Hier haben Vereinsbräuche noch Stellenwert
Bareinzahlungen statt Online-Überweisung. Der frühere Notgroschen dient heute der Geselligkeit
Kaum etwas ist so typisch deutsch wie ein Verein. Das Vereinswesen – manche sagen auch etwas unfreundlicher: die Vereinsmeierei – liegt den Leuten im Blut. So stößt man nicht nur fast überall auf Musik-, Sport- oder Wandervereine; es gibt auch Klubs, von denen die meisten noch nie gehört haben. Schon 96 Jahre besteht in Lechhausen der Sparverein „Einigkeit“.
Man kann nicht behaupten, dass dieser Verein im öffentlichen Leben des größten Augsburger Stadtteils keine Rolle spielt, aber man nimmt ihn auch nicht sonderlich wahr. Vorsitzende Angelika John ist damit selbst nicht recht glücklich.
Zur monatlichen Versammlung im Vereinslokal Alte Schmiede sind trotz Urlaubszeit 22 Mitglieder gekommen, darunter auch Ehrenvorsitzender Josef Gaugenrieder. Man merkt schnell, dass hier Vereinsbräuche noch ihren Stellenwert haben. Nach der Begrüßung trägt Brigitte Englisch das Protokoll der vorangegangenen Sitzung vor, das zustimmend zur Kenntnis genommen wird. Vorsitzende John berichtet über das Grillfest vor Kurzem und kündigt einen Ausflug zum Sisi-Schloss in Unterwittelsbach an (für die Mitglieder vergünstigt). Man gedenkt eines häufigen Besuchers der Vereinstreffen, der vor Kurzem gestorben ist, und gratuliert schließlich drei Geburtstagskindern; ihnen wird je eine Flasche Wein überreicht. Zum Punkt „Verschiedenes“ gibt es diesmal keine Wortmeldung.
Was den Vereinszweck ausmacht, ist allerdings schon ganz zu Beginn erledigt worden: Jedes Mitglied kann freiwillig etwas aufs Vereinskonto einzahlen. Der Betrag wird dem Kassier Horst Weiser bar übergeben und dann im Mitgliedsbuch, das einem traditionellen Sparbuch ähnelt, eingetragen. An diesem Abend kommt keine große Summe zusammen. Im Gespräch mit Mitgliedern ist zu erfahren, dass das Sparen im Verein schon seit Längerem zur Nebensache geworden ist. Man trifft sich vielmehr um der Geselligkeit willen und weil die Unternehmungen, zu denen vor allem auch eine große Weihnachtsfeier gehört, eine willkommene Abwechslung sind.
Wie sich herausstellt, kommen einige Mitglieder gar nicht aus Lechhausen. Andere Augsburger Stadtteile wie Bärenkeller oder Spickel sind vertreten. Manche fahren sogar von Adelsried, Fürstenfeldbruck oder Baar im nördlichen Kreis Aichach-Friedberg zu dem Vereinstreffen. Thomas Dolp spricht für viele, wenn er sagt: „Ich bin mal mitgegangen und es hat mir gefallen.“ Mitglied wird man in der Regel aufgrund von Kontakten oder Mundpropaganda. Vor allem die Lechhauser sagen, dass zwischen ihnen auch außerhalb des Vereins Verbindungen bestehen.
Angelika John ist stolz auf das rege Vereinsleben: „Wenn ich Leuten aus Sportvereinen erzähle, wie viele Leute zu unseren Versammlungen kommen, sagen die: Da müßten das bei uns – gemessen an der Mitgliederzahl – ja 400 Teilnehmer sein!“ Sie fügt hinzu: „Wir sind eben eine Gruppe, wo man sich gut versteht.“ Mehrere Mitglieder bestätigen: Es sei immer wieder ein schönes Beisammensein.
Ob das gemeinsame Sparen vor 20 oder 30 Jahren wichtiger war als heute, darüber gehen die Meinungen auseinander. Manche sagen, das sei auch damals schon Nebensache gewesen. Angelika John selbst spart bis heute für ihren 21-jährigen Sohn. Am Jahresende lässt sie sich die seit Januar angesammelten Beträge wieder auszahlen und kann ihm dann ein großes Weihnachtsgeschenk kaufen. Andere sparen für die Urlaubsreise. Einer sagt: „Fürs Auto“, aber dann grinst er – so viel kommt dann doch nicht zusammen.
Um die Vereinsaktivitäten zu finanzieren, wird daneben ein monatlicher Mitgliedsbeitrag von 3,50 Euro erhoben, und am Ende der Treffen geht ein Spendenbehälter herum. In der Vereinssatzung sind auch Regeln für eine Rücklagenbildung und für eine feste jährliche Mindestsparsumme enthalten, aber die werden nach Aussage von John nicht so ernst genommen. Die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank hat dem Wirtschaften mit den gesammelten Sparguthaben die Grundlage entzogen.
Das lässt sich offenbar verschmerzen. Dennoch bilden sich Sorgenfalten auf der Stirn von Angelika John, wenn es um die Zukunft des Vereins geht. Heute hat er 42 Mitglieder. Es waren schon mal über 100. Allerdings war die Mitgliederzahl auch schon auf 25 gesunken, und man machte sich ernsthaft Gedanken über eine Auflösung. Zusammen mit ihr seien vor etwa 30 Jahren noch mal einige Leute neu eingetreten, sagt John.
Aber die Jugend lasse sich mit dem Sparverein nicht mehr hinterm Ofen hervorlocken. John sieht das an ihrem Sohn. Der sitze am liebsten am Computer oder verfolge das Display seines Smartphones. Sie hat ihm den Sparverein schon wiederholt schmackhaft zu machen versucht, aber das sei wohl generell nichts für Jüngere. Sie gesteht zu, dass diese Probleme mehr oder weniger fast jeden Verein betreffen. Immerhin: Sein 100-jähriges Bestehen wird der Sparverein 2021 wohl noch mit gewohnter Vitalität feiern.
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