Ehre sei Jacques Loussier in der Höhe
Nachruf Der französische Pianist brachte J. S. Bach zum Swingen – gegen alle Musikpolizei
War er nun ein Barrikaden-Stürmer oder ein Weichspüler? Das kommt auf den Blickwinkel an. Als Jacques Loussier in den späten 50er-Jahren anfing, Johann Sebastian Bach und den Swing zu verbandeln und zu verkuppeln, da hob mancher jener Bach-Liebhaber, gegen die es – laut Adorno – Bach zu verteidigen galt, beide Augenbrauen. Gotteslästerlich, frivol, despektierlich, unanständig! Hockte sich da doch einer auf den Klavierschemel und führte die Motorik des Barock mit der Motorik des Jazz eng. Unerhört. Weil sich kontrapunktische Kathedralen in gleichsam fingerschnippende Luftschlösser auflösten.
Doch die Pietisten und Musikpolizisten bekamen den 1934 im französischen Angers geborenen Loussier nicht zu fassen, der im Trio bis 1965 fünf jeweils millionenfach verkaufte „Play Bach“-Schallplatten aufnahm und durch die Welt tourte, bis er dessen müde war und sich 1978 zurückzog in den provenzalischen Weinbau und ins private Aufnahmestudio.
Doch dann kam das Jahr 1985 – und mit diesem der 300. Geburtstag Bachs. Und so saß denn Loussier im Jubeljahr doch wieder am Flügel und einmal auch in der Augsburger Kongresshalle, wo er mit Fliege, in schwarzem Anzug und schwarzen Lackschuhen lauter Hits aus dem feudalen Zeitalter beschwingte: Italienisches Konzert, Präludium Nr. 1, Toccata d-Moll, das unsterbliche Air. Adrett, geschmackvoll.
Jetzt war Loussier schon ein Klassiker. Hatten sich doch andere, nach ihm Geborene, die Klassik tatsächlich rüpelhaft, krachend, gewaltvoll vorgeknöpft – etwa Keith Emerson. Loussier aber setzte weiter auf seine Art der Distinktion. Wenn er – ganz selten – in improvisierten Momenten mal ausbrach und die Grenzen der Tonalität überschritt, dann hatte ihn schnell die Süße des Wohllauts und Wohltemperierten wieder.
Loussiers swingender Bach besitzt wenig von dem, das den Jazz regelmäßig auch ausmacht: Übermut, Explosivität, Anarchie, Verausgabung, Schweiß, Blut. Doch der Musiker, der auch Vivaldi, Chopin, Ravel und Kurt Weill gemessen modernisierte, besaß gleichwohl eine überragende Souveränität, Differenzierungsfähigkeit und Lässigkeit. Er und sein Bassist und sein Schlagzeuger spielten mit der Musik wie die Katz’ mit der Maus’. Loussier machte vergessen, dass nichts schwerer ist als das Leichte. Am Dienstag ist der Missionar des Alten Testaments der Klavierliteratur 84-jährig gestorben.
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