Das größte Pflegeheim der Republik hat keinen Speisesaal, kein behindertengerechtes Bad und kein Freizeitprogramm für seine Bewohner. Im größten Pflegeheim der Republik, den 4,7 Millionen Haushalten, in denen sich Angehörige oder ambulante Dienste um einen Pflegebedürftigen kümmern, steht ein Krankenhausbett in einem Wohn- oder Schlafzimmer und irgendwo in der Ecke ein Stapel mit Windeln oder Medikamenten. Viele Pflegende dort fühlen sich überlastet und alleine gelassen, aufrecht gehalten nur durch das enge Band, das sie mit den Ehemännern verbindet, den Müttern oder den Kindern, die sie zu Hause pflegen.
Ohne diesen häufig an Selbstaufgabe grenzenden Idealismus wäre das deutsche Pflegesystem längst zusammengebrochen. So aber kollabiert es vermutlich erst, wenn die geburtenstarken Kohorten der Sechzigerjahre in das Alter kommen, in dem Menschen vermehrt Pflege benötigen. Ausrechnen lässt sich das bereits: Innerhalb der nächsten 20 Jahre wird die Zahl der Pflegebedürftigen in der Bundesrepublik um annähernd zwei Millionen steigen. Woher die zusätzlichen Pflegerinnen und Pfleger, die zusätzlichen Heimplätze und die zusätzlichen Mittel kommen sollen, um dieser gewaltigen Herausforderung Herr zu werden: Das ist gegenwärtig die vielleicht offenste Wunde der deutschen Politik.
Waschen, Wickeln, Füttern – und sonst nichts?
Wenn die Würde des Menschen unantastbar ist, wie es im Grundgesetz heißt, muss seine Pflege auch mehr sein als ein routinierter Dreiklang aus Waschen, Wickeln und Füttern. Viele Heime und ambulante Dienste aber arbeiten jetzt schon am Anschlag, von den pflegenden Angehörigen ganz zu schweigen. Umgekehrt bleiben in Kliniken und Pflegeheimen Stationen leer, weil das Personal fehlt, das die Bewohner dort versorgen könnte. Die Pflegereform, die Union und SPD gerade planen, wird daran nicht viel ändern. Sie verspricht zwar mehr Unterstützung für Angehörige, etwa durch den Ausbau der Tagespflege, und eine Förderung neuer Wohnformen. Die beiden entscheidenden Fragen allerdings beantwortet sie nicht: Wie lassen sich mehr Menschen für den kräftezehrenden, aber auch sehr erfüllenden Pflegeberuf gewinnen – und wie lässt sich die Pflege angesichts der steigenden Zahlen verlässlich finanzieren?
Der statistische Durchschnittsdeutsche bezieht heute eine Rente von etwas mehr als 1100 Euro im Monat – ein Platz in einem Pflegeheim aber kostet im Schnitt knapp 2800 Euro an Eigenanteil. Wo Rente und Vermögen nicht ausreichen, um das zu finanzieren, springt in den meisten Fällen zwar der Staat ein. Mit Beitragssätzen zwischen drei und vier Prozent in der Pflegeversicherung aber wird das auf Dauer nicht getan sein. Umso wichtiger wäre zum Beispiel eine stärkere Förderung der privaten Vorsorge über die gegenwärtigen fünf Euro im Monat hinaus. Gute Pflege hat eben auch ihren Preis.
Gute Pflege aber gelingt nur mit engagierten, zufriedenen Pflegerinnen und Pflegern. Stand heute werden in den nächsten fünf Jahren mehr Pflegekräfte in Rente gehen als neue dazukommen – und das bei einer steigenden Zahl an Pflegefällen. Ideen, diese Lücken zu schließen, gibt es einige – von verbindlichen Vier-Tage-Wochen über einen Ausbau der günstigeren ambulanten Pflege bis zum verstärkten Einsatz digitaler Helfer, etwa in der Dokumentation. Am Ende aber bleibt die Pflege vor allem eines: ein Dienst am Menschen. Diesen Dienst besser zu honorieren, ideell wie materiell, wäre auch eine Art Zeitenwende.

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