
Corona: Die Menschen sehnen sich nach Normalität

Plus Betriebsseelsorger Thomas Hoffmann über Urlaub, Alltag, Ferien und Angst. Wie gehen Sie mit den Einschränkungen um?
Liebe Leserinnen und Leser,
Sehnsucht nach einer neuen Normalität? Eigentlich normal, in der Ferienzeit so zu fragen, dieses Jahr freilich mit einem Beiklang: Wie verbringen Sie den Urlaub? Mit welchen Gefühlen machen Sie sich auf den Weg? Oder verzichten Sie (un)freiwillig auf einen Urlaub? Wir werden uns in die Berge aufmachen. Ich merke, wie sehr ich eine Erholung brauche, und weiß gleichzeitig nicht, ob sie sich unter den gegebenen Bedingungen einstellt.
Das Wort Erholung begegnet mir gerade häufig: Erholung vom anstrengenden Familienalltag mit Homeschooling; alle hoffen auf eine „wirtschaftliche Erholung“, ein Ende der Kurzarbeit mit ihren finanziellen Einschränkungen.
Weniger Autos, weniger Lastwagen
Etwas erholt hat sich in diesen Zeiten die Natur: Ausgefallene Flüge, weniger Lkw, weniger Individualverkehr, zurückgefahrene Produktion sorgten für Entlastung. Manche haben die Entschleunigung, ausgefallene Termine, die leeren Straßen als erholsam erlebt und vielleicht entdeckt, was im Leben wichtiger ist und was weniger – in einem weiten Sinne religiöse Fragen.
Für andere dagegen klingt das wie Luxus pur – von wegen erholsame Entschleunigung: Unsicherheiten, existenzielle Not dominieren den Alltag: Wie soll ich die Miete bezahlen, wenn die Kurzarbeit andauert oder gar eine Entlassung droht? Wie lange kann ich die erzwungene Einsamkeit noch aushalten? Wie werde ich die Corona-Erkrankung überstehen – und ich kenne schwer, ja sehr schwer Erkrankte? Welche Erfahrungen machen Sie? Erholung, Urlaub, Sehnsucht nach Normalität: Endlich wieder ohne Einschränkungen reisen, sich mit Freunden treffen, Geburtstage und Hochzeiten feiern, mal wieder ins Restaurant gehen oder ins Kino, miteinander Gottesdienst feiern, singen und musizieren, Sport treiben – ganz normal eben.
Laudato si von Papst Franzikus
Meine Sehnsucht nach Normalität richtet sich freilich nicht auf die Normalität verstopfter Straßen, des alltäglichen Wahnsinns wie eh und je; ich wehre mich, die Normalität von Niedriglöhnen, von tariflosen und mitbestimmungsfreien Betrieben, von ausbeuterischen Arbeitsbedingungen nicht nur in der Fleischindustrie zu akzeptieren.

Die Normalität der Benachteiligung derer, die auch in der Krise überproportional belastet werden, ich brauche sie nicht; die Normalität eines Lebensstils auf Kosten anderer Mitmenschen weltweit, der Natur und künftiger Generationen will ich nicht. Eine Arbeit, die überfordert, Löhne und Renten, die zum Leben nicht reichen, ein Gesundheitswesen, das unter der Profitlogik leidet: Wer wünscht sich im Ernst eine solche Normalität? Vor fünf Jahren hat Papst Franziskus das Schreiben „Laudato si“ veröffentlicht. Um die Erde, „unser gemeinsames Haus“, zu bewahren, müssen, so schärft er ein, soziale Gerechtigkeit und Ökologie unbedingt zusammen gedacht werden.
Gerechtigkeit, Liebe und Frieden
Franziskus beschließt sein Schreiben mit einem „Gebet für unsere Erde“, aus dem ich zitiere: „Allmächtiger Gott, gieße uns die Kraft deiner Liebe ein, damit wir das Leben und die Schönheit hüten, … hilf uns, die Verlassenen und Vergessenen dieser Erde, die so wertvoll sind in deinen Augen, zu retten … Ermutige uns bitte in unserem Kampf für Gerechtigkeit, Liebe und Frieden.“ Es geht um eine andere, eine neue Normalität. Eine solche „neue Normalität“ lohnt unsere Sehnsucht, unsere Kreativität, unseren gemeinsamen Einsatz. Hierfür wünsche ich Ihnen und uns viel Kraft.
Von Thomas Hoffmann
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