Der mysteriöse Tod des Regierungspräsidenten
Ermittlungen Der CDU-Politiker Walter Lübcke starb durch einen Kopfschuss. Die Polizei rätselt über ein Mordmotiv
Kassel Der Tatort ist ein idyllisches Fleckchen im ländlichen Nordhessen. Nur rund 900 Einwohner hat Istha, ein Ortsteil der Kleinstadt Wolfhagen. Walter Lübcke starb dort an einem Schuss aus nächster Nähe in den Kopf, wie die Kasseler Staatsanwaltschaft und das hessische Landeskriminalamt am Montagabend 40 Stunden nach der Tat bestätigten. Doch der Tod des 65 Jahre alten beliebten CDU-Politikers und Kasseler Regierungspräsident bleibt auch Tage danach ein Rätsel.
Lübcke wohnte am Ortsrand von Istha. Von seinem Haus aus hat man einen weiten Blick über die Felder. Doch die Straße zum Haus ist an diesem Tag wie ausgestorben, nur ein paar Polizeibeamte und ein Einsatzfahrzeug sind vor dem Gebäude zu sehen. Das Absperrband um das Haus flattert im Wind. Ein paar Meter weiter bauen Arbeiter gerade ein Bierzelt ab. Denn in der Tatnacht wurde schräg gegenüber dem Tatort eine Kirmes gefeiert. Ob es einen Zusammenhang mit der Tat gibt, sagen die Ermittler bislang nicht. Auch zu Fragen, ob Zeugen etwas gesehen haben oder eine Tatwaffe gefunden wurde, schweigen sie. Klar ist laut den Ermittlern dagegen: Der CDU-Politiker Lübcke wurde in der Nacht zu Sonntag kurz nach Mitternacht von einem Verwandten auf der Terrasse gefunden. Kurze Zeit später wurde der Tod des 65-Jährigen festgestellt.
„Die umgehend anberaumte und noch am selben Tag durchgeführte Obduktion hat ergeben, dass Dr. Lübcke an den Folgen einer Schussverletzung verstorben ist“, sagte Horst Streiff, Leiter der Kasseler Staatsanwaltschaft. Das Projektil einer Kurzwaffe – der Ermittlerausdruck für Pistolen und Revolver – habe ihn am Kopf getroffen. Der Schuss sei aus nächster Nähe abgegeben worden. Nun werde gegen Unbekannt wegen der Tötung Lübckes ermittelt. „Konkrete Hinweise bezüglichen eines Tatverdächtigen beziehungsweise eines Tatmotivs haben die Ermittlungen bisher nicht ergeben“, erklärt Streiff.
Antworten soll eine 20 Beamte starke Sonderkommission finden, die aus Mitarbeitern des Landeskriminalamts und der nordhessischen Polizei gebildet wird. „Wir ermitteln in alle Richtungen“, sagte LKA-Chefin Sabine Thurau. Für einen Suizid gebe es keine Anhaltspunkte.
Hinweise auf einen Zusammenhang mit den Morddrohungen, die Lübcke während der Flüchtlingskrise 2015 erhielt, sehen die Ermittler bisher nicht. Damals hatte sich der Regierungspräsident gegen Schmährufe zur Aufnahme von Flüchtlingen gewehrt und gesagt, wer gewisse Werte des Zusammenlebens nicht teile, könne das Land verlassen.
Lübcke wurde 2009 durch den damaligen CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch zum Kasseler Regierungspräsident berufen. Er stammte aus dem nordhessischen Bad Wildungen. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler galt als beliebt und volksnah. Er war oft auf öffentlichen Terminen und Festen anzutreffen. Auch die Konfrontation mit Kritikern scheute der 65-Jährige nicht. Das Regierungspräsidium war unter seiner Leitung auch an vielen umstrittenen Genehmigungsverfahren beteiligt. Dazu gehörte beispielsweise der Bau von Windkraftanlagen im Reinhardswald, die Planung einer Pipeline für Salzabwässer von Ost- nach Nordhessen durch den Salz- und Düngerproduzenten K+S und der Ausbau des Regionalflughafens Kassel.
Die Nachricht von seinem Tod löste hessenweit über Parteigrenzen hinweg Trauer aus. Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) erklärte: „Ich bin tief bestürzt über den unerwarteten Tod von Walter Lübcke und trauere um einen langjährigen Weggefährten.“ Eigentlich hätte Lübcke zum Zeitpunkt seines Todes schon im Ruhestand sein können. Doch er hatte über das 65. Lebensjahr hinaus eine Verlängerung seiner Amtszeit bis September 2019 beantragt. Er hinterlässt eine Frau und zwei erwachsene Kinder. Göran Gehlen, dpa
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