die Rollenverteilung zwischen Partei und Fraktion ist nicht erst seit der Wahl im Februar unklar, und im Richtungsstreit zwischen Fundis und Realos scheinen die Dogmatiker die Oberhand gewonnen zu haben.

    Dabei ist dies eine existenzielle Frage für die Grünen: Sehen sie sich künftig als gestaltende Kraft leicht links von der Mitte, die als eine Art Öko-FDP den Raum füllt, den die Liberalen gerade geöffnet haben? Oder siegt im Abwehrkampf gegen die Reichinnek-Jünger das alte Denken aus den Gründerjahren, nach dem die Grünen fest im linken bis sehr linken Spektrum verwurzelt sind und dies auch mit einer stark ideologisch geprägten Umwelt- oder Migrationspolitik untermauern müssen. Erschwerend hinzu kommt, dass in der Partei weit und breit niemand in Sicht ist, der diese Diskussion moderieren und zu einem Ergebnis führen könnte. An Reputation gewonnen hat zuletzt allein die frühere Vorsitzende Ricarda Lang mit ihren selbstkritischen, ausgleichenden Tönen - Töne, die man als Parteichefin so von ihr nicht gehört hat.

    Ein zweiter Joschka Fischer? Robert Habeck war es nicht

    Würde Özdemir die Wahlen in Baden-Württemberg gewinnen, wäre er zweifelsohne der neue starke Mann der Partei – und vor allem einer, der für einen im Zweifel pragmatischen Kurs steht. Denn nichts brauchen die Grünen dringender als einen zweiten Joschka Fischer oder einen zweiten Winfried Kretschmann. Robert Habeck war es nicht. Özdemir könnte es noch werden.

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    3 Kommentare
    Christian Merkle

    Bleiben die Grünen bei ihrer Haltung in der Migrationspolitik, werden sie irgenwann unter 10% sein und immer unbedeutender werden. Schade, denn gerade die Klimapolitik bräuchte eine starke Partei. Aber so sind die Grünen für die meisten Bürger unwählbar geworden. Zu viel Ideologie zu wenig Bürgernähe.

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    Günter Köhler

    Gerade in der Ampelkoalition zeigten die Grünen sehr viel Bürgernähe, was ihnen aber zum Verhängnis wurde und im bundes- und medienweiten Bashing endete. Auch in dieser Zeitung und hier gerade vom Autor dieses zweifelhaften Kommentars.

    Maria Reichenauer

    Dass Rudi Wais kein Fan der Grünen ist, weiß man ja. Lieber sollte dieser grüne Fleck, das personifizierte ökologische schlechte Gewissen, das schon irgendwo immer wieder aufleuchtet, ganz verschwinden. ABER: Totgesagte leben länger, Herr Wais, daran sollten Sie denken, bevor Sie das Totenglöckchen läuten. Denn wir Grünen wissen, dass wir recht haben mit der Verteidigung der Klimaziele und der Menschenrechte. Dass man sie nun unterbuttert, wird die Bürger teuer zu stehen kommen. Sagt auch die OECD. Aber wenn man merkt, wie wichtig das Klima gewesen wäre, dann ist es schon ziemlich spät. Die Grünen in der Ampel waren ihrer Zeit voraus. Man hat nicht realisiert, dass der eingeschlagene Weg richtig war. Vor allem der Bremser Lindner hat nichts verstanden. Die neue Regierung geht Schritt für Schritt rückwärts. Das ist bequem, aber nicht zielführend. Eine Öko-FDP, mit dem gelben Handtuch von Lindner auf der Liege? Nein, dann geh ich lieber mit Reichinnek auf die grünen Barrikaden.

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